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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865.

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ist das Großherzogthum Hessen in seiner Gemeindeverfassung und Bezirks-
räthen seit 1852 und 1853. -- Aehnlich, jedoch auf freierer Basis, Gemeinde-
und Bezirksausschuß in Sachsen-Weimar, Gemeindeordnung von 1854;
Nassau, Gesetz vom 24. Juli 1854, wo die Gutsherrschaften schon ganz ver-
schwinden; Braunschweig Ortsgemeinde und Amtsrath (Gemeindeverfassung
vom 19. März 1850). Eigenthümlich ist das Verhältniß in Oldenburg
geordnet, wo nach der Gemeindeordnung vom 1. Juli 1855 die Städte erster
und zweiter Klasse dadurch verschieden sind, daß die ersten unmittelbar unter
der Regierung, die letzteren mit den Landgemeinden unter den Aemtern stehen,
während sich wieder die Theile der Gemeinden als Ortsgemeinden constituiren,
und die Landgemeinden in Bauernschaften zusammentreten. Die Provinzial-
räthe in Lübeck und Birkenfeld sind örtliche Volksvertretungen.

Das bisher Angeführte soll natürlich nichts erschöpfen. Aber wenn es
einerseits zeigt, daß der Inhalt der Selbstverwaltung auch bei den freiesten
Gemeindeverfassungen fast nirgends über die Gemeindegränze hinausgeht, und
dieselbe daher noch sehr weit unter dem englischen Selfgovernment steht, wäh-
rend das Beamtenthum doch immer das eigentlich verwaltende Organ bleibt,
so ist es andererseits auch gewiß, daß wir im Großen und Ganzen den Charakter
einer Uebergangsepoche vor uns haben, aus der wir nur durch die völlige Frei-
heit der Bauernbesitzungen und durch die Einführung des englischen Princips
der Verwaltungsgemeinden, dieses Kerns der wahren Selbstverwaltung, der
allein nicht im Widerspruch mit den ständischen Elementen steht, überwinden
werden.

C. Corporationen und Stiftungen.
1) Allgemeiner Charakter beider.

Wir müssen als letzte Form der Organisation der Selbstverwaltung
die Corporationen und Stiftungen aufführen, die ein, wenn auch nicht
sehr großes, so doch in vieler Beziehung sehr wichtiges Gebiet betreffen.

Corporationen und Stiftungen entstehen da, wo für einen einzelnen
ganz bestimmten öffentlichen Zweck ein bestimmtes Vermögen ausgesetzt
und ausschließlich durch eigen dafür bestimmte Organe nach bestimmten
Regeln verwaltet wird.

Die Corporationen und Stiftungen bilden den Uebergang von der
eigentlichen Selbstverwaltung im Gemeindewesen zum Vereinswesen,
indem in ihnen wie bei dem Verein der Zweck, der durch die Mittel
erreicht werden soll, durch den freien Willen der Einzelnen gesetzt wird,
während die Ordnung der Verwendung der Mittel gleichfalls durch
diesen Willen bestimmt ist. Allein sie gehören dennoch der Selbstver-
waltung an, da die Auflösung der einmal bestehenden Körper eben so
wenig wie die einmal angeordnete Verwaltung von dem Willen der
an dieser Verwaltung Betheiligten abhängt. Und das haben sie mit

iſt das Großherzogthum Heſſen in ſeiner Gemeindeverfaſſung und Bezirks-
räthen ſeit 1852 und 1853. — Aehnlich, jedoch auf freierer Baſis, Gemeinde-
und Bezirksausſchuß in Sachſen-Weimar, Gemeindeordnung von 1854;
Naſſau, Geſetz vom 24. Juli 1854, wo die Gutsherrſchaften ſchon ganz ver-
ſchwinden; Braunſchweig Ortsgemeinde und Amtsrath (Gemeindeverfaſſung
vom 19. März 1850). Eigenthümlich iſt das Verhältniß in Oldenburg
geordnet, wo nach der Gemeindeordnung vom 1. Juli 1855 die Städte erſter
und zweiter Klaſſe dadurch verſchieden ſind, daß die erſten unmittelbar unter
der Regierung, die letzteren mit den Landgemeinden unter den Aemtern ſtehen,
während ſich wieder die Theile der Gemeinden als Ortsgemeinden conſtituiren,
und die Landgemeinden in Bauernſchaften zuſammentreten. Die Provinzial-
räthe in Lübeck und Birkenfeld ſind örtliche Volksvertretungen.

Das bisher Angeführte ſoll natürlich nichts erſchöpfen. Aber wenn es
einerſeits zeigt, daß der Inhalt der Selbſtverwaltung auch bei den freieſten
Gemeindeverfaſſungen faſt nirgends über die Gemeindegränze hinausgeht, und
dieſelbe daher noch ſehr weit unter dem engliſchen Selfgovernment ſteht, wäh-
rend das Beamtenthum doch immer das eigentlich verwaltende Organ bleibt,
ſo iſt es andererſeits auch gewiß, daß wir im Großen und Ganzen den Charakter
einer Uebergangsepoche vor uns haben, aus der wir nur durch die völlige Frei-
heit der Bauernbeſitzungen und durch die Einführung des engliſchen Princips
der Verwaltungsgemeinden, dieſes Kerns der wahren Selbſtverwaltung, der
allein nicht im Widerſpruch mit den ſtändiſchen Elementen ſteht, überwinden
werden.

C. Corporationen und Stiftungen.
1) Allgemeiner Charakter beider.

Wir müſſen als letzte Form der Organiſation der Selbſtverwaltung
die Corporationen und Stiftungen aufführen, die ein, wenn auch nicht
ſehr großes, ſo doch in vieler Beziehung ſehr wichtiges Gebiet betreffen.

Corporationen und Stiftungen entſtehen da, wo für einen einzelnen
ganz beſtimmten öffentlichen Zweck ein beſtimmtes Vermögen ausgeſetzt
und ausſchließlich durch eigen dafür beſtimmte Organe nach beſtimmten
Regeln verwaltet wird.

Die Corporationen und Stiftungen bilden den Uebergang von der
eigentlichen Selbſtverwaltung im Gemeindeweſen zum Vereinsweſen,
indem in ihnen wie bei dem Verein der Zweck, der durch die Mittel
erreicht werden ſoll, durch den freien Willen der Einzelnen geſetzt wird,
während die Ordnung der Verwendung der Mittel gleichfalls durch
dieſen Willen beſtimmt iſt. Allein ſie gehören dennoch der Selbſtver-
waltung an, da die Auflöſung der einmal beſtehenden Körper eben ſo
wenig wie die einmal angeordnete Verwaltung von dem Willen der
an dieſer Verwaltung Betheiligten abhängt. Und das haben ſie mit

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[509/0533] iſt das Großherzogthum Heſſen in ſeiner Gemeindeverfaſſung und Bezirks- räthen ſeit 1852 und 1853. — Aehnlich, jedoch auf freierer Baſis, Gemeinde- und Bezirksausſchuß in Sachſen-Weimar, Gemeindeordnung von 1854; Naſſau, Geſetz vom 24. Juli 1854, wo die Gutsherrſchaften ſchon ganz ver- ſchwinden; Braunſchweig Ortsgemeinde und Amtsrath (Gemeindeverfaſſung vom 19. März 1850). Eigenthümlich iſt das Verhältniß in Oldenburg geordnet, wo nach der Gemeindeordnung vom 1. Juli 1855 die Städte erſter und zweiter Klaſſe dadurch verſchieden ſind, daß die erſten unmittelbar unter der Regierung, die letzteren mit den Landgemeinden unter den Aemtern ſtehen, während ſich wieder die Theile der Gemeinden als Ortsgemeinden conſtituiren, und die Landgemeinden in Bauernſchaften zuſammentreten. Die Provinzial- räthe in Lübeck und Birkenfeld ſind örtliche Volksvertretungen. Das bisher Angeführte ſoll natürlich nichts erſchöpfen. Aber wenn es einerſeits zeigt, daß der Inhalt der Selbſtverwaltung auch bei den freieſten Gemeindeverfaſſungen faſt nirgends über die Gemeindegränze hinausgeht, und dieſelbe daher noch ſehr weit unter dem engliſchen Selfgovernment ſteht, wäh- rend das Beamtenthum doch immer das eigentlich verwaltende Organ bleibt, ſo iſt es andererſeits auch gewiß, daß wir im Großen und Ganzen den Charakter einer Uebergangsepoche vor uns haben, aus der wir nur durch die völlige Frei- heit der Bauernbeſitzungen und durch die Einführung des engliſchen Princips der Verwaltungsgemeinden, dieſes Kerns der wahren Selbſtverwaltung, der allein nicht im Widerſpruch mit den ſtändiſchen Elementen ſteht, überwinden werden. C. Corporationen und Stiftungen. 1) Allgemeiner Charakter beider. Wir müſſen als letzte Form der Organiſation der Selbſtverwaltung die Corporationen und Stiftungen aufführen, die ein, wenn auch nicht ſehr großes, ſo doch in vieler Beziehung ſehr wichtiges Gebiet betreffen. Corporationen und Stiftungen entſtehen da, wo für einen einzelnen ganz beſtimmten öffentlichen Zweck ein beſtimmtes Vermögen ausgeſetzt und ausſchließlich durch eigen dafür beſtimmte Organe nach beſtimmten Regeln verwaltet wird. Die Corporationen und Stiftungen bilden den Uebergang von der eigentlichen Selbſtverwaltung im Gemeindeweſen zum Vereinsweſen, indem in ihnen wie bei dem Verein der Zweck, der durch die Mittel erreicht werden ſoll, durch den freien Willen der Einzelnen geſetzt wird, während die Ordnung der Verwendung der Mittel gleichfalls durch dieſen Willen beſtimmt iſt. Allein ſie gehören dennoch der Selbſtver- waltung an, da die Auflöſung der einmal beſtehenden Körper eben ſo wenig wie die einmal angeordnete Verwaltung von dem Willen der an dieſer Verwaltung Betheiligten abhängt. Und das haben ſie mit

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 509. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/533>, abgerufen am 25.04.2024.