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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865.

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Principien und Thätigkeiten der Staatsordnung in Widerspruch geräth.
Dieser Widerspruch tritt dann um so schärfer hervor, wenn die Aner-
kennung der einmal gegebenen Ordnung derselben von Seite des Staats
auch formell eine unbegränzte, also dem Wortlaute nach für alle Zeiten
gültige ist. In der That ist in diesem Falle nicht bloß ein Gegensatz
zwischen dem Rechte und der Ordnung dieser Körperschaften und dem
Staate, sondern für den Staat selber vorhanden, da das von ihm ge-
setzte Recht mit dem von ihm geforderten Rechte in Widerspruch steht.
Und es ist offenbar, daß diese Verhältnisse, wie sie auf dem innersten
Wesen beider, der Körperschaften wie des Staats beruhen, auch nur
durch die Betrachtung der höhern Natur beider gelöst werden können.

Diese Lösung liegt nun aber in nichts anderem, als in dem schon
oben angedeuteten Unterschiede zwischen Corporationen und Stiftungen.

2) Corporationen und ihre Verwaltung.

Die Corporationen gehören der ständischen Gesellschaftsordnung;
aber sie müssen als eine ganz bestimmte Erscheinung derselben betrachtet
werden, die bei aller Zufälligkeit und Verschiedenheit im Einzelnen
dennoch in ganz Europa dieselbe letzte Grundlage darbietet. Eine Cor-
poration entsteht immer auf der Basis eines gemeinsamen Berufes,
der durch die äußeren Lebensverhältnisse so lange gefährdet oder einer
größeren Entwicklung unfähig erscheint, als die Berufsgenossen vereinzelt
sich zu ihrem Berufe bilden, oder ihn vereinzelt ausüben wollen. Die
Corporation ist daher zunächst ein Verein der Berufsgenossen; aber wie
der Beruf selbst, seinem Wesen nach, ein dauerndes und organisches
Moment des Gesammtlebens ist, das nicht von der Willkür Einzelner
abhängt, so ergibt es sich bei dem Verein selbst sogleich, daß derselbe
ein dauernder, auf bestimmten, dem Wesen des bestimmten Berufes
entsprechenden und mithin für den Einzelnen unantastbaren Ordnungen
beruhen muß. Diese Ordnungen entwickeln sich naturgemäß langsam
aus der Funktion des Berufes selbst; aber einmal entwickelt verschmelzen
sie mit dem Berufe so innig, daß man sie schwer oder gar nicht mehr
von ihm trennen kann. So wie nun diese Ordnungen feststehen, so
bildet sich dem entsprechend auch ein Organismus innerhalb der Berufs-
genossen, welcher eben so fest und dauernd wie jene Regeln selbst die
Vollziehung des Berufes bewacht und ordnet. Naturgemäß schließt sich
die so entstehende Berufsgenossenschaft dann von der übrigen Gemein-
schaft immer zunächst in Beziehung auf ihren Beruf und seine Voll-
ziehung ab, da sie den Grundsatz festhalten muß, daß sie, die ihr ganzes
Leben und ihre ganze Kraft dazu hergibt den Beruf zu vollziehen, auch

Principien und Thätigkeiten der Staatsordnung in Widerſpruch geräth.
Dieſer Widerſpruch tritt dann um ſo ſchärfer hervor, wenn die Aner-
kennung der einmal gegebenen Ordnung derſelben von Seite des Staats
auch formell eine unbegränzte, alſo dem Wortlaute nach für alle Zeiten
gültige iſt. In der That iſt in dieſem Falle nicht bloß ein Gegenſatz
zwiſchen dem Rechte und der Ordnung dieſer Körperſchaften und dem
Staate, ſondern für den Staat ſelber vorhanden, da das von ihm ge-
ſetzte Recht mit dem von ihm geforderten Rechte in Widerſpruch ſteht.
Und es iſt offenbar, daß dieſe Verhältniſſe, wie ſie auf dem innerſten
Weſen beider, der Körperſchaften wie des Staats beruhen, auch nur
durch die Betrachtung der höhern Natur beider gelöst werden können.

Dieſe Löſung liegt nun aber in nichts anderem, als in dem ſchon
oben angedeuteten Unterſchiede zwiſchen Corporationen und Stiftungen.

2) Corporationen und ihre Verwaltung.

Die Corporationen gehören der ſtändiſchen Geſellſchaftsordnung;
aber ſie müſſen als eine ganz beſtimmte Erſcheinung derſelben betrachtet
werden, die bei aller Zufälligkeit und Verſchiedenheit im Einzelnen
dennoch in ganz Europa dieſelbe letzte Grundlage darbietet. Eine Cor-
poration entſteht immer auf der Baſis eines gemeinſamen Berufes,
der durch die äußeren Lebensverhältniſſe ſo lange gefährdet oder einer
größeren Entwicklung unfähig erſcheint, als die Berufsgenoſſen vereinzelt
ſich zu ihrem Berufe bilden, oder ihn vereinzelt ausüben wollen. Die
Corporation iſt daher zunächſt ein Verein der Berufsgenoſſen; aber wie
der Beruf ſelbſt, ſeinem Weſen nach, ein dauerndes und organiſches
Moment des Geſammtlebens iſt, das nicht von der Willkür Einzelner
abhängt, ſo ergibt es ſich bei dem Verein ſelbſt ſogleich, daß derſelbe
ein dauernder, auf beſtimmten, dem Weſen des beſtimmten Berufes
entſprechenden und mithin für den Einzelnen unantaſtbaren Ordnungen
beruhen muß. Dieſe Ordnungen entwickeln ſich naturgemäß langſam
aus der Funktion des Berufes ſelbſt; aber einmal entwickelt verſchmelzen
ſie mit dem Berufe ſo innig, daß man ſie ſchwer oder gar nicht mehr
von ihm trennen kann. So wie nun dieſe Ordnungen feſtſtehen, ſo
bildet ſich dem entſprechend auch ein Organismus innerhalb der Berufs-
genoſſen, welcher eben ſo feſt und dauernd wie jene Regeln ſelbſt die
Vollziehung des Berufes bewacht und ordnet. Naturgemäß ſchließt ſich
die ſo entſtehende Berufsgenoſſenſchaft dann von der übrigen Gemein-
ſchaft immer zunächſt in Beziehung auf ihren Beruf und ſeine Voll-
ziehung ab, da ſie den Grundſatz feſthalten muß, daß ſie, die ihr ganzes
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[511/0535] Principien und Thätigkeiten der Staatsordnung in Widerſpruch geräth. Dieſer Widerſpruch tritt dann um ſo ſchärfer hervor, wenn die Aner- kennung der einmal gegebenen Ordnung derſelben von Seite des Staats auch formell eine unbegränzte, alſo dem Wortlaute nach für alle Zeiten gültige iſt. In der That iſt in dieſem Falle nicht bloß ein Gegenſatz zwiſchen dem Rechte und der Ordnung dieſer Körperſchaften und dem Staate, ſondern für den Staat ſelber vorhanden, da das von ihm ge- ſetzte Recht mit dem von ihm geforderten Rechte in Widerſpruch ſteht. Und es iſt offenbar, daß dieſe Verhältniſſe, wie ſie auf dem innerſten Weſen beider, der Körperſchaften wie des Staats beruhen, auch nur durch die Betrachtung der höhern Natur beider gelöst werden können. Dieſe Löſung liegt nun aber in nichts anderem, als in dem ſchon oben angedeuteten Unterſchiede zwiſchen Corporationen und Stiftungen. 2) Corporationen und ihre Verwaltung. Die Corporationen gehören der ſtändiſchen Geſellſchaftsordnung; aber ſie müſſen als eine ganz beſtimmte Erſcheinung derſelben betrachtet werden, die bei aller Zufälligkeit und Verſchiedenheit im Einzelnen dennoch in ganz Europa dieſelbe letzte Grundlage darbietet. Eine Cor- poration entſteht immer auf der Baſis eines gemeinſamen Berufes, der durch die äußeren Lebensverhältniſſe ſo lange gefährdet oder einer größeren Entwicklung unfähig erſcheint, als die Berufsgenoſſen vereinzelt ſich zu ihrem Berufe bilden, oder ihn vereinzelt ausüben wollen. Die Corporation iſt daher zunächſt ein Verein der Berufsgenoſſen; aber wie der Beruf ſelbſt, ſeinem Weſen nach, ein dauerndes und organiſches Moment des Geſammtlebens iſt, das nicht von der Willkür Einzelner abhängt, ſo ergibt es ſich bei dem Verein ſelbſt ſogleich, daß derſelbe ein dauernder, auf beſtimmten, dem Weſen des beſtimmten Berufes entſprechenden und mithin für den Einzelnen unantaſtbaren Ordnungen beruhen muß. Dieſe Ordnungen entwickeln ſich naturgemäß langſam aus der Funktion des Berufes ſelbſt; aber einmal entwickelt verſchmelzen ſie mit dem Berufe ſo innig, daß man ſie ſchwer oder gar nicht mehr von ihm trennen kann. So wie nun dieſe Ordnungen feſtſtehen, ſo bildet ſich dem entſprechend auch ein Organismus innerhalb der Berufs- genoſſen, welcher eben ſo feſt und dauernd wie jene Regeln ſelbſt die Vollziehung des Berufes bewacht und ordnet. Naturgemäß ſchließt ſich die ſo entſtehende Berufsgenoſſenſchaft dann von der übrigen Gemein- ſchaft immer zunächſt in Beziehung auf ihren Beruf und ſeine Voll- ziehung ab, da ſie den Grundſatz feſthalten muß, daß ſie, die ihr ganzes Leben und ihre ganze Kraft dazu hergibt den Beruf zu vollziehen, auch

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 511. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/535>, abgerufen am 16.04.2024.