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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865.

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wenn er ihn auch sehr lebhaft gefühlt hat, da er trotz des Handelsgesetzbuches
sofort in die französische Terminologie zurückgeht. -- Zweitens darf man nicht
vergessen, daß das Handelsgesetzbuch einen Begriff des Vereins allerdings
weder hat, noch haben wollte, sondern nur von den Gesellschaften redet, wodurch
es sich streng auf den französischen Standpunkt stellt, daß es aber dennoch in seinen
praktischen Ausführungen in das Gebiet des Vereinswesens hineingeht, indem
es nicht bloß nach dem Vorgange des Code de commerce (Art. 37) für
jede Aktiengesellschaft die Genehmigung fordert, sondern auch allgemeine Vor-
schriften für die Verfassung und Verwaltung der Aktienvereine, namentlich aber
für die Organisation derselben aufstellt, was wieder ganz geeignet war, das
Vereinswesen mit dem Gesellschaftswesen in verwirrende Verschmelzung zu
bringen, da trotzdem das Handelsgesetzbuch das ganze Gebiet sowohl der Gegen-
seitigkeits- als Beitragsvereine wieder wegläßt (s. unten), und in die Verwal-
tungsvorschriften für die Aktienvereine tiefer hineingreift, als sein ganz bürgerlich
rechtlicher Standpunkt es verstattete. So groß daher der Vortheil ist, den wir
für das Gesellschaftsrecht in mancher Beziehung durch dieß Gesetz gewonnen
haben, so ungewiß ist derselbe für andere Seiten der Sache, und am meisten
für das rechte Verständniß des Vereinswesens. Genügen kann und soll das-
selbe jedenfalls weder im Princip, noch in der Ausführung für das letztere.
Das ist für das Folgende nicht zu übersehen.

2) Die juristische Persönlichkeit.

Indem wir hier von der juristischen Persönlichkeit reden, geben wir
von vornherein die Absicht auf, in eine Kritik der so abweichenden An-
sichten der Theorie einzugehen. Wir gestehen, daß es sich für uns vor
allen Dingen um den Standpunkt handelt, den man bei dieser Begriffs-
bestimmung einnimmt und daß wir die bisherigen Bestrebungen, zu
einer Uebereinstimmung in der letztern zu kommen, gerade darum für so
ergebnißlos halten, weil man sich nicht über den Ausgangspunkt der
Frage gemeine Rechenschaft abgelegt. Uns scheint, daß man sich bisher
Mühe gegeben hat, die Definition der juristischen Persönlichkeiten aus
den Thatsachen zu bilden, welche man als juristische Persönlichkeiten
ansah; in diesem falschen Zirkel war kein fester Begriff möglich, und
nie wird ein solcher möglich werden. Wir gehen im Gegentheil davon
aus, daß man für jenen vielbestrittenen Begriff doch zuerst einen allge-
meineren als Grundlage haben, die juristische Persönlichkeit als eine be-
sondere Bestimmung derselben aus ihr entwickeln, und damit zum Objekt
des Streites und der Verständigung mithin nicht mehr die fertige De-
finition, sondern das Verfahren machen muß, zu welches man zu ihm
gelangte. In der That kann man auf jedem andern Wege zwar zu
sehr viel Streit, aber nur zu wenig festen Resultaten gelangen. Die
bisherige Theorie der juristischen Persönlichkeit beweist das zur Genüge.

wenn er ihn auch ſehr lebhaft gefühlt hat, da er trotz des Handelsgeſetzbuches
ſofort in die franzöſiſche Terminologie zurückgeht. — Zweitens darf man nicht
vergeſſen, daß das Handelsgeſetzbuch einen Begriff des Vereins allerdings
weder hat, noch haben wollte, ſondern nur von den Geſellſchaften redet, wodurch
es ſich ſtreng auf den franzöſiſchen Standpunkt ſtellt, daß es aber dennoch in ſeinen
praktiſchen Ausführungen in das Gebiet des Vereinsweſens hineingeht, indem
es nicht bloß nach dem Vorgange des Code de commerce (Art. 37) für
jede Aktiengeſellſchaft die Genehmigung fordert, ſondern auch allgemeine Vor-
ſchriften für die Verfaſſung und Verwaltung der Aktienvereine, namentlich aber
für die Organiſation derſelben aufſtellt, was wieder ganz geeignet war, das
Vereinsweſen mit dem Geſellſchaftsweſen in verwirrende Verſchmelzung zu
bringen, da trotzdem das Handelsgeſetzbuch das ganze Gebiet ſowohl der Gegen-
ſeitigkeits- als Beitragsvereine wieder wegläßt (ſ. unten), und in die Verwal-
tungsvorſchriften für die Aktienvereine tiefer hineingreift, als ſein ganz bürgerlich
rechtlicher Standpunkt es verſtattete. So groß daher der Vortheil iſt, den wir
für das Geſellſchaftsrecht in mancher Beziehung durch dieß Geſetz gewonnen
haben, ſo ungewiß iſt derſelbe für andere Seiten der Sache, und am meiſten
für das rechte Verſtändniß des Vereinsweſens. Genügen kann und ſoll das-
ſelbe jedenfalls weder im Princip, noch in der Ausführung für das letztere.
Das iſt für das Folgende nicht zu überſehen.

2) Die juriſtiſche Perſönlichkeit.

Indem wir hier von der juriſtiſchen Perſönlichkeit reden, geben wir
von vornherein die Abſicht auf, in eine Kritik der ſo abweichenden An-
ſichten der Theorie einzugehen. Wir geſtehen, daß es ſich für uns vor
allen Dingen um den Standpunkt handelt, den man bei dieſer Begriffs-
beſtimmung einnimmt und daß wir die bisherigen Beſtrebungen, zu
einer Uebereinſtimmung in der letztern zu kommen, gerade darum für ſo
ergebnißlos halten, weil man ſich nicht über den Ausgangspunkt der
Frage gemeine Rechenſchaft abgelegt. Uns ſcheint, daß man ſich bisher
Mühe gegeben hat, die Definition der juriſtiſchen Perſönlichkeiten aus
den Thatſachen zu bilden, welche man als juriſtiſche Perſönlichkeiten
anſah; in dieſem falſchen Zirkel war kein feſter Begriff möglich, und
nie wird ein ſolcher möglich werden. Wir gehen im Gegentheil davon
aus, daß man für jenen vielbeſtrittenen Begriff doch zuerſt einen allge-
meineren als Grundlage haben, die juriſtiſche Perſönlichkeit als eine be-
ſondere Beſtimmung derſelben aus ihr entwickeln, und damit zum Objekt
des Streites und der Verſtändigung mithin nicht mehr die fertige De-
finition, ſondern das Verfahren machen muß, zu welches man zu ihm
gelangte. In der That kann man auf jedem andern Wege zwar zu
ſehr viel Streit, aber nur zu wenig feſten Reſultaten gelangen. Die
bisherige Theorie der juriſtiſchen Perſönlichkeit beweist das zur Genüge.

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[575/0599] wenn er ihn auch ſehr lebhaft gefühlt hat, da er trotz des Handelsgeſetzbuches ſofort in die franzöſiſche Terminologie zurückgeht. — Zweitens darf man nicht vergeſſen, daß das Handelsgeſetzbuch einen Begriff des Vereins allerdings weder hat, noch haben wollte, ſondern nur von den Geſellſchaften redet, wodurch es ſich ſtreng auf den franzöſiſchen Standpunkt ſtellt, daß es aber dennoch in ſeinen praktiſchen Ausführungen in das Gebiet des Vereinsweſens hineingeht, indem es nicht bloß nach dem Vorgange des Code de commerce (Art. 37) für jede Aktiengeſellſchaft die Genehmigung fordert, ſondern auch allgemeine Vor- ſchriften für die Verfaſſung und Verwaltung der Aktienvereine, namentlich aber für die Organiſation derſelben aufſtellt, was wieder ganz geeignet war, das Vereinsweſen mit dem Geſellſchaftsweſen in verwirrende Verſchmelzung zu bringen, da trotzdem das Handelsgeſetzbuch das ganze Gebiet ſowohl der Gegen- ſeitigkeits- als Beitragsvereine wieder wegläßt (ſ. unten), und in die Verwal- tungsvorſchriften für die Aktienvereine tiefer hineingreift, als ſein ganz bürgerlich rechtlicher Standpunkt es verſtattete. So groß daher der Vortheil iſt, den wir für das Geſellſchaftsrecht in mancher Beziehung durch dieß Geſetz gewonnen haben, ſo ungewiß iſt derſelbe für andere Seiten der Sache, und am meiſten für das rechte Verſtändniß des Vereinsweſens. Genügen kann und ſoll das- ſelbe jedenfalls weder im Princip, noch in der Ausführung für das letztere. Das iſt für das Folgende nicht zu überſehen. 2) Die juriſtiſche Perſönlichkeit. Indem wir hier von der juriſtiſchen Perſönlichkeit reden, geben wir von vornherein die Abſicht auf, in eine Kritik der ſo abweichenden An- ſichten der Theorie einzugehen. Wir geſtehen, daß es ſich für uns vor allen Dingen um den Standpunkt handelt, den man bei dieſer Begriffs- beſtimmung einnimmt und daß wir die bisherigen Beſtrebungen, zu einer Uebereinſtimmung in der letztern zu kommen, gerade darum für ſo ergebnißlos halten, weil man ſich nicht über den Ausgangspunkt der Frage gemeine Rechenſchaft abgelegt. Uns ſcheint, daß man ſich bisher Mühe gegeben hat, die Definition der juriſtiſchen Perſönlichkeiten aus den Thatſachen zu bilden, welche man als juriſtiſche Perſönlichkeiten anſah; in dieſem falſchen Zirkel war kein feſter Begriff möglich, und nie wird ein ſolcher möglich werden. Wir gehen im Gegentheil davon aus, daß man für jenen vielbeſtrittenen Begriff doch zuerſt einen allge- meineren als Grundlage haben, die juriſtiſche Perſönlichkeit als eine be- ſondere Beſtimmung derſelben aus ihr entwickeln, und damit zum Objekt des Streites und der Verſtändigung mithin nicht mehr die fertige De- finition, ſondern das Verfahren machen muß, zu welches man zu ihm gelangte. In der That kann man auf jedem andern Wege zwar zu ſehr viel Streit, aber nur zu wenig feſten Reſultaten gelangen. Die bisherige Theorie der juriſtiſchen Perſönlichkeit beweist das zur Genüge.

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 575. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/599>, abgerufen am 29.03.2024.