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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865.

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sind, und daß die Angst der Freiheit vor der Polizei dem tiefern Verständniß
der Verwaltung weichen wird.

II. Das Princip des Zwangsrechts.

Das Princip des Zwangsrechts entsteht nun, indem die beiden
Elemente desselben ihr durch das Wesen der staatsbürgerlichen Frei-
heit gefordertes Verhältniß empfangen. Und indem dieß Verhältniß
zum Gegenstand der Gesetzgebung wird, entsteht das verfassungsmäßige
Zwangsrecht.

Jene beiden Elemente sind, wie schon erwähnt, die Nothwendigkeit,
den selbstherrlichen Willen des Staats auch gegen den Willen des Ein-
zelnen zur Verwirklichung zu bringen, und die Forderung, diesem Willen
seine Selbständigkeit so weit zu erhalten, als es der Wille des Staats
zuläßt. Das erste, der Wille des Staats, indem er durch einzelne Per-
sönlichkeiten ausgeübt wird, empfängt eben dadurch das Element der sub-
jektiven Willkür, und die Selbständigkeit und Freiheit des Einzelnen ist
gerade, gegenüber einer solchen Ausübung des Zwangsrechts des Staats,
in Gefahr, nicht mehr dem Willen des letzteren, sondern dem des ob-
jektiven zwingenden Organs sich unterwerfen zu müssen. Es ist nun
die Aufgabe des Rechts für die vollziehende Gewalt, die Freiheit des
Einzelnen gegen diese Möglichkeit zu schützen, und die Gesammtheit der
Bestimmungen, welche auf diese Weise die zwingende That der einzelnen
vollziehenden Organe auf den wirklichen Inhalt des Staatswillens zurück-
führen, und damit den Einzelnen gegen die Willkür und den Zufall des
Zwanges schützen, bilden das verfassungsmäßige Zwangs- oder
Polizeirecht
, als dritten Theil des verfassungsmäßigen Rechts der
vollziehenden Gewalt.

Dieß verfassungsmäßige Zwangsrecht ist nun zwar in keinem Staate
Gegenstand einer systematischen Gesetzgebung geworden. Allein dennoch
beruht es auf einigen sehr einfachen Grundsätzen, welche, wenn auch
oft zum Theil verkannt, niemals ganz verschwunden sind, und die jetzt
in manchen einzelnen Punkten Gegenstand eingehender Gesetze geworden,
und auch da, wo dieß nicht geschehen, im Wesentlichen als geltendes
Zwangsrecht als anerkannt zu betrachten sind. Nur haben diese Grund-
sätze in den einzelnen Staaten eine verschiedene Gestalt, welche wieder
mit den Principien des Klag- und Competenzrechts innig zusammen-
hängt. Sie lassen sich auf folgende Punkte zurückführen.

1) Jede Ausübung des polizeilichen Zwanges hat zu ihrer ersten
Voraussetzung, daß in demselben die Gewalt des Staates und nicht
die eines Einzelnen gegen den Einzelnen auftritt. Es ist daher das
erste Recht des Einzelnen, im Falle des Zwanges sich diese Gewißheit

ſind, und daß die Angſt der Freiheit vor der Polizei dem tiefern Verſtändniß
der Verwaltung weichen wird.

II. Das Princip des Zwangsrechts.

Das Princip des Zwangsrechts entſteht nun, indem die beiden
Elemente deſſelben ihr durch das Weſen der ſtaatsbürgerlichen Frei-
heit gefordertes Verhältniß empfangen. Und indem dieß Verhältniß
zum Gegenſtand der Geſetzgebung wird, entſteht das verfaſſungsmäßige
Zwangsrecht.

Jene beiden Elemente ſind, wie ſchon erwähnt, die Nothwendigkeit,
den ſelbſtherrlichen Willen des Staats auch gegen den Willen des Ein-
zelnen zur Verwirklichung zu bringen, und die Forderung, dieſem Willen
ſeine Selbſtändigkeit ſo weit zu erhalten, als es der Wille des Staats
zuläßt. Das erſte, der Wille des Staats, indem er durch einzelne Per-
ſönlichkeiten ausgeübt wird, empfängt eben dadurch das Element der ſub-
jektiven Willkür, und die Selbſtändigkeit und Freiheit des Einzelnen iſt
gerade, gegenüber einer ſolchen Ausübung des Zwangsrechts des Staats,
in Gefahr, nicht mehr dem Willen des letzteren, ſondern dem des ob-
jektiven zwingenden Organs ſich unterwerfen zu müſſen. Es iſt nun
die Aufgabe des Rechts für die vollziehende Gewalt, die Freiheit des
Einzelnen gegen dieſe Möglichkeit zu ſchützen, und die Geſammtheit der
Beſtimmungen, welche auf dieſe Weiſe die zwingende That der einzelnen
vollziehenden Organe auf den wirklichen Inhalt des Staatswillens zurück-
führen, und damit den Einzelnen gegen die Willkür und den Zufall des
Zwanges ſchützen, bilden das verfaſſungsmäßige Zwangs- oder
Polizeirecht
, als dritten Theil des verfaſſungsmäßigen Rechts der
vollziehenden Gewalt.

Dieß verfaſſungsmäßige Zwangsrecht iſt nun zwar in keinem Staate
Gegenſtand einer ſyſtematiſchen Geſetzgebung geworden. Allein dennoch
beruht es auf einigen ſehr einfachen Grundſätzen, welche, wenn auch
oft zum Theil verkannt, niemals ganz verſchwunden ſind, und die jetzt
in manchen einzelnen Punkten Gegenſtand eingehender Geſetze geworden,
und auch da, wo dieß nicht geſchehen, im Weſentlichen als geltendes
Zwangsrecht als anerkannt zu betrachten ſind. Nur haben dieſe Grund-
ſätze in den einzelnen Staaten eine verſchiedene Geſtalt, welche wieder
mit den Principien des Klag- und Competenzrechts innig zuſammen-
hängt. Sie laſſen ſich auf folgende Punkte zurückführen.

1) Jede Ausübung des polizeilichen Zwanges hat zu ihrer erſten
Vorausſetzung, daß in demſelben die Gewalt des Staates und nicht
die eines Einzelnen gegen den Einzelnen auftritt. Es iſt daher das
erſte Recht des Einzelnen, im Falle des Zwanges ſich dieſe Gewißheit

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[201/0225] ſind, und daß die Angſt der Freiheit vor der Polizei dem tiefern Verſtändniß der Verwaltung weichen wird. II. Das Princip des Zwangsrechts. Das Princip des Zwangsrechts entſteht nun, indem die beiden Elemente deſſelben ihr durch das Weſen der ſtaatsbürgerlichen Frei- heit gefordertes Verhältniß empfangen. Und indem dieß Verhältniß zum Gegenſtand der Geſetzgebung wird, entſteht das verfaſſungsmäßige Zwangsrecht. Jene beiden Elemente ſind, wie ſchon erwähnt, die Nothwendigkeit, den ſelbſtherrlichen Willen des Staats auch gegen den Willen des Ein- zelnen zur Verwirklichung zu bringen, und die Forderung, dieſem Willen ſeine Selbſtändigkeit ſo weit zu erhalten, als es der Wille des Staats zuläßt. Das erſte, der Wille des Staats, indem er durch einzelne Per- ſönlichkeiten ausgeübt wird, empfängt eben dadurch das Element der ſub- jektiven Willkür, und die Selbſtändigkeit und Freiheit des Einzelnen iſt gerade, gegenüber einer ſolchen Ausübung des Zwangsrechts des Staats, in Gefahr, nicht mehr dem Willen des letzteren, ſondern dem des ob- jektiven zwingenden Organs ſich unterwerfen zu müſſen. Es iſt nun die Aufgabe des Rechts für die vollziehende Gewalt, die Freiheit des Einzelnen gegen dieſe Möglichkeit zu ſchützen, und die Geſammtheit der Beſtimmungen, welche auf dieſe Weiſe die zwingende That der einzelnen vollziehenden Organe auf den wirklichen Inhalt des Staatswillens zurück- führen, und damit den Einzelnen gegen die Willkür und den Zufall des Zwanges ſchützen, bilden das verfaſſungsmäßige Zwangs- oder Polizeirecht, als dritten Theil des verfaſſungsmäßigen Rechts der vollziehenden Gewalt. Dieß verfaſſungsmäßige Zwangsrecht iſt nun zwar in keinem Staate Gegenſtand einer ſyſtematiſchen Geſetzgebung geworden. Allein dennoch beruht es auf einigen ſehr einfachen Grundſätzen, welche, wenn auch oft zum Theil verkannt, niemals ganz verſchwunden ſind, und die jetzt in manchen einzelnen Punkten Gegenſtand eingehender Geſetze geworden, und auch da, wo dieß nicht geſchehen, im Weſentlichen als geltendes Zwangsrecht als anerkannt zu betrachten ſind. Nur haben dieſe Grund- ſätze in den einzelnen Staaten eine verſchiedene Geſtalt, welche wieder mit den Principien des Klag- und Competenzrechts innig zuſammen- hängt. Sie laſſen ſich auf folgende Punkte zurückführen. 1) Jede Ausübung des polizeilichen Zwanges hat zu ihrer erſten Vorausſetzung, daß in demſelben die Gewalt des Staates und nicht die eines Einzelnen gegen den Einzelnen auftritt. Es iſt daher das erſte Recht des Einzelnen, im Falle des Zwanges ſich dieſe Gewißheit

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 201. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/225>, abgerufen am 29.03.2024.