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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865.

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bloß in Umfang und Inhalt, sondern ihrem ganzen Charakter nach so
tief verschieden, daß wir den entsprechenden Unterschied auch in der
Formation der Spitze der Verwaltungsorgane wieder finden. Fast in
ganz Europa war dieser, für ein einzelnes Verwaltungsgebiet bestimmte
Organismus früher ein Körper von Räthen mit einem Präsidenten an
der Spitze, eine Ordnung, welche wir mit einem Worte als das
Collegialsystem bezeichnen, während er gegenwärtig als ein eigent-
liches Ministerium erscheint. Das Wesentliche des Unterschiedes beider
liegt nicht in ihrer Form, sondern in dem Principe der Verwaltung
selber, und ihres Verhältnisses zur gesetzgebenden Gewalt.

1) So lange nämlich die gesetzgebende Gewalt nicht selbständig
neben der vollziehenden steht, ist allerdings dem Principe nach die
Person des Fürsten als Inhaber der Staatsgewalt zugleich der Träger
der Gesetzgebung, und der Unterschied zwischen Verordnung und Gesetz
ist ein rein formeller, da jede Verordnung als Ausfluß des Willens
des Gesetzgebers erscheint. Allein in Wirklichkeit wird, namentlich für
die einzelnen Verwaltungsgebiete, die Gesetzgebung doch durch die
höchsten Organe der Verwaltung ausgeübt, welche Vorschlag und Durch-
führung des Gesetzes in Händen haben. Jeder höchste Verwaltungs-
organismus erscheint daher damals zugleich als ein Organ für die Ge-
setzgebung innerhalb seiner Competenz, und seine Entscheidungen haben
dadurch zugleich den Charakter eines richterlichen Ausspruches. Dadurch
nun wird es nothwendig, aus diesen Verwaltungsorganen berathende
Organe für die zu erlassenden Gesetze, Verordnungen und Entscheidungen
für den persönlichen Willen des Fürsten zu machen. Ein solches Organ
aber ist ohne Werth und Wirkung, wenn jedes Glied desselben nichts
ist als ein Organ der Ausführung. Es muß vielmehr eine gewisse
Selbständigkeit besitzen; es geht ein Theil des Rechts der Volksver-
tretung auf die Aufrechthaltung einer freien subjektiven Anschauung auf
dasselbe über; jedes Glied ist dem andern ganz gleichberechtigt, und
trägt, weil es die besondern Verhältnisse seines speziellen Gebietes per-
sönlich bei dem Fürsten als Gesetzgeber vertritt, auch einen Theil der
persönlichen Verantwortlichkeit für seine Meinung. Daß es diese Ver-
antwortlichkeit nur dem Fürsten gegenüber hat, ändert das Wesen der-
selben nicht. Dazu kommt, daß in der ständischen Epoche die ständischen
Rechte als solche eine Vertretung fordern, welche damit zu der Aufgabe
des einzelnen Mitglieds der höchsten Verwaltungsorgane wird; durch
alles dieß gewinnt das letztere einen ganz specifischen Charakter. Jedes
Mitglied ist neben seiner rein vollziehenden Funktion zugleich ein Rath
des Fürsten, und zwar für die gesetzgeberische Thätigkeit; diese Räthe
sind, jeder für sich, selbständig; zusammengefaßt durch die Gemeinschaft

bloß in Umfang und Inhalt, ſondern ihrem ganzen Charakter nach ſo
tief verſchieden, daß wir den entſprechenden Unterſchied auch in der
Formation der Spitze der Verwaltungsorgane wieder finden. Faſt in
ganz Europa war dieſer, für ein einzelnes Verwaltungsgebiet beſtimmte
Organismus früher ein Körper von Räthen mit einem Präſidenten an
der Spitze, eine Ordnung, welche wir mit einem Worte als das
Collegialſyſtem bezeichnen, während er gegenwärtig als ein eigent-
liches Miniſterium erſcheint. Das Weſentliche des Unterſchiedes beider
liegt nicht in ihrer Form, ſondern in dem Principe der Verwaltung
ſelber, und ihres Verhältniſſes zur geſetzgebenden Gewalt.

1) So lange nämlich die geſetzgebende Gewalt nicht ſelbſtändig
neben der vollziehenden ſteht, iſt allerdings dem Principe nach die
Perſon des Fürſten als Inhaber der Staatsgewalt zugleich der Träger
der Geſetzgebung, und der Unterſchied zwiſchen Verordnung und Geſetz
iſt ein rein formeller, da jede Verordnung als Ausfluß des Willens
des Geſetzgebers erſcheint. Allein in Wirklichkeit wird, namentlich für
die einzelnen Verwaltungsgebiete, die Geſetzgebung doch durch die
höchſten Organe der Verwaltung ausgeübt, welche Vorſchlag und Durch-
führung des Geſetzes in Händen haben. Jeder höchſte Verwaltungs-
organismus erſcheint daher damals zugleich als ein Organ für die Ge-
ſetzgebung innerhalb ſeiner Competenz, und ſeine Entſcheidungen haben
dadurch zugleich den Charakter eines richterlichen Ausſpruches. Dadurch
nun wird es nothwendig, aus dieſen Verwaltungsorganen berathende
Organe für die zu erlaſſenden Geſetze, Verordnungen und Entſcheidungen
für den perſönlichen Willen des Fürſten zu machen. Ein ſolches Organ
aber iſt ohne Werth und Wirkung, wenn jedes Glied deſſelben nichts
iſt als ein Organ der Ausführung. Es muß vielmehr eine gewiſſe
Selbſtändigkeit beſitzen; es geht ein Theil des Rechts der Volksver-
tretung auf die Aufrechthaltung einer freien ſubjektiven Anſchauung auf
daſſelbe über; jedes Glied iſt dem andern ganz gleichberechtigt, und
trägt, weil es die beſondern Verhältniſſe ſeines ſpeziellen Gebietes per-
ſönlich bei dem Fürſten als Geſetzgeber vertritt, auch einen Theil der
perſönlichen Verantwortlichkeit für ſeine Meinung. Daß es dieſe Ver-
antwortlichkeit nur dem Fürſten gegenüber hat, ändert das Weſen der-
ſelben nicht. Dazu kommt, daß in der ſtändiſchen Epoche die ſtändiſchen
Rechte als ſolche eine Vertretung fordern, welche damit zu der Aufgabe
des einzelnen Mitglieds der höchſten Verwaltungsorgane wird; durch
alles dieß gewinnt das letztere einen ganz ſpecifiſchen Charakter. Jedes
Mitglied iſt neben ſeiner rein vollziehenden Funktion zugleich ein Rath
des Fürſten, und zwar für die geſetzgeberiſche Thätigkeit; dieſe Räthe
ſind, jeder für ſich, ſelbſtändig; zuſammengefaßt durch die Gemeinſchaft

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[307/0331] bloß in Umfang und Inhalt, ſondern ihrem ganzen Charakter nach ſo tief verſchieden, daß wir den entſprechenden Unterſchied auch in der Formation der Spitze der Verwaltungsorgane wieder finden. Faſt in ganz Europa war dieſer, für ein einzelnes Verwaltungsgebiet beſtimmte Organismus früher ein Körper von Räthen mit einem Präſidenten an der Spitze, eine Ordnung, welche wir mit einem Worte als das Collegialſyſtem bezeichnen, während er gegenwärtig als ein eigent- liches Miniſterium erſcheint. Das Weſentliche des Unterſchiedes beider liegt nicht in ihrer Form, ſondern in dem Principe der Verwaltung ſelber, und ihres Verhältniſſes zur geſetzgebenden Gewalt. 1) So lange nämlich die geſetzgebende Gewalt nicht ſelbſtändig neben der vollziehenden ſteht, iſt allerdings dem Principe nach die Perſon des Fürſten als Inhaber der Staatsgewalt zugleich der Träger der Geſetzgebung, und der Unterſchied zwiſchen Verordnung und Geſetz iſt ein rein formeller, da jede Verordnung als Ausfluß des Willens des Geſetzgebers erſcheint. Allein in Wirklichkeit wird, namentlich für die einzelnen Verwaltungsgebiete, die Geſetzgebung doch durch die höchſten Organe der Verwaltung ausgeübt, welche Vorſchlag und Durch- führung des Geſetzes in Händen haben. Jeder höchſte Verwaltungs- organismus erſcheint daher damals zugleich als ein Organ für die Ge- ſetzgebung innerhalb ſeiner Competenz, und ſeine Entſcheidungen haben dadurch zugleich den Charakter eines richterlichen Ausſpruches. Dadurch nun wird es nothwendig, aus dieſen Verwaltungsorganen berathende Organe für die zu erlaſſenden Geſetze, Verordnungen und Entſcheidungen für den perſönlichen Willen des Fürſten zu machen. Ein ſolches Organ aber iſt ohne Werth und Wirkung, wenn jedes Glied deſſelben nichts iſt als ein Organ der Ausführung. Es muß vielmehr eine gewiſſe Selbſtändigkeit beſitzen; es geht ein Theil des Rechts der Volksver- tretung auf die Aufrechthaltung einer freien ſubjektiven Anſchauung auf daſſelbe über; jedes Glied iſt dem andern ganz gleichberechtigt, und trägt, weil es die beſondern Verhältniſſe ſeines ſpeziellen Gebietes per- ſönlich bei dem Fürſten als Geſetzgeber vertritt, auch einen Theil der perſönlichen Verantwortlichkeit für ſeine Meinung. Daß es dieſe Ver- antwortlichkeit nur dem Fürſten gegenüber hat, ändert das Weſen der- ſelben nicht. Dazu kommt, daß in der ſtändiſchen Epoche die ſtändiſchen Rechte als ſolche eine Vertretung fordern, welche damit zu der Aufgabe des einzelnen Mitglieds der höchſten Verwaltungsorgane wird; durch alles dieß gewinnt das letztere einen ganz ſpecifiſchen Charakter. Jedes Mitglied iſt neben ſeiner rein vollziehenden Funktion zugleich ein Rath des Fürſten, und zwar für die geſetzgeberiſche Thätigkeit; dieſe Räthe ſind, jeder für ſich, ſelbſtändig; zuſammengefaßt durch die Gemeinſchaft

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 307. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/331>, abgerufen am 29.03.2024.