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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865.

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als selbständige persönliche Organismen auftreten. Diese Einheit der
Verwaltung hat nun die Beziehungen jedes Zweiges derselben zu allen
übrigen zu ihrem Inhalte; und das Gesammtministerium ist dasjenige
Organ, welches eben diese Gemeinsamkeit der Verwaltung in allen ihren
Zweigen zum Ausdruck bringt.

Das Gesammtministerium ist daher dem Staatsrathe in seiner
organischen Stellung so nahe verwandt, daß es erklärlich erscheint,
wenn der Staatsrath wie in England im Ministerrath untergeht, oder
mit ihm denselben Namen hat, wie in Schweden und Norwegen, oder
neben ihm eigentlich ganz verschwindet, wie in Württemberg und andern
Staaten. In der That gehört die ganze Schärfe des administrativen
Bewußtseins der französischen Organisation dazu, um den trotzdem so
tiefgehenden Unterschied beider Organe nicht bloß zu fühlen, sondern
auch ganz bestimmt gesetzlich zu formuliren. Es ist kein Zweifel, daß
ein solcher besteht, und es ist nicht so gar schwer, ihn zu bestimmen.

Das Gesammtministerium ist dasjenige Organ, in welchem die
Bedürfnisse und Forderungen jedes einzelnen Ministeriums mit den
gegebenen Verhältnissen der übrigen Ministerien sich ausgleichen. Im
Ministerrathe wird zunächst immer nur die Ansicht oder Auffassung
Eines Ministeriums im Verhältniß zu den Bedingungen und Folgen
erwogen, welche dieselbe in den übrigen Ministerien finden; die An-
nahme der Anträge Eines Ministeriums bedeutet daher, daß die Ge-
sammtheit der Regierung dieselben zu den ihrigen macht, und sie als
solche der selbständigen Staatsgewalt vorlegt. Diese hat noch immer
die persönliche Entscheidung; damit die letztere aber nicht als subjektiver
Wille, sondern als wohlerwogener Beschluß erscheine, wird sie vom
Staatsrathe motivirt. Der Regel nach wird daher der Ministerrath
als Gesammtministerium vorzugsweise auf dem Boden der praktischen,
der Staatsrath auf dem der theoretischen Wahrheit stehen. Der Minister-
rath wird der Vertreter des gegenwärtigen Zustandes, der Staatsrath
der Vertreter derjenigen Principien sein, welche auch die ferne Zukunft
umfassen. Der Ministerrath wird dem Leben des Volkes, der Staats-
rath der Idee des Staates mehr Rechnung tragen. Es ist nichts nutz-
loser, als die Frage, welches von beiden wichtiger ist; das wahrhaft
Wichtige ist, daß man sie beide in ihrer Nothwendigkeit anerkenne, und
ein glücklicher Zustand ist der, wo beide in Harmonie handeln.

Aus allem diesem aber wird es nun begreiflich sein, wie es zugeht, daß
man über Begriff und Competenz des Gesammtministeriums sich selten
klar ist, und eben deßwegen eine Reihe von Competenzbestimmungen
getroffen hat, welche in den verschiedenen Staaten mannigfach verschieden
sind. Lehrreich für die innere Entwicklung dieser Staaten wird die

als ſelbſtändige perſönliche Organismen auftreten. Dieſe Einheit der
Verwaltung hat nun die Beziehungen jedes Zweiges derſelben zu allen
übrigen zu ihrem Inhalte; und das Geſammtminiſterium iſt dasjenige
Organ, welches eben dieſe Gemeinſamkeit der Verwaltung in allen ihren
Zweigen zum Ausdruck bringt.

Das Geſammtminiſterium iſt daher dem Staatsrathe in ſeiner
organiſchen Stellung ſo nahe verwandt, daß es erklärlich erſcheint,
wenn der Staatsrath wie in England im Miniſterrath untergeht, oder
mit ihm denſelben Namen hat, wie in Schweden und Norwegen, oder
neben ihm eigentlich ganz verſchwindet, wie in Württemberg und andern
Staaten. In der That gehört die ganze Schärfe des adminiſtrativen
Bewußtſeins der franzöſiſchen Organiſation dazu, um den trotzdem ſo
tiefgehenden Unterſchied beider Organe nicht bloß zu fühlen, ſondern
auch ganz beſtimmt geſetzlich zu formuliren. Es iſt kein Zweifel, daß
ein ſolcher beſteht, und es iſt nicht ſo gar ſchwer, ihn zu beſtimmen.

Das Geſammtminiſterium iſt dasjenige Organ, in welchem die
Bedürfniſſe und Forderungen jedes einzelnen Miniſteriums mit den
gegebenen Verhältniſſen der übrigen Miniſterien ſich ausgleichen. Im
Miniſterrathe wird zunächſt immer nur die Anſicht oder Auffaſſung
Eines Miniſteriums im Verhältniß zu den Bedingungen und Folgen
erwogen, welche dieſelbe in den übrigen Miniſterien finden; die An-
nahme der Anträge Eines Miniſteriums bedeutet daher, daß die Ge-
ſammtheit der Regierung dieſelben zu den ihrigen macht, und ſie als
ſolche der ſelbſtändigen Staatsgewalt vorlegt. Dieſe hat noch immer
die perſönliche Entſcheidung; damit die letztere aber nicht als ſubjektiver
Wille, ſondern als wohlerwogener Beſchluß erſcheine, wird ſie vom
Staatsrathe motivirt. Der Regel nach wird daher der Miniſterrath
als Geſammtminiſterium vorzugsweiſe auf dem Boden der praktiſchen,
der Staatsrath auf dem der theoretiſchen Wahrheit ſtehen. Der Miniſter-
rath wird der Vertreter des gegenwärtigen Zuſtandes, der Staatsrath
der Vertreter derjenigen Principien ſein, welche auch die ferne Zukunft
umfaſſen. Der Miniſterrath wird dem Leben des Volkes, der Staats-
rath der Idee des Staates mehr Rechnung tragen. Es iſt nichts nutz-
loſer, als die Frage, welches von beiden wichtiger iſt; das wahrhaft
Wichtige iſt, daß man ſie beide in ihrer Nothwendigkeit anerkenne, und
ein glücklicher Zuſtand iſt der, wo beide in Harmonie handeln.

Aus allem dieſem aber wird es nun begreiflich ſein, wie es zugeht, daß
man über Begriff und Competenz des Geſammtminiſteriums ſich ſelten
klar iſt, und eben deßwegen eine Reihe von Competenzbeſtimmungen
getroffen hat, welche in den verſchiedenen Staaten mannigfach verſchieden
ſind. Lehrreich für die innere Entwicklung dieſer Staaten wird die

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[319/0343] als ſelbſtändige perſönliche Organismen auftreten. Dieſe Einheit der Verwaltung hat nun die Beziehungen jedes Zweiges derſelben zu allen übrigen zu ihrem Inhalte; und das Geſammtminiſterium iſt dasjenige Organ, welches eben dieſe Gemeinſamkeit der Verwaltung in allen ihren Zweigen zum Ausdruck bringt. Das Geſammtminiſterium iſt daher dem Staatsrathe in ſeiner organiſchen Stellung ſo nahe verwandt, daß es erklärlich erſcheint, wenn der Staatsrath wie in England im Miniſterrath untergeht, oder mit ihm denſelben Namen hat, wie in Schweden und Norwegen, oder neben ihm eigentlich ganz verſchwindet, wie in Württemberg und andern Staaten. In der That gehört die ganze Schärfe des adminiſtrativen Bewußtſeins der franzöſiſchen Organiſation dazu, um den trotzdem ſo tiefgehenden Unterſchied beider Organe nicht bloß zu fühlen, ſondern auch ganz beſtimmt geſetzlich zu formuliren. Es iſt kein Zweifel, daß ein ſolcher beſteht, und es iſt nicht ſo gar ſchwer, ihn zu beſtimmen. Das Geſammtminiſterium iſt dasjenige Organ, in welchem die Bedürfniſſe und Forderungen jedes einzelnen Miniſteriums mit den gegebenen Verhältniſſen der übrigen Miniſterien ſich ausgleichen. Im Miniſterrathe wird zunächſt immer nur die Anſicht oder Auffaſſung Eines Miniſteriums im Verhältniß zu den Bedingungen und Folgen erwogen, welche dieſelbe in den übrigen Miniſterien finden; die An- nahme der Anträge Eines Miniſteriums bedeutet daher, daß die Ge- ſammtheit der Regierung dieſelben zu den ihrigen macht, und ſie als ſolche der ſelbſtändigen Staatsgewalt vorlegt. Dieſe hat noch immer die perſönliche Entſcheidung; damit die letztere aber nicht als ſubjektiver Wille, ſondern als wohlerwogener Beſchluß erſcheine, wird ſie vom Staatsrathe motivirt. Der Regel nach wird daher der Miniſterrath als Geſammtminiſterium vorzugsweiſe auf dem Boden der praktiſchen, der Staatsrath auf dem der theoretiſchen Wahrheit ſtehen. Der Miniſter- rath wird der Vertreter des gegenwärtigen Zuſtandes, der Staatsrath der Vertreter derjenigen Principien ſein, welche auch die ferne Zukunft umfaſſen. Der Miniſterrath wird dem Leben des Volkes, der Staats- rath der Idee des Staates mehr Rechnung tragen. Es iſt nichts nutz- loſer, als die Frage, welches von beiden wichtiger iſt; das wahrhaft Wichtige iſt, daß man ſie beide in ihrer Nothwendigkeit anerkenne, und ein glücklicher Zuſtand iſt der, wo beide in Harmonie handeln. Aus allem dieſem aber wird es nun begreiflich ſein, wie es zugeht, daß man über Begriff und Competenz des Geſammtminiſteriums ſich ſelten klar iſt, und eben deßwegen eine Reihe von Competenzbeſtimmungen getroffen hat, welche in den verſchiedenen Staaten mannigfach verſchieden ſind. Lehrreich für die innere Entwicklung dieſer Staaten wird die

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 319. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/343>, abgerufen am 23.04.2024.