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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865.

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Princip das europäische werden solle. Und ob man es nun aner-
kennen mag oder nicht -- es war Deutschland, das damals durch
ein wunderbares und doch so einfach natürliches Zusammenwirken
von Staat, Poesie, Wissenschaft und Volksgeist die Idee des histori-
schen Rechts und mit ihr das große Princip der Selbstverwaltung ge-
rettet hat. Noch immer hat man diese Epoche der Romantik und der
historischen Rechtsschule nicht ganz verstanden. Sie kann erst klar werden
mit dem Inhalt der Lehre von der Selbstverwaltung, die in Deutschland
für Europa erhalten wurde. Durch Deutschland überdauerte ihr
Princip die napoleonische Zeit, und ist jetzt ein Grundstein der orga-
nischen Gestaltung des Verwaltungsorganismus geworden, der nicht
wieder verloren gehen wird.

Mit dem gegenwärtigen Jahrhundert hat nun die Selbstverwaltung
auf dieser Basis eine feste Gestalt gewonnen. Allein wie die großen
bewegenden Elemente der Selbstverwaltung, die gesellschaftliche Ordnung
und die Entwicklung der Staatsidee, ihrerseits tief verschieden sind
auf gleicher Grundlage in den verschiedenen Landen Europas, so ist
nun auch die Selbstverwaltung eine wesentlich verschiedene. Wir haben
schon gesagt, daß die Individualität der Staaten sich vielmehr gerade
in der Selbstverwaltung, als in irgend einem andern Theile des Lebens
zeigt. Wir wollen den Versuch machen, sie hier darzulegen. Allerdings
beruht der Kern derselben dabei in dem Selbstverwaltungskörper; aber wir
dürfen Umfang und Thätigkeit der ersteren niemals durch die letzteren
erschöpfen wollen. Sie bildet ein Ganzes, zu welchem das Verhältniß
der Vertretungen nothwendig hinzugehört, denn es ist aus denselben
Elementen mit dem Verwaltungskörper entstanden, und man wird daher
niemals ein Bild von diesem hochwichtigen Theile des europäischen
Lebens haben, ohne die Vertretungen und die Körper in ihrem orga-
nischen Ineinandergreifen zu erfassen. Das ist die Aufgabe des Fol-
genden; an sie schließt sich dann die Charakteristik der einzelnen
Selbstverwaltungskörper. Beide aber müssen auf die oben aufgestellten
allgemeinen, und daher für alle Formationen gültigen Kategorien zurück-
geführt werden.

V. Die drei großen Culturstaaten.
a) Die Selbstverwaltung Englands.

Wir sind gewohnt, England als die eigentliche Heimath der Selbst-
verwaltung anzusehen, und mit Recht. Auch der Name stammt aus
England. An England lernen wir gerade in der Selbstverwaltung,
was ein großes Volk vermag, indem es sich selber für seine eigene

Stein, die Verwaltungslehre. I. 25

Princip das europäiſche werden ſolle. Und ob man es nun aner-
kennen mag oder nicht — es war Deutſchland, das damals durch
ein wunderbares und doch ſo einfach natürliches Zuſammenwirken
von Staat, Poeſie, Wiſſenſchaft und Volksgeiſt die Idee des hiſtori-
ſchen Rechts und mit ihr das große Princip der Selbſtverwaltung ge-
rettet hat. Noch immer hat man dieſe Epoche der Romantik und der
hiſtoriſchen Rechtsſchule nicht ganz verſtanden. Sie kann erſt klar werden
mit dem Inhalt der Lehre von der Selbſtverwaltung, die in Deutſchland
für Europa erhalten wurde. Durch Deutſchland überdauerte ihr
Princip die napoleoniſche Zeit, und iſt jetzt ein Grundſtein der orga-
niſchen Geſtaltung des Verwaltungsorganismus geworden, der nicht
wieder verloren gehen wird.

Mit dem gegenwärtigen Jahrhundert hat nun die Selbſtverwaltung
auf dieſer Baſis eine feſte Geſtalt gewonnen. Allein wie die großen
bewegenden Elemente der Selbſtverwaltung, die geſellſchaftliche Ordnung
und die Entwicklung der Staatsidee, ihrerſeits tief verſchieden ſind
auf gleicher Grundlage in den verſchiedenen Landen Europas, ſo iſt
nun auch die Selbſtverwaltung eine weſentlich verſchiedene. Wir haben
ſchon geſagt, daß die Individualität der Staaten ſich vielmehr gerade
in der Selbſtverwaltung, als in irgend einem andern Theile des Lebens
zeigt. Wir wollen den Verſuch machen, ſie hier darzulegen. Allerdings
beruht der Kern derſelben dabei in dem Selbſtverwaltungskörper; aber wir
dürfen Umfang und Thätigkeit der erſteren niemals durch die letzteren
erſchöpfen wollen. Sie bildet ein Ganzes, zu welchem das Verhältniß
der Vertretungen nothwendig hinzugehört, denn es iſt aus denſelben
Elementen mit dem Verwaltungskörper entſtanden, und man wird daher
niemals ein Bild von dieſem hochwichtigen Theile des europäiſchen
Lebens haben, ohne die Vertretungen und die Körper in ihrem orga-
niſchen Ineinandergreifen zu erfaſſen. Das iſt die Aufgabe des Fol-
genden; an ſie ſchließt ſich dann die Charakteriſtik der einzelnen
Selbſtverwaltungskörper. Beide aber müſſen auf die oben aufgeſtellten
allgemeinen, und daher für alle Formationen gültigen Kategorien zurück-
geführt werden.

V. Die drei großen Culturſtaaten.
a) Die Selbſtverwaltung Englands.

Wir ſind gewohnt, England als die eigentliche Heimath der Selbſt-
verwaltung anzuſehen, und mit Recht. Auch der Name ſtammt aus
England. An England lernen wir gerade in der Selbſtverwaltung,
was ein großes Volk vermag, indem es ſich ſelber für ſeine eigene

Stein, die Verwaltungslehre. I. 25
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[385/0409] Princip das europäiſche werden ſolle. Und ob man es nun aner- kennen mag oder nicht — es war Deutſchland, das damals durch ein wunderbares und doch ſo einfach natürliches Zuſammenwirken von Staat, Poeſie, Wiſſenſchaft und Volksgeiſt die Idee des hiſtori- ſchen Rechts und mit ihr das große Princip der Selbſtverwaltung ge- rettet hat. Noch immer hat man dieſe Epoche der Romantik und der hiſtoriſchen Rechtsſchule nicht ganz verſtanden. Sie kann erſt klar werden mit dem Inhalt der Lehre von der Selbſtverwaltung, die in Deutſchland für Europa erhalten wurde. Durch Deutſchland überdauerte ihr Princip die napoleoniſche Zeit, und iſt jetzt ein Grundſtein der orga- niſchen Geſtaltung des Verwaltungsorganismus geworden, der nicht wieder verloren gehen wird. Mit dem gegenwärtigen Jahrhundert hat nun die Selbſtverwaltung auf dieſer Baſis eine feſte Geſtalt gewonnen. Allein wie die großen bewegenden Elemente der Selbſtverwaltung, die geſellſchaftliche Ordnung und die Entwicklung der Staatsidee, ihrerſeits tief verſchieden ſind auf gleicher Grundlage in den verſchiedenen Landen Europas, ſo iſt nun auch die Selbſtverwaltung eine weſentlich verſchiedene. Wir haben ſchon geſagt, daß die Individualität der Staaten ſich vielmehr gerade in der Selbſtverwaltung, als in irgend einem andern Theile des Lebens zeigt. Wir wollen den Verſuch machen, ſie hier darzulegen. Allerdings beruht der Kern derſelben dabei in dem Selbſtverwaltungskörper; aber wir dürfen Umfang und Thätigkeit der erſteren niemals durch die letzteren erſchöpfen wollen. Sie bildet ein Ganzes, zu welchem das Verhältniß der Vertretungen nothwendig hinzugehört, denn es iſt aus denſelben Elementen mit dem Verwaltungskörper entſtanden, und man wird daher niemals ein Bild von dieſem hochwichtigen Theile des europäiſchen Lebens haben, ohne die Vertretungen und die Körper in ihrem orga- niſchen Ineinandergreifen zu erfaſſen. Das iſt die Aufgabe des Fol- genden; an ſie ſchließt ſich dann die Charakteriſtik der einzelnen Selbſtverwaltungskörper. Beide aber müſſen auf die oben aufgeſtellten allgemeinen, und daher für alle Formationen gültigen Kategorien zurück- geführt werden. V. Die drei großen Culturſtaaten. a) Die Selbſtverwaltung Englands. Wir ſind gewohnt, England als die eigentliche Heimath der Selbſt- verwaltung anzuſehen, und mit Recht. Auch der Name ſtammt aus England. An England lernen wir gerade in der Selbſtverwaltung, was ein großes Volk vermag, indem es ſich ſelber für ſeine eigene Stein, die Verwaltungslehre. I. 25

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 385. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/409>, abgerufen am 28.03.2024.