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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865.

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unterworfene Körper der Staatsverwaltung. Der Gang seiner Geschichte
beruht auf der Natur der beiden Faktoren, welche sie selbst erzeugt
haben, und die wir auch hier als das natürliche und das persönliche
(sociale) Element bezeichnen.

Die gegebene Grundlage der Landschaft ist einerseits das natür-
liche Element das Land, insofern es ein natürlich begränztes, mit den
wirthschaftlichen Verhältnissen in allen seinen Theilen sich bedingendes
Ganze ist; andererseits das persönliche Element der Stämme, die
Gleichartigkeit und Gemeinschaft, welche sich durch Sprache, Sitte und
Gebräuche erzeugt, an die sich dann auch die Bildung des Gewohn-
heitsrechts anschließt.

Allein so einfach und klar der Begriff beider Elemente ist, so wenig
ist es möglich, eine bestimmte Gränze für beide festzustellen. Die Be-
wegung des Volkslebens, welche den Einzelnen in das Ganze hinein-
zieht, verallgemeinert die Bedingungen und Grundverhältnisse des Ge-
sammtlebens, und verschmilzt Land und Stamm zwar langsam aber
unwiderstehlich mit Reich und Volk. Und es ist daher einleuchtend,
daß die Selbständigkeit von Land und Stamm so wie alles was sich
an dieselbe anschließt, ihrerseits in dem Maaße verschwindet, in welchem
die Bewegung des gesammten Volkslebens eine größere Gemeinschaft
und Einheit des Ganzen hervorbringt.

Andererseits läßt es sich nicht läugnen, daß unter gewissen Ver-
hältnissen jene Selbständigkeit wieder niemals ganz verschwinden kann.
Denn die Staatenbildung in Europa hat vielfach Landesverhältnisse
zusammengefaßt, welche durch ihre Natur eine Berechtigung dauernder
Selbständigkeit haben. Das aber hängt dann nicht vom Begriffe der
Sache, sondern von den gegebenen Verhältnissen ab; und so ergibt sich,
daß hier eine große und zum Theil sehr zufällige Verschiedenheit ob-
waltet, indem auch die auf jener Selbständigkeit von Land und Stamm
beruhende Verschiedenheit in einigen Reichen, freilich unter Mitwirkung
geschichtlicher Entwicklung, ganz verwischt ist, während sie in anderen
sich klar und fest erhalten hat. Man muß deßhalb davon ausgehen,
daß in dieser Beziehung jedes Land seine eigene Gestalt und Entwick-
lung hat; dennoch ist auch wieder ein Gemeinsames vorhanden, das
freilich, wenn man es für ganz Europa darstellen will, nur langsam
seine feste Form für die neueste Zeit annimmt. Die entscheidenden
Punkte aber sind folgende.

Wir können auch hier die zwei Epochen scheiden, welche uns die
Zeit der Herrschaft der zwei große Gesellschaftsformen, der ständischen
und der staatsbürgerlichen, bezeichnen. In jeder derselben hat die Land-
schaft einen anderen Charakter.


unterworfene Körper der Staatsverwaltung. Der Gang ſeiner Geſchichte
beruht auf der Natur der beiden Faktoren, welche ſie ſelbſt erzeugt
haben, und die wir auch hier als das natürliche und das perſönliche
(ſociale) Element bezeichnen.

Die gegebene Grundlage der Landſchaft iſt einerſeits das natür-
liche Element das Land, inſofern es ein natürlich begränztes, mit den
wirthſchaftlichen Verhältniſſen in allen ſeinen Theilen ſich bedingendes
Ganze iſt; andererſeits das perſönliche Element der Stämme, die
Gleichartigkeit und Gemeinſchaft, welche ſich durch Sprache, Sitte und
Gebräuche erzeugt, an die ſich dann auch die Bildung des Gewohn-
heitsrechts anſchließt.

Allein ſo einfach und klar der Begriff beider Elemente iſt, ſo wenig
iſt es möglich, eine beſtimmte Gränze für beide feſtzuſtellen. Die Be-
wegung des Volkslebens, welche den Einzelnen in das Ganze hinein-
zieht, verallgemeinert die Bedingungen und Grundverhältniſſe des Ge-
ſammtlebens, und verſchmilzt Land und Stamm zwar langſam aber
unwiderſtehlich mit Reich und Volk. Und es iſt daher einleuchtend,
daß die Selbſtändigkeit von Land und Stamm ſo wie alles was ſich
an dieſelbe anſchließt, ihrerſeits in dem Maaße verſchwindet, in welchem
die Bewegung des geſammten Volkslebens eine größere Gemeinſchaft
und Einheit des Ganzen hervorbringt.

Andererſeits läßt es ſich nicht läugnen, daß unter gewiſſen Ver-
hältniſſen jene Selbſtändigkeit wieder niemals ganz verſchwinden kann.
Denn die Staatenbildung in Europa hat vielfach Landesverhältniſſe
zuſammengefaßt, welche durch ihre Natur eine Berechtigung dauernder
Selbſtändigkeit haben. Das aber hängt dann nicht vom Begriffe der
Sache, ſondern von den gegebenen Verhältniſſen ab; und ſo ergibt ſich,
daß hier eine große und zum Theil ſehr zufällige Verſchiedenheit ob-
waltet, indem auch die auf jener Selbſtändigkeit von Land und Stamm
beruhende Verſchiedenheit in einigen Reichen, freilich unter Mitwirkung
geſchichtlicher Entwicklung, ganz verwiſcht iſt, während ſie in anderen
ſich klar und feſt erhalten hat. Man muß deßhalb davon ausgehen,
daß in dieſer Beziehung jedes Land ſeine eigene Geſtalt und Entwick-
lung hat; dennoch iſt auch wieder ein Gemeinſames vorhanden, das
freilich, wenn man es für ganz Europa darſtellen will, nur langſam
ſeine feſte Form für die neueſte Zeit annimmt. Die entſcheidenden
Punkte aber ſind folgende.

Wir können auch hier die zwei Epochen ſcheiden, welche uns die
Zeit der Herrſchaft der zwei große Geſellſchaftsformen, der ſtändiſchen
und der ſtaatsbürgerlichen, bezeichnen. In jeder derſelben hat die Land-
ſchaft einen anderen Charakter.


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[407/0431] unterworfene Körper der Staatsverwaltung. Der Gang ſeiner Geſchichte beruht auf der Natur der beiden Faktoren, welche ſie ſelbſt erzeugt haben, und die wir auch hier als das natürliche und das perſönliche (ſociale) Element bezeichnen. Die gegebene Grundlage der Landſchaft iſt einerſeits das natür- liche Element das Land, inſofern es ein natürlich begränztes, mit den wirthſchaftlichen Verhältniſſen in allen ſeinen Theilen ſich bedingendes Ganze iſt; andererſeits das perſönliche Element der Stämme, die Gleichartigkeit und Gemeinſchaft, welche ſich durch Sprache, Sitte und Gebräuche erzeugt, an die ſich dann auch die Bildung des Gewohn- heitsrechts anſchließt. Allein ſo einfach und klar der Begriff beider Elemente iſt, ſo wenig iſt es möglich, eine beſtimmte Gränze für beide feſtzuſtellen. Die Be- wegung des Volkslebens, welche den Einzelnen in das Ganze hinein- zieht, verallgemeinert die Bedingungen und Grundverhältniſſe des Ge- ſammtlebens, und verſchmilzt Land und Stamm zwar langſam aber unwiderſtehlich mit Reich und Volk. Und es iſt daher einleuchtend, daß die Selbſtändigkeit von Land und Stamm ſo wie alles was ſich an dieſelbe anſchließt, ihrerſeits in dem Maaße verſchwindet, in welchem die Bewegung des geſammten Volkslebens eine größere Gemeinſchaft und Einheit des Ganzen hervorbringt. Andererſeits läßt es ſich nicht läugnen, daß unter gewiſſen Ver- hältniſſen jene Selbſtändigkeit wieder niemals ganz verſchwinden kann. Denn die Staatenbildung in Europa hat vielfach Landesverhältniſſe zuſammengefaßt, welche durch ihre Natur eine Berechtigung dauernder Selbſtändigkeit haben. Das aber hängt dann nicht vom Begriffe der Sache, ſondern von den gegebenen Verhältniſſen ab; und ſo ergibt ſich, daß hier eine große und zum Theil ſehr zufällige Verſchiedenheit ob- waltet, indem auch die auf jener Selbſtändigkeit von Land und Stamm beruhende Verſchiedenheit in einigen Reichen, freilich unter Mitwirkung geſchichtlicher Entwicklung, ganz verwiſcht iſt, während ſie in anderen ſich klar und feſt erhalten hat. Man muß deßhalb davon ausgehen, daß in dieſer Beziehung jedes Land ſeine eigene Geſtalt und Entwick- lung hat; dennoch iſt auch wieder ein Gemeinſames vorhanden, das freilich, wenn man es für ganz Europa darſtellen will, nur langſam ſeine feſte Form für die neueſte Zeit annimmt. Die entſcheidenden Punkte aber ſind folgende. Wir können auch hier die zwei Epochen ſcheiden, welche uns die Zeit der Herrſchaft der zwei große Geſellſchaftsformen, der ſtändiſchen und der ſtaatsbürgerlichen, bezeichnen. In jeder derſelben hat die Land- ſchaft einen anderen Charakter.

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 407. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/431>, abgerufen am 16.04.2024.