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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865.

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Die eigentliche Staatsverwaltung kann nämlich die örtliche Ver-
waltung ganz dem Systeme der Selbstverwaltungskörper überlassen,
und in diesem Falle nur mit ihren Organen dafür sorgen, daß die
letzteren den gesetzlichen Staatswillen auch wirklich vollziehen, indem sie
sie auf gerichtlichem Wege dazu zwingt, ohne selbständig einzugreifen.
Hier gibt es daher eigentlich nur ein Behördensystem für das Gericht,
und dieß Gericht muß sich mit seiner Competenz demgemäß streng an
die örtliche Competenz des Systems der Selbstverwaltung und ihrer
Körper anschließen, während die örtliche Verwaltung ganz in den Hän-
den des Gemeindesystems liegt. Das ist das englisch-nordamerikanische
System.

Die Staatsverwaltung kann aber zweitens die örtliche Verwaltung
sich vorbehalten, und der Selbstverwaltung ihren Antheil nur in der
Form von Rath und Beschluß in den örtlichen Angelegenheiten belassen,
während jede wirkliche Vollziehung bei ihr bleibt. In diesem Falle
wird der ganze Organismus der Selbstverwaltung sich an den Behör-
denorganismus anschließen, und das Haupt der Selbstverwaltungs-
körper selbst nichts als ein behördliches Organ sein. Die Competenz
des Gerichts wird dadurch gleichgültig gegen die Körper der Selbstver-
waltung, und steht selbständig da. Das ist das französisch-belgische
System.

Endlich kann die Staatsverwaltung die Selbstverwaltungskörper
für gewisse Aufgaben als wirkliche Amtskörper anerkennen, für gewisse
Funktionen sie ganz ausschließen, für gewisse andere dagegen sie in der
Form von Vertretungen bei den Behörden zulassen. Hier ist im Ein-
zelnen natürlich eine große Mannigfaltigkeit in der Vertheilung jener
Rechte und Aufgaben möglich. Den Ausdruck derselben bilden zwei
Dinge. Erstlich die förmliche Anerkennung der Selbstverwaltungs-
körper als behördliches Organ mit Amtsgewalt für bestimmte ad-
ministrative Aufgaben, zweitens der Antheil, den die Staatsgewalt
an der Ernennung des Hauptes dieses Selbstverwaltungskörpers nimmt.
Will man dafür die bezeichnenden Ausdrücke, so kann man sie in fol-
gender Weise feststellen, und es wäre sehr viel gewonnen, wenn
man sich über dieselben einmal für allemal einigte. Wir würden den
Theil, den ein Körper der Selbstverwaltung als Behörde und mit
amtlichem Rechte im Namen der Regierung übernimmt, wo sie also
als wirkliche Behörde funktionirt, den amtlichen Wirkungskreis
desselben (in Oesterreich der "übertragene Wirkungskreis") nennen; den-
jenigen Theil dagegen, den sie vermöge des Rechts auf Selbstverwal-
tung ausübt, als den freien Wirkungskreis (in Oesterreich der
"natürliche Wirkungskreis") bezeichnen. Das Wesen des amtlichen

Die eigentliche Staatsverwaltung kann nämlich die örtliche Ver-
waltung ganz dem Syſteme der Selbſtverwaltungskörper überlaſſen,
und in dieſem Falle nur mit ihren Organen dafür ſorgen, daß die
letzteren den geſetzlichen Staatswillen auch wirklich vollziehen, indem ſie
ſie auf gerichtlichem Wege dazu zwingt, ohne ſelbſtändig einzugreifen.
Hier gibt es daher eigentlich nur ein Behördenſyſtem für das Gericht,
und dieß Gericht muß ſich mit ſeiner Competenz demgemäß ſtreng an
die örtliche Competenz des Syſtems der Selbſtverwaltung und ihrer
Körper anſchließen, während die örtliche Verwaltung ganz in den Hän-
den des Gemeindeſyſtems liegt. Das iſt das engliſch-nordamerikaniſche
Syſtem.

Die Staatsverwaltung kann aber zweitens die örtliche Verwaltung
ſich vorbehalten, und der Selbſtverwaltung ihren Antheil nur in der
Form von Rath und Beſchluß in den örtlichen Angelegenheiten belaſſen,
während jede wirkliche Vollziehung bei ihr bleibt. In dieſem Falle
wird der ganze Organismus der Selbſtverwaltung ſich an den Behör-
denorganismus anſchließen, und das Haupt der Selbſtverwaltungs-
körper ſelbſt nichts als ein behördliches Organ ſein. Die Competenz
des Gerichts wird dadurch gleichgültig gegen die Körper der Selbſtver-
waltung, und ſteht ſelbſtändig da. Das iſt das franzöſiſch-belgiſche
Syſtem.

Endlich kann die Staatsverwaltung die Selbſtverwaltungskörper
für gewiſſe Aufgaben als wirkliche Amtskörper anerkennen, für gewiſſe
Funktionen ſie ganz ausſchließen, für gewiſſe andere dagegen ſie in der
Form von Vertretungen bei den Behörden zulaſſen. Hier iſt im Ein-
zelnen natürlich eine große Mannigfaltigkeit in der Vertheilung jener
Rechte und Aufgaben möglich. Den Ausdruck derſelben bilden zwei
Dinge. Erſtlich die förmliche Anerkennung der Selbſtverwaltungs-
körper als behördliches Organ mit Amtsgewalt für beſtimmte ad-
miniſtrative Aufgaben, zweitens der Antheil, den die Staatsgewalt
an der Ernennung des Hauptes dieſes Selbſtverwaltungskörpers nimmt.
Will man dafür die bezeichnenden Ausdrücke, ſo kann man ſie in fol-
gender Weiſe feſtſtellen, und es wäre ſehr viel gewonnen, wenn
man ſich über dieſelben einmal für allemal einigte. Wir würden den
Theil, den ein Körper der Selbſtverwaltung als Behörde und mit
amtlichem Rechte im Namen der Regierung übernimmt, wo ſie alſo
als wirkliche Behörde funktionirt, den amtlichen Wirkungskreis
deſſelben (in Oeſterreich der „übertragene Wirkungskreis“) nennen; den-
jenigen Theil dagegen, den ſie vermöge des Rechts auf Selbſtverwal-
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„natürliche Wirkungskreis“) bezeichnen. Das Weſen des amtlichen

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[439/0463] Die eigentliche Staatsverwaltung kann nämlich die örtliche Ver- waltung ganz dem Syſteme der Selbſtverwaltungskörper überlaſſen, und in dieſem Falle nur mit ihren Organen dafür ſorgen, daß die letzteren den geſetzlichen Staatswillen auch wirklich vollziehen, indem ſie ſie auf gerichtlichem Wege dazu zwingt, ohne ſelbſtändig einzugreifen. Hier gibt es daher eigentlich nur ein Behördenſyſtem für das Gericht, und dieß Gericht muß ſich mit ſeiner Competenz demgemäß ſtreng an die örtliche Competenz des Syſtems der Selbſtverwaltung und ihrer Körper anſchließen, während die örtliche Verwaltung ganz in den Hän- den des Gemeindeſyſtems liegt. Das iſt das engliſch-nordamerikaniſche Syſtem. Die Staatsverwaltung kann aber zweitens die örtliche Verwaltung ſich vorbehalten, und der Selbſtverwaltung ihren Antheil nur in der Form von Rath und Beſchluß in den örtlichen Angelegenheiten belaſſen, während jede wirkliche Vollziehung bei ihr bleibt. In dieſem Falle wird der ganze Organismus der Selbſtverwaltung ſich an den Behör- denorganismus anſchließen, und das Haupt der Selbſtverwaltungs- körper ſelbſt nichts als ein behördliches Organ ſein. Die Competenz des Gerichts wird dadurch gleichgültig gegen die Körper der Selbſtver- waltung, und ſteht ſelbſtändig da. Das iſt das franzöſiſch-belgiſche Syſtem. Endlich kann die Staatsverwaltung die Selbſtverwaltungskörper für gewiſſe Aufgaben als wirkliche Amtskörper anerkennen, für gewiſſe Funktionen ſie ganz ausſchließen, für gewiſſe andere dagegen ſie in der Form von Vertretungen bei den Behörden zulaſſen. Hier iſt im Ein- zelnen natürlich eine große Mannigfaltigkeit in der Vertheilung jener Rechte und Aufgaben möglich. Den Ausdruck derſelben bilden zwei Dinge. Erſtlich die förmliche Anerkennung der Selbſtverwaltungs- körper als behördliches Organ mit Amtsgewalt für beſtimmte ad- miniſtrative Aufgaben, zweitens der Antheil, den die Staatsgewalt an der Ernennung des Hauptes dieſes Selbſtverwaltungskörpers nimmt. Will man dafür die bezeichnenden Ausdrücke, ſo kann man ſie in fol- gender Weiſe feſtſtellen, und es wäre ſehr viel gewonnen, wenn man ſich über dieſelben einmal für allemal einigte. Wir würden den Theil, den ein Körper der Selbſtverwaltung als Behörde und mit amtlichem Rechte im Namen der Regierung übernimmt, wo ſie alſo als wirkliche Behörde funktionirt, den amtlichen Wirkungskreis deſſelben (in Oeſterreich der „übertragene Wirkungskreis“) nennen; den- jenigen Theil dagegen, den ſie vermöge des Rechts auf Selbſtverwal- tung ausübt, als den freien Wirkungskreis (in Oeſterreich der „natürliche Wirkungskreis“) bezeichnen. Das Weſen des amtlichen

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 439. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/463>, abgerufen am 29.03.2024.