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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865.

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Selbstverwaltung unseres Jahrhunderts bewegt. Es ist klar, daß hier
höchst verschiedene Gestaltungen eintreten können; es ist gewiß, daß
dieselben auch vorhanden sind. Wir wollen nun nach den obigen Kate-
gorien versuchen, ein Bild der drei Grundformen der europäischen ört-
lichen Selbstverwaltung in England, Frankreich und Deutschland zu
entwerfen.

5) Die Grundformen der europäischen örtlichen Selbstverwaltung.

Wir dürfen für die nachfolgende kurze Charakteristik wohl einige
Bemerkungen vorausschicken, da dieselbe allerdings nicht an die ge-
wöhnliche Auffassung anzuknüpfen hat.

Zuerst erinnern wir, daß wir die Landschaften von der örtlichen
Selbstverwaltung geschieden haben, weil sie uns, wenn auch in der
Form vieles ähnliche mit der letzteren besitzend, doch in der Sache sich
wesentlich von derselben trennen. Wir dürfen uns daher an das oben
Gesagte hier anschließen.

Wir dürfen ferner darauf hinweisen, daß der Name des Gemeinde-
wesens
nur deßhalb von uns beibehalten wird, weil man ihn in
Deutschland gewöhnt ist. Aber es wird schon aus dem Bisherigen her-
vorgegangen sein, daß nichts verkehrter ist, als die deutsche Auffassung
der Gemeinde der Lehre von der Selbstverwaltung, auch der örtlichen,
zu Grunde zu legen. Die deutsche Bezeichnung, wie der deutsche Begriff
sind vorwiegend historischer Natur, und es ist daher ein Verständniß
der Selbstverwaltung fast unmöglich, wenn man ihn als einen für
Europa, oder auch für die Sache an sich gültigen erkennen wollte.

Wir glauben endlich das Wesen der örtlichen Selbstverwaltung im
Princip, System und innerem Recht in der Hauptsache zu erschöpfen,
wenn wir die drei großen Grundformen derselben in England, Frank-
reich und Deutschland hinzeichnen. Es ist ganz unmöglich, hier für das
Einzelne zu genügen. Aber unsere Aufgabe soll es eben sein, die lei-
tenden Principien der Vergleichung festzustellen.

Wir müssen endlich einen letzten Punkt hervorheben. Auch an die
Selbstverwaltung schließt sich die Frage nach der verfassungsmäßi-
gen Verwaltung
, nach den Organen und Grundsätzen, durch welche
jene allerdings an sich selbständige Thätigkeit der Selbstverwaltungs-
körper mit dem geltenden Recht in Harmonie gebracht wird. Diese
Frage nun kann natürlich nicht mehr einseitig aus dem Wesen und
Recht dieser Körper beantwortet werden. Ihre Beantwortung, die ver-
fassungsmäßige Verwaltung der Selbstverwaltungskörper, ergibt sich
aus dem Leben und Recht des gesammten Staats. Wir haben jenes

Selbſtverwaltung unſeres Jahrhunderts bewegt. Es iſt klar, daß hier
höchſt verſchiedene Geſtaltungen eintreten können; es iſt gewiß, daß
dieſelben auch vorhanden ſind. Wir wollen nun nach den obigen Kate-
gorien verſuchen, ein Bild der drei Grundformen der europäiſchen ört-
lichen Selbſtverwaltung in England, Frankreich und Deutſchland zu
entwerfen.

5) Die Grundformen der europäiſchen örtlichen Selbſtverwaltung.

Wir dürfen für die nachfolgende kurze Charakteriſtik wohl einige
Bemerkungen vorausſchicken, da dieſelbe allerdings nicht an die ge-
wöhnliche Auffaſſung anzuknüpfen hat.

Zuerſt erinnern wir, daß wir die Landſchaften von der örtlichen
Selbſtverwaltung geſchieden haben, weil ſie uns, wenn auch in der
Form vieles ähnliche mit der letzteren beſitzend, doch in der Sache ſich
weſentlich von derſelben trennen. Wir dürfen uns daher an das oben
Geſagte hier anſchließen.

Wir dürfen ferner darauf hinweiſen, daß der Name des Gemeinde-
weſens
nur deßhalb von uns beibehalten wird, weil man ihn in
Deutſchland gewöhnt iſt. Aber es wird ſchon aus dem Bisherigen her-
vorgegangen ſein, daß nichts verkehrter iſt, als die deutſche Auffaſſung
der Gemeinde der Lehre von der Selbſtverwaltung, auch der örtlichen,
zu Grunde zu legen. Die deutſche Bezeichnung, wie der deutſche Begriff
ſind vorwiegend hiſtoriſcher Natur, und es iſt daher ein Verſtändniß
der Selbſtverwaltung faſt unmöglich, wenn man ihn als einen für
Europa, oder auch für die Sache an ſich gültigen erkennen wollte.

Wir glauben endlich das Weſen der örtlichen Selbſtverwaltung im
Princip, Syſtem und innerem Recht in der Hauptſache zu erſchöpfen,
wenn wir die drei großen Grundformen derſelben in England, Frank-
reich und Deutſchland hinzeichnen. Es iſt ganz unmöglich, hier für das
Einzelne zu genügen. Aber unſere Aufgabe ſoll es eben ſein, die lei-
tenden Principien der Vergleichung feſtzuſtellen.

Wir müſſen endlich einen letzten Punkt hervorheben. Auch an die
Selbſtverwaltung ſchließt ſich die Frage nach der verfaſſungsmäßi-
gen Verwaltung
, nach den Organen und Grundſätzen, durch welche
jene allerdings an ſich ſelbſtändige Thätigkeit der Selbſtverwaltungs-
körper mit dem geltenden Recht in Harmonie gebracht wird. Dieſe
Frage nun kann natürlich nicht mehr einſeitig aus dem Weſen und
Recht dieſer Körper beantwortet werden. Ihre Beantwortung, die ver-
faſſungsmäßige Verwaltung der Selbſtverwaltungskörper, ergibt ſich
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[463/0487] Selbſtverwaltung unſeres Jahrhunderts bewegt. Es iſt klar, daß hier höchſt verſchiedene Geſtaltungen eintreten können; es iſt gewiß, daß dieſelben auch vorhanden ſind. Wir wollen nun nach den obigen Kate- gorien verſuchen, ein Bild der drei Grundformen der europäiſchen ört- lichen Selbſtverwaltung in England, Frankreich und Deutſchland zu entwerfen. 5) Die Grundformen der europäiſchen örtlichen Selbſtverwaltung. Wir dürfen für die nachfolgende kurze Charakteriſtik wohl einige Bemerkungen vorausſchicken, da dieſelbe allerdings nicht an die ge- wöhnliche Auffaſſung anzuknüpfen hat. Zuerſt erinnern wir, daß wir die Landſchaften von der örtlichen Selbſtverwaltung geſchieden haben, weil ſie uns, wenn auch in der Form vieles ähnliche mit der letzteren beſitzend, doch in der Sache ſich weſentlich von derſelben trennen. Wir dürfen uns daher an das oben Geſagte hier anſchließen. Wir dürfen ferner darauf hinweiſen, daß der Name des Gemeinde- weſens nur deßhalb von uns beibehalten wird, weil man ihn in Deutſchland gewöhnt iſt. Aber es wird ſchon aus dem Bisherigen her- vorgegangen ſein, daß nichts verkehrter iſt, als die deutſche Auffaſſung der Gemeinde der Lehre von der Selbſtverwaltung, auch der örtlichen, zu Grunde zu legen. Die deutſche Bezeichnung, wie der deutſche Begriff ſind vorwiegend hiſtoriſcher Natur, und es iſt daher ein Verſtändniß der Selbſtverwaltung faſt unmöglich, wenn man ihn als einen für Europa, oder auch für die Sache an ſich gültigen erkennen wollte. Wir glauben endlich das Weſen der örtlichen Selbſtverwaltung im Princip, Syſtem und innerem Recht in der Hauptſache zu erſchöpfen, wenn wir die drei großen Grundformen derſelben in England, Frank- reich und Deutſchland hinzeichnen. Es iſt ganz unmöglich, hier für das Einzelne zu genügen. Aber unſere Aufgabe ſoll es eben ſein, die lei- tenden Principien der Vergleichung feſtzuſtellen. Wir müſſen endlich einen letzten Punkt hervorheben. Auch an die Selbſtverwaltung ſchließt ſich die Frage nach der verfaſſungsmäßi- gen Verwaltung, nach den Organen und Grundſätzen, durch welche jene allerdings an ſich ſelbſtändige Thätigkeit der Selbſtverwaltungs- körper mit dem geltenden Recht in Harmonie gebracht wird. Dieſe Frage nun kann natürlich nicht mehr einſeitig aus dem Weſen und Recht dieſer Körper beantwortet werden. Ihre Beantwortung, die ver- faſſungsmäßige Verwaltung der Selbſtverwaltungskörper, ergibt ſich aus dem Leben und Recht des geſammten Staats. Wir haben jenes

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 463. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/487>, abgerufen am 29.03.2024.