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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865.

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auch noch einseitig auf Erwerbsgesellschaften berechnet, festgestellt. Viele
Anzeichen deuten darauf hin, daß die Zeit nicht mehr fern ist, wo wir
daran gehen werden, eine Vereinsgesetzgebung in derselben
Weise zu machen, wie wir eine Gemeindegesetzgebung haben
.
Nur werden wir zu dem Ende die noch immer nicht beseitigte Vorstellung
aufgeben müssen, als handle es sich bei Vereinen um politische Körper
und politische Rechte. Das Vereinswesen ist ein Organismus
in der Verwaltung, wie die Gemeinde und das Amt
. Das
ist der wahre und einzige Standpunkt, von welchem aus dasselbe allein
richtig verstanden und organisirt werden kann, und zu dem Ende wird
es nothwendig, den Elementen des Vereinsrechts ein System des
Vereinswesens
vorauszusenden, einen Rahmen, in welchen jeder
Staat den Zustand und die Mängel seines Vereinswesens hinein-
fügen kann.

Zur Geschichte des Vereinsrechts.

England. Bei der Beurtheilung des englischen Vereinsrechts im Allge-
meinen muß man davon ausgehen, daß England für das ganze Gebiet der
politischen Vereine und geheimen Verbindungen überhaupt kein Recht und
Gesetz
hat. Es ist selbstverständlich, daß allen Engländern das unbeschränkte
Recht zu Versammlungen, Petitionen und Vereinen zusteht, da die Selbstver-
waltung Englands das Princip der freien Thätigkeit des Einzelnen ist. Der
Staat kümmert sich um diese Thätigkeit des Einzelnen so lange nicht, bis die-
selbe nicht ein bestehendes Recht durch äußere Handlungen wirklich verletzt. Das
Wollen fällt nicht unter das Recht des englischen Staats, und die Thätigkeit
erst dann, wenn sie mit dem geltenden Recht in Collision geräth. Das Recht der
Vereine wird daher in England einzig durch die Statuten jedes einzelnen
Vereins gebildet, und zwar durch den Akt der Genehmigung desselben, den wir unten
besonders herausheben. Allerdings war diese Genehmigung eine freie, und hat erst
in neuester Zeit ihre definitive Gestalt empfangen. Allein diese Genehmigungen
erscheinen doch als Anerkennung der juristischen Persönlichkeit, als "incorporation,"
und es ist kein Zweifel, daß damit das Recht der Corporations als Grundlage des
Rechts der Vereine betrachtet werden muß, so weit sie eben incorporirt sind. Diese
allgemeinen Rechte aber sind erstlich das persönliche Erwerbs- und Erbrecht,
zweitens die Wahl der eigenen Mitglieder und Beamteten, drittens das
Recht der bye-laws, als der Vollziehungsverordnungen innerhalb des Vereins.
Dagegen hat die Regierung eben so gewiß auch das allgemeine Recht der
"Visitation" oder Oberaufsicht über die Vereine wie über die Corporationen und
Stiftungen. Es ist daher principiell sehr wenig Verschiedenheit zwischen dem
continentalen und dem englischen Vereinsrecht. Die folgende Darstellung wird
zeigen, daß sich die festen Kategorien desselben auf England sehr wohl anwenden
lassen. Ueber einzelne Arten von Vereinen, wie namentlich über die Friendly
societies
und die Law societies bestehen sogar besondere Gesetze. Gneist II,

auch noch einſeitig auf Erwerbsgeſellſchaften berechnet, feſtgeſtellt. Viele
Anzeichen deuten darauf hin, daß die Zeit nicht mehr fern iſt, wo wir
daran gehen werden, eine Vereinsgeſetzgebung in derſelben
Weiſe zu machen, wie wir eine Gemeindegeſetzgebung haben
.
Nur werden wir zu dem Ende die noch immer nicht beſeitigte Vorſtellung
aufgeben müſſen, als handle es ſich bei Vereinen um politiſche Körper
und politiſche Rechte. Das Vereinsweſen iſt ein Organismus
in der Verwaltung, wie die Gemeinde und das Amt
. Das
iſt der wahre und einzige Standpunkt, von welchem aus daſſelbe allein
richtig verſtanden und organiſirt werden kann, und zu dem Ende wird
es nothwendig, den Elementen des Vereinsrechts ein Syſtem des
Vereinsweſens
vorauszuſenden, einen Rahmen, in welchen jeder
Staat den Zuſtand und die Mängel ſeines Vereinsweſens hinein-
fügen kann.

Zur Geſchichte des Vereinsrechts.

England. Bei der Beurtheilung des engliſchen Vereinsrechts im Allge-
meinen muß man davon ausgehen, daß England für das ganze Gebiet der
politiſchen Vereine und geheimen Verbindungen überhaupt kein Recht und
Geſetz
hat. Es iſt ſelbſtverſtändlich, daß allen Engländern das unbeſchränkte
Recht zu Verſammlungen, Petitionen und Vereinen zuſteht, da die Selbſtver-
waltung Englands das Princip der freien Thätigkeit des Einzelnen iſt. Der
Staat kümmert ſich um dieſe Thätigkeit des Einzelnen ſo lange nicht, bis die-
ſelbe nicht ein beſtehendes Recht durch äußere Handlungen wirklich verletzt. Das
Wollen fällt nicht unter das Recht des engliſchen Staats, und die Thätigkeit
erſt dann, wenn ſie mit dem geltenden Recht in Colliſion geräth. Das Recht der
Vereine wird daher in England einzig durch die Statuten jedes einzelnen
Vereins gebildet, und zwar durch den Akt der Genehmigung deſſelben, den wir unten
beſonders herausheben. Allerdings war dieſe Genehmigung eine freie, und hat erſt
in neueſter Zeit ihre definitive Geſtalt empfangen. Allein dieſe Genehmigungen
erſcheinen doch als Anerkennung der juriſtiſchen Perſönlichkeit, als „incorporation,“
und es iſt kein Zweifel, daß damit das Recht der Corporations als Grundlage des
Rechts der Vereine betrachtet werden muß, ſo weit ſie eben incorporirt ſind. Dieſe
allgemeinen Rechte aber ſind erſtlich das perſönliche Erwerbs- und Erbrecht,
zweitens die Wahl der eigenen Mitglieder und Beamteten, drittens das
Recht der bye-laws, als der Vollziehungsverordnungen innerhalb des Vereins.
Dagegen hat die Regierung eben ſo gewiß auch das allgemeine Recht der
„Viſitation“ oder Oberaufſicht über die Vereine wie über die Corporationen und
Stiftungen. Es iſt daher principiell ſehr wenig Verſchiedenheit zwiſchen dem
continentalen und dem engliſchen Vereinsrecht. Die folgende Darſtellung wird
zeigen, daß ſich die feſten Kategorien deſſelben auf England ſehr wohl anwenden
laſſen. Ueber einzelne Arten von Vereinen, wie namentlich über die Friendly
societies
und die Law societies beſtehen ſogar beſondere Geſetze. Gneiſt II,

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[539/0563] auch noch einſeitig auf Erwerbsgeſellſchaften berechnet, feſtgeſtellt. Viele Anzeichen deuten darauf hin, daß die Zeit nicht mehr fern iſt, wo wir daran gehen werden, eine Vereinsgeſetzgebung in derſelben Weiſe zu machen, wie wir eine Gemeindegeſetzgebung haben. Nur werden wir zu dem Ende die noch immer nicht beſeitigte Vorſtellung aufgeben müſſen, als handle es ſich bei Vereinen um politiſche Körper und politiſche Rechte. Das Vereinsweſen iſt ein Organismus in der Verwaltung, wie die Gemeinde und das Amt. Das iſt der wahre und einzige Standpunkt, von welchem aus daſſelbe allein richtig verſtanden und organiſirt werden kann, und zu dem Ende wird es nothwendig, den Elementen des Vereinsrechts ein Syſtem des Vereinsweſens vorauszuſenden, einen Rahmen, in welchen jeder Staat den Zuſtand und die Mängel ſeines Vereinsweſens hinein- fügen kann. Zur Geſchichte des Vereinsrechts. England. Bei der Beurtheilung des engliſchen Vereinsrechts im Allge- meinen muß man davon ausgehen, daß England für das ganze Gebiet der politiſchen Vereine und geheimen Verbindungen überhaupt kein Recht und Geſetz hat. Es iſt ſelbſtverſtändlich, daß allen Engländern das unbeſchränkte Recht zu Verſammlungen, Petitionen und Vereinen zuſteht, da die Selbſtver- waltung Englands das Princip der freien Thätigkeit des Einzelnen iſt. Der Staat kümmert ſich um dieſe Thätigkeit des Einzelnen ſo lange nicht, bis die- ſelbe nicht ein beſtehendes Recht durch äußere Handlungen wirklich verletzt. Das Wollen fällt nicht unter das Recht des engliſchen Staats, und die Thätigkeit erſt dann, wenn ſie mit dem geltenden Recht in Colliſion geräth. Das Recht der Vereine wird daher in England einzig durch die Statuten jedes einzelnen Vereins gebildet, und zwar durch den Akt der Genehmigung deſſelben, den wir unten beſonders herausheben. Allerdings war dieſe Genehmigung eine freie, und hat erſt in neueſter Zeit ihre definitive Geſtalt empfangen. Allein dieſe Genehmigungen erſcheinen doch als Anerkennung der juriſtiſchen Perſönlichkeit, als „incorporation,“ und es iſt kein Zweifel, daß damit das Recht der Corporations als Grundlage des Rechts der Vereine betrachtet werden muß, ſo weit ſie eben incorporirt ſind. Dieſe allgemeinen Rechte aber ſind erſtlich das perſönliche Erwerbs- und Erbrecht, zweitens die Wahl der eigenen Mitglieder und Beamteten, drittens das Recht der bye-laws, als der Vollziehungsverordnungen innerhalb des Vereins. Dagegen hat die Regierung eben ſo gewiß auch das allgemeine Recht der „Viſitation“ oder Oberaufſicht über die Vereine wie über die Corporationen und Stiftungen. Es iſt daher principiell ſehr wenig Verſchiedenheit zwiſchen dem continentalen und dem engliſchen Vereinsrecht. Die folgende Darſtellung wird zeigen, daß ſich die feſten Kategorien deſſelben auf England ſehr wohl anwenden laſſen. Ueber einzelne Arten von Vereinen, wie namentlich über die Friendly societies und die Law societies beſtehen ſogar beſondere Geſetze. Gneiſt II,

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 539. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/563>, abgerufen am 28.03.2024.