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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865.

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Wir gehen deßhalb in der Hoffnung an diese Aufgabe, vorerst nur ein-
mal für die richtige Methode Eingang zu gewinnen. Die Diskussion
über Definitionen ist von jeher Sache der Casuistik, die organische Ent-
wicklung derselben aber Sache der Wissenschaft gewesen.

Wir werden zu dem Ende den Begriff, die Formen, und die An-
erkennung der juristischen Persönlichkeit scheiden.

a) Begriff der juristischen Persönlichkeit.

Die juristische Persönlichkeit ist die letzte und höchste Gestalt der
Vereinigung, die mit dem Vertrage beginnt, dann zur stillen und offenen
Gesellschaft wird, dann zur eigentlichen Handelsgesellschaft und ihrem
selbständigen Unternehmen mit selbständiger Verwaltung und Verfassung
wird, und endlich im Verein der Form der Gesellschaft einen dauernden
Staatszweck gibt. In diesem Verein liegt bei genauerer Betrachtung
noch etwas Unfertiges. Er selbst ist und bleibt eine freie Gemeinschaft,
aus welcher der Einzelne stets ausscheiden kann, und dessen Vermögen
daher auch den wechselnden Verhältnissen seiner Theilnehmer unterworfen
ist. Der Zweck des Vereins ist dagegen ein Staatszweck, und daher
seinem Wesen nach ein stets gleicher und dauernder. Die beste Ver-
fassung und Verwaltung des Vereins kann diesen Widerspruch desselben
nicht lösen; der Staatszweck ist und bleibt im Verein stets, wenn auch
nicht von der Thätigkeit, so doch von der Theilnahme der Mitglieder
abhängig. Der Staat kann allerdings diesen Widerspruch dadurch
vermeiden, daß er den betreffenden Staatszweck durch seine eigenen Organe
vollziehen läßt. Allein damit verliert er wieder die Vortheile, welche
die Betheiligung der freien Einzelnen und ihres Vermögens an der Ver-
wirklichung des Staatszweckes mit sich bringt. Es muß daher ein neues
Princip entstehen, welches dem Verein die Dauer des Staats-
zweckes verleiht
, ohne ihm die Freiheit der Selbstverwaltung zu
nehmen. Dieß Princip geht dahin, dem Verein ein Dasein zu geben,
welches dem des Staates, dessen Zwecke er erfüllt, gleichartig ist; das
ist, ihn als eine Persönlichkeit anzuerkennen, und ihn damit zu
einem dauernden Theile seines eigenen Lebens zu machen. Um die Be-
deutung dieses letzten Punktes festzustellen, muß nun allerdings hier
eine Bemerkung vorausgehen.

Da nämlich die Erhebung des Vereins zur juristischen Persönlich-
keit auf der Natur seiner Aufgabe, eines dauernden Staatszweckes, be-
ruht, so ergibt sich zuerst, daß weder jeder Verein eine juristische Per-
sönlichkeit zu sein braucht, noch auch daß die juristischen Persönlichkeiten
nur als Vereine bestehen. Im Gegentheil ist der Begriff der juristischen
Persönlichkeit durch den dauernden Staatszweck überhaupt bedingt, und

Wir gehen deßhalb in der Hoffnung an dieſe Aufgabe, vorerſt nur ein-
mal für die richtige Methode Eingang zu gewinnen. Die Diskuſſion
über Definitionen iſt von jeher Sache der Caſuiſtik, die organiſche Ent-
wicklung derſelben aber Sache der Wiſſenſchaft geweſen.

Wir werden zu dem Ende den Begriff, die Formen, und die An-
erkennung der juriſtiſchen Perſönlichkeit ſcheiden.

a) Begriff der juriſtiſchen Perſönlichkeit.

Die juriſtiſche Perſönlichkeit iſt die letzte und höchſte Geſtalt der
Vereinigung, die mit dem Vertrage beginnt, dann zur ſtillen und offenen
Geſellſchaft wird, dann zur eigentlichen Handelsgeſellſchaft und ihrem
ſelbſtändigen Unternehmen mit ſelbſtändiger Verwaltung und Verfaſſung
wird, und endlich im Verein der Form der Geſellſchaft einen dauernden
Staatszweck gibt. In dieſem Verein liegt bei genauerer Betrachtung
noch etwas Unfertiges. Er ſelbſt iſt und bleibt eine freie Gemeinſchaft,
aus welcher der Einzelne ſtets ausſcheiden kann, und deſſen Vermögen
daher auch den wechſelnden Verhältniſſen ſeiner Theilnehmer unterworfen
iſt. Der Zweck des Vereins iſt dagegen ein Staatszweck, und daher
ſeinem Weſen nach ein ſtets gleicher und dauernder. Die beſte Ver-
faſſung und Verwaltung des Vereins kann dieſen Widerſpruch deſſelben
nicht löſen; der Staatszweck iſt und bleibt im Verein ſtets, wenn auch
nicht von der Thätigkeit, ſo doch von der Theilnahme der Mitglieder
abhängig. Der Staat kann allerdings dieſen Widerſpruch dadurch
vermeiden, daß er den betreffenden Staatszweck durch ſeine eigenen Organe
vollziehen läßt. Allein damit verliert er wieder die Vortheile, welche
die Betheiligung der freien Einzelnen und ihres Vermögens an der Ver-
wirklichung des Staatszweckes mit ſich bringt. Es muß daher ein neues
Princip entſtehen, welches dem Verein die Dauer des Staats-
zweckes verleiht
, ohne ihm die Freiheit der Selbſtverwaltung zu
nehmen. Dieß Princip geht dahin, dem Verein ein Daſein zu geben,
welches dem des Staates, deſſen Zwecke er erfüllt, gleichartig iſt; das
iſt, ihn als eine Perſönlichkeit anzuerkennen, und ihn damit zu
einem dauernden Theile ſeines eigenen Lebens zu machen. Um die Be-
deutung dieſes letzten Punktes feſtzuſtellen, muß nun allerdings hier
eine Bemerkung vorausgehen.

Da nämlich die Erhebung des Vereins zur juriſtiſchen Perſönlich-
keit auf der Natur ſeiner Aufgabe, eines dauernden Staatszweckes, be-
ruht, ſo ergibt ſich zuerſt, daß weder jeder Verein eine juriſtiſche Per-
ſönlichkeit zu ſein braucht, noch auch daß die juriſtiſchen Perſönlichkeiten
nur als Vereine beſtehen. Im Gegentheil iſt der Begriff der juriſtiſchen
Perſönlichkeit durch den dauernden Staatszweck überhaupt bedingt, und

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[576/0600] Wir gehen deßhalb in der Hoffnung an dieſe Aufgabe, vorerſt nur ein- mal für die richtige Methode Eingang zu gewinnen. Die Diskuſſion über Definitionen iſt von jeher Sache der Caſuiſtik, die organiſche Ent- wicklung derſelben aber Sache der Wiſſenſchaft geweſen. Wir werden zu dem Ende den Begriff, die Formen, und die An- erkennung der juriſtiſchen Perſönlichkeit ſcheiden. a) Begriff der juriſtiſchen Perſönlichkeit. Die juriſtiſche Perſönlichkeit iſt die letzte und höchſte Geſtalt der Vereinigung, die mit dem Vertrage beginnt, dann zur ſtillen und offenen Geſellſchaft wird, dann zur eigentlichen Handelsgeſellſchaft und ihrem ſelbſtändigen Unternehmen mit ſelbſtändiger Verwaltung und Verfaſſung wird, und endlich im Verein der Form der Geſellſchaft einen dauernden Staatszweck gibt. In dieſem Verein liegt bei genauerer Betrachtung noch etwas Unfertiges. Er ſelbſt iſt und bleibt eine freie Gemeinſchaft, aus welcher der Einzelne ſtets ausſcheiden kann, und deſſen Vermögen daher auch den wechſelnden Verhältniſſen ſeiner Theilnehmer unterworfen iſt. Der Zweck des Vereins iſt dagegen ein Staatszweck, und daher ſeinem Weſen nach ein ſtets gleicher und dauernder. Die beſte Ver- faſſung und Verwaltung des Vereins kann dieſen Widerſpruch deſſelben nicht löſen; der Staatszweck iſt und bleibt im Verein ſtets, wenn auch nicht von der Thätigkeit, ſo doch von der Theilnahme der Mitglieder abhängig. Der Staat kann allerdings dieſen Widerſpruch dadurch vermeiden, daß er den betreffenden Staatszweck durch ſeine eigenen Organe vollziehen läßt. Allein damit verliert er wieder die Vortheile, welche die Betheiligung der freien Einzelnen und ihres Vermögens an der Ver- wirklichung des Staatszweckes mit ſich bringt. Es muß daher ein neues Princip entſtehen, welches dem Verein die Dauer des Staats- zweckes verleiht, ohne ihm die Freiheit der Selbſtverwaltung zu nehmen. Dieß Princip geht dahin, dem Verein ein Daſein zu geben, welches dem des Staates, deſſen Zwecke er erfüllt, gleichartig iſt; das iſt, ihn als eine Perſönlichkeit anzuerkennen, und ihn damit zu einem dauernden Theile ſeines eigenen Lebens zu machen. Um die Be- deutung dieſes letzten Punktes feſtzuſtellen, muß nun allerdings hier eine Bemerkung vorausgehen. Da nämlich die Erhebung des Vereins zur juriſtiſchen Perſönlich- keit auf der Natur ſeiner Aufgabe, eines dauernden Staatszweckes, be- ruht, ſo ergibt ſich zuerſt, daß weder jeder Verein eine juriſtiſche Per- ſönlichkeit zu ſein braucht, noch auch daß die juriſtiſchen Perſönlichkeiten nur als Vereine beſtehen. Im Gegentheil iſt der Begriff der juriſtiſchen Perſönlichkeit durch den dauernden Staatszweck überhaupt bedingt, und

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 576. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/600>, abgerufen am 25.04.2024.