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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865.

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consequent mit dem Zwecke, ja schon mit seiner Erreichung zu Grunde
gehen. Sie sind daher nur da, indem sie thätig sind. Das höhere
Wesen der Persönlichkeit dagegen enthält ein Dasein, welches unab-
hängig von der Thätigkeit, durch sich selbst ist, und daher auch weder
bloß ein Mittel für etwas anderes sein noch mit der Thätigkeit auf-
hören kann. Dieß abstrakte Wesen der Persönlichkeit zeigt sich nun
rechtlich in dem Satze, daß während eine Vereinigung nur besitzen
kann um zu gebrauchen, weil sie nur haben soll um zu benützen,
und alles zu ihrem Zweck benützen muß, eine juristische Persönlichkeit
besitzen kann um zu besitzen, an sich ganz unabhängig von ihrem Zwecke.
Sie kann daher auch ohne ihr eigenes Zuthun und ohne ihre Thätig-
keit erwerben; und da der reine Besitz im obigen Sinne niemals
nachgewiesen werden kann, indem auch die Persönlichkeit faktisch nur
besitzt um zu gebrauchen, so erscheint jenes persönliche Element in dem
Satze, daß die juristische Persönlichkeit das Recht hat, Güter zu er-
werben ohne eine Vereinsthätigkeit auszuüben; und das geschieht in der
testamenti factio. Das Testament hat zur Grundlage den Uebergang
des Vermögens von einer Persönlichkeit zur andern; die Verwendung
des übergegangenen Vermögens ist Sache der Lebendigen. Es ist daher
Testament und Vermächtniß ohne eine selbständige Persönlichkeit ein
Widerspruch schon darum, weil bei einer bloßen Erbschaft dieselbe ohne
Eigenthümer wäre.

Etwas anderes ist nun wohl das Recht Immobilien zu erwerben,
das in der Regel erst durch die Verleihung der juristischen Persönlich-
keit an einen Verein gewonnen wird. Dieser Grundsatz beruht auf
den Principien der ständischen Gesellschaftsordnung, nach welchen der
Grundbesitz an und für sich staatliche Rechte gab, und die Zulassung
zum Erwerb von Grundbesitz daher den Eintritt in die Verfassung ent-
hielt. So lange das der Fall war, war es natürlich, daß dieser Er-
werb von Immobilien nur unter Genehmigung des Staats vorkommen
konnte. Diese Vorstellung ist auch auf unsere Zeit übergegangen; nur
hat sie ihren früheren Boden verloren, und muß jetzt als eine Frage
der Zweckmäßigkeit angesehen werden. Und hier ist allerdings die Sache
fraglich, da viele Gesellschaften jetzt auch für rein gewerbliche Zwecke
Grundbesitz gebrauchen, ohne daß diese Zwecke gerade dauernd oder
wichtig genug wären, um die Verleihung der juristischen Persönlichkeit
zu motiviren. Offenbar bedeutet jener Punkt in unserer Zeit etwas
anderes. Er deutet auf die Frage hin, ob und unter welchen Bedin-
gungen die juristischen Persönlichkeiten, also auch die Vereine staatliche
Rechte bekommen, namentlich Wahlfähigkeit und Wählbarkeit, wenn
diese Rechte an einen Grundbesitz oder einen Steuercensus geknüpft

conſequent mit dem Zwecke, ja ſchon mit ſeiner Erreichung zu Grunde
gehen. Sie ſind daher nur da, indem ſie thätig ſind. Das höhere
Weſen der Perſönlichkeit dagegen enthält ein Daſein, welches unab-
hängig von der Thätigkeit, durch ſich ſelbſt iſt, und daher auch weder
bloß ein Mittel für etwas anderes ſein noch mit der Thätigkeit auf-
hören kann. Dieß abſtrakte Weſen der Perſönlichkeit zeigt ſich nun
rechtlich in dem Satze, daß während eine Vereinigung nur beſitzen
kann um zu gebrauchen, weil ſie nur haben ſoll um zu benützen,
und alles zu ihrem Zweck benützen muß, eine juriſtiſche Perſönlichkeit
beſitzen kann um zu beſitzen, an ſich ganz unabhängig von ihrem Zwecke.
Sie kann daher auch ohne ihr eigenes Zuthun und ohne ihre Thätig-
keit erwerben; und da der reine Beſitz im obigen Sinne niemals
nachgewieſen werden kann, indem auch die Perſönlichkeit faktiſch nur
beſitzt um zu gebrauchen, ſo erſcheint jenes perſönliche Element in dem
Satze, daß die juriſtiſche Perſönlichkeit das Recht hat, Güter zu er-
werben ohne eine Vereinsthätigkeit auszuüben; und das geſchieht in der
testamenti factio. Das Teſtament hat zur Grundlage den Uebergang
des Vermögens von einer Perſönlichkeit zur andern; die Verwendung
des übergegangenen Vermögens iſt Sache der Lebendigen. Es iſt daher
Teſtament und Vermächtniß ohne eine ſelbſtändige Perſönlichkeit ein
Widerſpruch ſchon darum, weil bei einer bloßen Erbſchaft dieſelbe ohne
Eigenthümer wäre.

Etwas anderes iſt nun wohl das Recht Immobilien zu erwerben,
das in der Regel erſt durch die Verleihung der juriſtiſchen Perſönlich-
keit an einen Verein gewonnen wird. Dieſer Grundſatz beruht auf
den Principien der ſtändiſchen Geſellſchaftsordnung, nach welchen der
Grundbeſitz an und für ſich ſtaatliche Rechte gab, und die Zulaſſung
zum Erwerb von Grundbeſitz daher den Eintritt in die Verfaſſung ent-
hielt. So lange das der Fall war, war es natürlich, daß dieſer Er-
werb von Immobilien nur unter Genehmigung des Staats vorkommen
konnte. Dieſe Vorſtellung iſt auch auf unſere Zeit übergegangen; nur
hat ſie ihren früheren Boden verloren, und muß jetzt als eine Frage
der Zweckmäßigkeit angeſehen werden. Und hier iſt allerdings die Sache
fraglich, da viele Geſellſchaften jetzt auch für rein gewerbliche Zwecke
Grundbeſitz gebrauchen, ohne daß dieſe Zwecke gerade dauernd oder
wichtig genug wären, um die Verleihung der juriſtiſchen Perſönlichkeit
zu motiviren. Offenbar bedeutet jener Punkt in unſerer Zeit etwas
anderes. Er deutet auf die Frage hin, ob und unter welchen Bedin-
gungen die juriſtiſchen Perſönlichkeiten, alſo auch die Vereine ſtaatliche
Rechte bekommen, namentlich Wahlfähigkeit und Wählbarkeit, wenn
dieſe Rechte an einen Grundbeſitz oder einen Steuercenſus geknüpft

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[582/0606] conſequent mit dem Zwecke, ja ſchon mit ſeiner Erreichung zu Grunde gehen. Sie ſind daher nur da, indem ſie thätig ſind. Das höhere Weſen der Perſönlichkeit dagegen enthält ein Daſein, welches unab- hängig von der Thätigkeit, durch ſich ſelbſt iſt, und daher auch weder bloß ein Mittel für etwas anderes ſein noch mit der Thätigkeit auf- hören kann. Dieß abſtrakte Weſen der Perſönlichkeit zeigt ſich nun rechtlich in dem Satze, daß während eine Vereinigung nur beſitzen kann um zu gebrauchen, weil ſie nur haben ſoll um zu benützen, und alles zu ihrem Zweck benützen muß, eine juriſtiſche Perſönlichkeit beſitzen kann um zu beſitzen, an ſich ganz unabhängig von ihrem Zwecke. Sie kann daher auch ohne ihr eigenes Zuthun und ohne ihre Thätig- keit erwerben; und da der reine Beſitz im obigen Sinne niemals nachgewieſen werden kann, indem auch die Perſönlichkeit faktiſch nur beſitzt um zu gebrauchen, ſo erſcheint jenes perſönliche Element in dem Satze, daß die juriſtiſche Perſönlichkeit das Recht hat, Güter zu er- werben ohne eine Vereinsthätigkeit auszuüben; und das geſchieht in der testamenti factio. Das Teſtament hat zur Grundlage den Uebergang des Vermögens von einer Perſönlichkeit zur andern; die Verwendung des übergegangenen Vermögens iſt Sache der Lebendigen. Es iſt daher Teſtament und Vermächtniß ohne eine ſelbſtändige Perſönlichkeit ein Widerſpruch ſchon darum, weil bei einer bloßen Erbſchaft dieſelbe ohne Eigenthümer wäre. Etwas anderes iſt nun wohl das Recht Immobilien zu erwerben, das in der Regel erſt durch die Verleihung der juriſtiſchen Perſönlich- keit an einen Verein gewonnen wird. Dieſer Grundſatz beruht auf den Principien der ſtändiſchen Geſellſchaftsordnung, nach welchen der Grundbeſitz an und für ſich ſtaatliche Rechte gab, und die Zulaſſung zum Erwerb von Grundbeſitz daher den Eintritt in die Verfaſſung ent- hielt. So lange das der Fall war, war es natürlich, daß dieſer Er- werb von Immobilien nur unter Genehmigung des Staats vorkommen konnte. Dieſe Vorſtellung iſt auch auf unſere Zeit übergegangen; nur hat ſie ihren früheren Boden verloren, und muß jetzt als eine Frage der Zweckmäßigkeit angeſehen werden. Und hier iſt allerdings die Sache fraglich, da viele Geſellſchaften jetzt auch für rein gewerbliche Zwecke Grundbeſitz gebrauchen, ohne daß dieſe Zwecke gerade dauernd oder wichtig genug wären, um die Verleihung der juriſtiſchen Perſönlichkeit zu motiviren. Offenbar bedeutet jener Punkt in unſerer Zeit etwas anderes. Er deutet auf die Frage hin, ob und unter welchen Bedin- gungen die juriſtiſchen Perſönlichkeiten, alſo auch die Vereine ſtaatliche Rechte bekommen, namentlich Wahlfähigkeit und Wählbarkeit, wenn dieſe Rechte an einen Grundbeſitz oder einen Steuercenſus geknüpft

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 582. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/606>, abgerufen am 19.04.2024.