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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866.

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werde; sie erscheint daher als eine ganz consequente. Offenbar sind die
Bestimmungen der alten deutschen Rechte, nach denen die Fürsten und
Könige sich anmaßten, die Töchter ihrer Bürger willkürlich zu verhei-
rathen (als Lehnsherren), nur Consequenzen des Rechts der Herren über
die Frauen. Die jungen Städte schützten sich oft dagegen durch eigene
Privilegien, wie das Privilegium von Wetzlar von Kaiser Richard:
"quo inter alia pollicetur, se civium de Wetzlaria filias, neptes aut
consanguineas aliis in uxores tradendas sine libera eorum voluntate
non adacturum"
(Guden Syllog. I. 473). Ueber die spätere Form
dieses Rechts vergl. Moser Landeshoheit und Classe der Unterthanen,
S. 119. Jenes Eheconsensrecht hieß in Frankreich "formariage".
Vergl. über dasselbe Laboulaye, Condition des femmes, p. 325 sq.
-- Wir glauben jedoch auf dieß ganze Verhältniß hier nicht weiter ein-
gehen zu sollen, da dieser Theil des Rechts der Eheconsense vollstän-
dig
mit der Grundherrlichkeit verschwunden ist und nur noch der Ge-
schichte angehört. Um so wichtiger ist der folgende, der bis in unsere
Zeit allerdings auf das Tiefste hineingreift.

3) Das öffentliche Eherecht des ständischen Berufes.

Das germanische Leben hat den Beruf nicht bloß ethisch, sondern
auch praktisch am tiefsten von allen Völkern aufgefaßt. Während die
Idee und das Recht desselben im Orient zur völligen Unfreiheit der
Kaste erstarrt, und die alte Welt, auch hier im Gegensatze zu derselben,
zu gar keiner Anerkennung desselben gelangt, hat die Geschichte des Be-
rufs in der germanischen Welt im Allgemeinen die Aufgabe unternom-
men und zum größten Theil gelöst, den Beruf einerseits zu einer ge-
sellschaftlichen, mit eigenem Willen und eigenem Recht versehenen Orga-
nisation zu erheben, und anderseits der individuellen Selbstbestimmung
in demselben ihre möglichste Freiheit zu erhalten. Von jeher ist nun,
wie es in der Natur der Sache liegt, die erste Bedingung dieser Frei-
heit die freie Ehe gewesen. So wie sich daher der Beruf in der ger-
manischen Welt zu organisiren begann, trat die Frage nach dem Ver-
hältniß des Eherechts zu demselben naturgemäß in den Vordergrund
und hat hier zwei Grundformen erzeugt, die, während der ständischen
Zeit begründet, bis auf unsere Gegenwart dauern, jedoch in der Weise,
daß die erste Form als das rein ständische Eherecht des Berufes an-
gesehen werden muß, während die zweite den Uebergang zur staats-
bürgerlichen Gesellschaft bildet und daher im Grunde das Eherecht
des Berufes
in der letztern bildet. Wir meinen das Cölibat und
den militärischen und amtlichen Eheconsens.

werde; ſie erſcheint daher als eine ganz conſequente. Offenbar ſind die
Beſtimmungen der alten deutſchen Rechte, nach denen die Fürſten und
Könige ſich anmaßten, die Töchter ihrer Bürger willkürlich zu verhei-
rathen (als Lehnsherren), nur Conſequenzen des Rechts der Herren über
die Frauen. Die jungen Städte ſchützten ſich oft dagegen durch eigene
Privilegien, wie das Privilegium von Wetzlar von Kaiſer Richard:
„quo inter alia pollicetur, se civium de Wetzlaria filias, neptes aut
consanguineas aliis in uxores tradendas sine libera eorum voluntate
non adacturum“
(Guden Syllog. I. 473). Ueber die ſpätere Form
dieſes Rechts vergl. Moſer Landeshoheit und Claſſe der Unterthanen,
S. 119. Jenes Eheconſensrecht hieß in Frankreich „formariage“.
Vergl. über daſſelbe Laboulaye, Condition des femmes, p. 325 sq.
— Wir glauben jedoch auf dieß ganze Verhältniß hier nicht weiter ein-
gehen zu ſollen, da dieſer Theil des Rechts der Eheconſenſe vollſtän-
dig
mit der Grundherrlichkeit verſchwunden iſt und nur noch der Ge-
ſchichte angehört. Um ſo wichtiger iſt der folgende, der bis in unſere
Zeit allerdings auf das Tiefſte hineingreift.

3) Das öffentliche Eherecht des ſtändiſchen Berufes.

Das germaniſche Leben hat den Beruf nicht bloß ethiſch, ſondern
auch praktiſch am tiefſten von allen Völkern aufgefaßt. Während die
Idee und das Recht deſſelben im Orient zur völligen Unfreiheit der
Kaſte erſtarrt, und die alte Welt, auch hier im Gegenſatze zu derſelben,
zu gar keiner Anerkennung deſſelben gelangt, hat die Geſchichte des Be-
rufs in der germaniſchen Welt im Allgemeinen die Aufgabe unternom-
men und zum größten Theil gelöst, den Beruf einerſeits zu einer ge-
ſellſchaftlichen, mit eigenem Willen und eigenem Recht verſehenen Orga-
niſation zu erheben, und anderſeits der individuellen Selbſtbeſtimmung
in demſelben ihre möglichſte Freiheit zu erhalten. Von jeher iſt nun,
wie es in der Natur der Sache liegt, die erſte Bedingung dieſer Frei-
heit die freie Ehe geweſen. So wie ſich daher der Beruf in der ger-
maniſchen Welt zu organiſiren begann, trat die Frage nach dem Ver-
hältniß des Eherechts zu demſelben naturgemäß in den Vordergrund
und hat hier zwei Grundformen erzeugt, die, während der ſtändiſchen
Zeit begründet, bis auf unſere Gegenwart dauern, jedoch in der Weiſe,
daß die erſte Form als das rein ſtändiſche Eherecht des Berufes an-
geſehen werden muß, während die zweite den Uebergang zur ſtaats-
bürgerlichen Geſellſchaft bildet und daher im Grunde das Eherecht
des Berufes
in der letztern bildet. Wir meinen das Cölibat und
den militäriſchen und amtlichen Eheconſens.

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[136/0158] werde; ſie erſcheint daher als eine ganz conſequente. Offenbar ſind die Beſtimmungen der alten deutſchen Rechte, nach denen die Fürſten und Könige ſich anmaßten, die Töchter ihrer Bürger willkürlich zu verhei- rathen (als Lehnsherren), nur Conſequenzen des Rechts der Herren über die Frauen. Die jungen Städte ſchützten ſich oft dagegen durch eigene Privilegien, wie das Privilegium von Wetzlar von Kaiſer Richard: „quo inter alia pollicetur, se civium de Wetzlaria filias, neptes aut consanguineas aliis in uxores tradendas sine libera eorum voluntate non adacturum“ (Guden Syllog. I. 473). Ueber die ſpätere Form dieſes Rechts vergl. Moſer Landeshoheit und Claſſe der Unterthanen, S. 119. Jenes Eheconſensrecht hieß in Frankreich „formariage“. Vergl. über daſſelbe Laboulaye, Condition des femmes, p. 325 sq. — Wir glauben jedoch auf dieß ganze Verhältniß hier nicht weiter ein- gehen zu ſollen, da dieſer Theil des Rechts der Eheconſenſe vollſtän- dig mit der Grundherrlichkeit verſchwunden iſt und nur noch der Ge- ſchichte angehört. Um ſo wichtiger iſt der folgende, der bis in unſere Zeit allerdings auf das Tiefſte hineingreift. 3) Das öffentliche Eherecht des ſtändiſchen Berufes. Das germaniſche Leben hat den Beruf nicht bloß ethiſch, ſondern auch praktiſch am tiefſten von allen Völkern aufgefaßt. Während die Idee und das Recht deſſelben im Orient zur völligen Unfreiheit der Kaſte erſtarrt, und die alte Welt, auch hier im Gegenſatze zu derſelben, zu gar keiner Anerkennung deſſelben gelangt, hat die Geſchichte des Be- rufs in der germaniſchen Welt im Allgemeinen die Aufgabe unternom- men und zum größten Theil gelöst, den Beruf einerſeits zu einer ge- ſellſchaftlichen, mit eigenem Willen und eigenem Recht verſehenen Orga- niſation zu erheben, und anderſeits der individuellen Selbſtbeſtimmung in demſelben ihre möglichſte Freiheit zu erhalten. Von jeher iſt nun, wie es in der Natur der Sache liegt, die erſte Bedingung dieſer Frei- heit die freie Ehe geweſen. So wie ſich daher der Beruf in der ger- maniſchen Welt zu organiſiren begann, trat die Frage nach dem Ver- hältniß des Eherechts zu demſelben naturgemäß in den Vordergrund und hat hier zwei Grundformen erzeugt, die, während der ſtändiſchen Zeit begründet, bis auf unſere Gegenwart dauern, jedoch in der Weiſe, daß die erſte Form als das rein ſtändiſche Eherecht des Berufes an- geſehen werden muß, während die zweite den Uebergang zur ſtaats- bürgerlichen Geſellſchaft bildet und daher im Grunde das Eherecht des Berufes in der letztern bildet. Wir meinen das Cölibat und den militäriſchen und amtlichen Eheconſens.

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866, S. 136. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre02_1866/158>, abgerufen am 19.03.2024.