Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866.

Bild:
<< vorherige Seite

aus Süßmilch ersehen. Hier brauchten daher die Regierungen nur an-
zuschließen; und das geschah auch. Allein dazu gehörte jene tiefe Um-
gestaltung des öffentlichen Lebens und Rechts, welche die alte örtliche
Verwaltung vernichtete, und dieselbe nicht bloß principiell, sondern auch
durch ihre eigenen Beamteten selbst übernahm. Die Zeit, in der das
geschieht, ist unser Jahrhundert; und erst mit unserm Jahrhundert kann
daher von einer rechten Geschichte des Zählungswesens die Rede sein.

Wir dürfen nochmals bemerken, daß wir diese Geschichte einer ein-
gehenden Arbeit überlassen müssen, da die Einzelheiten zu groß sind,
um sie hier ganz durchzuführen. Allein wir glauben dennoch, daß die
Darstellung des allgemeinen Ganges derselben und der individuellen
Gestalt, welche sie in den einzelnen Staaten angenommen, nicht ohne
Werth sein wird, da hier noch so ziemlich alles zu thun ist.

6) Das Zählungswesen in einzelnen Staaten.
a) Der allgemeine Gang der Entwicklung des Zählungswesens seit dem Beginn
dieses Jahrhunderts.

Die amtlichen Zählungen in Deutschland scheinen in den ersten
Jahrzehnten wohl sehr unvollkommen gewesen zu sein; den Anfang der-
selben machte die Zählung, auf welcher die Bundesmatrikel beruhte.
Ich finde nirgends das Verfahren bei dieser Zählung angegeben; eben
so wenig vermag ich über die preußischen Zählungen dieser Zeit etwas
zu finden. Erst mit den dreißiger Jahren beginnt eine ganz neue Gestalt
des Zählungswesens. Zwei Dinge haben dieselbe hervorgerufen, welche
von der künftigen Geschichtschreibung ihre genauere Würdigung erwarten
dürfen. Das erste war die Entstehung des Zollvereins. Die nächste
Aufgabe der Zählungen des Zollvereins war allerdings die einfache
Constatirung der Kopfzahl, um sie der Vertheilung der Zollerträgnisse
zum Grunde zu legen, und aus der der eigentliche Begriff der "Zoll-
abrechnungsbevölkerung" hervorging. Allein die Souveränetät der ein-
zelnen Bundesstaaten schloß die einheitliche Vornahme von Zählungen,
so wie die einheitliche Gesetzgebung über dieselben aus; jeder Staat
verfuhr dabei auf seine Weise, und so entstand mit bloßer Ausnahme
der Feststellung der Kopfzahl, die ziemlich gleichmäßig gewonnen ward
(freilich auch diese nicht ganz, da man über die Begriffe der "Gäste,"
"Reisenden", "ortsanwesenden" und "ortsangehörigen" Bevölkerung weder
ganz einig war, noch auch es bis jetzt geworden ist (Nachtrag zur Zu-
sammenstellung
der in Bezug auf die Volkszählungen der verschie-
denen deutschen Staaten getroffenen Anordnungen. Großherzogl. hessische
Landesstatistik 1865, Seite 1 -- 3) -- ein ziemlich buntes Bild der

aus Süßmilch erſehen. Hier brauchten daher die Regierungen nur an-
zuſchließen; und das geſchah auch. Allein dazu gehörte jene tiefe Um-
geſtaltung des öffentlichen Lebens und Rechts, welche die alte örtliche
Verwaltung vernichtete, und dieſelbe nicht bloß principiell, ſondern auch
durch ihre eigenen Beamteten ſelbſt übernahm. Die Zeit, in der das
geſchieht, iſt unſer Jahrhundert; und erſt mit unſerm Jahrhundert kann
daher von einer rechten Geſchichte des Zählungsweſens die Rede ſein.

Wir dürfen nochmals bemerken, daß wir dieſe Geſchichte einer ein-
gehenden Arbeit überlaſſen müſſen, da die Einzelheiten zu groß ſind,
um ſie hier ganz durchzuführen. Allein wir glauben dennoch, daß die
Darſtellung des allgemeinen Ganges derſelben und der individuellen
Geſtalt, welche ſie in den einzelnen Staaten angenommen, nicht ohne
Werth ſein wird, da hier noch ſo ziemlich alles zu thun iſt.

6) Das Zählungsweſen in einzelnen Staaten.
a) Der allgemeine Gang der Entwicklung des Zählungsweſens ſeit dem Beginn
dieſes Jahrhunderts.

Die amtlichen Zählungen in Deutſchland ſcheinen in den erſten
Jahrzehnten wohl ſehr unvollkommen geweſen zu ſein; den Anfang der-
ſelben machte die Zählung, auf welcher die Bundesmatrikel beruhte.
Ich finde nirgends das Verfahren bei dieſer Zählung angegeben; eben
ſo wenig vermag ich über die preußiſchen Zählungen dieſer Zeit etwas
zu finden. Erſt mit den dreißiger Jahren beginnt eine ganz neue Geſtalt
des Zählungsweſens. Zwei Dinge haben dieſelbe hervorgerufen, welche
von der künftigen Geſchichtſchreibung ihre genauere Würdigung erwarten
dürfen. Das erſte war die Entſtehung des Zollvereins. Die nächſte
Aufgabe der Zählungen des Zollvereins war allerdings die einfache
Conſtatirung der Kopfzahl, um ſie der Vertheilung der Zollerträgniſſe
zum Grunde zu legen, und aus der der eigentliche Begriff der „Zoll-
abrechnungsbevölkerung“ hervorging. Allein die Souveränetät der ein-
zelnen Bundesſtaaten ſchloß die einheitliche Vornahme von Zählungen,
ſo wie die einheitliche Geſetzgebung über dieſelben aus; jeder Staat
verfuhr dabei auf ſeine Weiſe, und ſo entſtand mit bloßer Ausnahme
der Feſtſtellung der Kopfzahl, die ziemlich gleichmäßig gewonnen ward
(freilich auch dieſe nicht ganz, da man über die Begriffe der „Gäſte,“
„Reiſenden“, „ortsanweſenden“ und „ortsangehörigen“ Bevölkerung weder
ganz einig war, noch auch es bis jetzt geworden iſt (Nachtrag zur Zu-
ſammenſtellung
der in Bezug auf die Volkszählungen der verſchie-
denen deutſchen Staaten getroffenen Anordnungen. Großherzogl. heſſiſche
Landesſtatiſtik 1865, Seite 1 — 3) — ein ziemlich buntes Bild der

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <div n="7">
                    <p><pb facs="#f0244" n="222"/>
aus Süßmilch er&#x017F;ehen. Hier brauchten daher die Regierungen nur an-<lb/>
zu&#x017F;chließen; und das ge&#x017F;chah auch. Allein dazu gehörte jene tiefe Um-<lb/>
ge&#x017F;taltung des öffentlichen Lebens und Rechts, welche die alte örtliche<lb/>
Verwaltung vernichtete, und die&#x017F;elbe nicht bloß principiell, &#x017F;ondern auch<lb/>
durch ihre eigenen Beamteten &#x017F;elb&#x017F;t übernahm. Die Zeit, in der das<lb/>
ge&#x017F;chieht, i&#x017F;t un&#x017F;er Jahrhundert; und er&#x017F;t mit un&#x017F;erm Jahrhundert kann<lb/>
daher von einer rechten Ge&#x017F;chichte des Zählungswe&#x017F;ens die Rede &#x017F;ein.</p><lb/>
                    <p>Wir dürfen nochmals bemerken, daß wir die&#x017F;e Ge&#x017F;chichte einer ein-<lb/>
gehenden Arbeit überla&#x017F;&#x017F;en mü&#x017F;&#x017F;en, da die Einzelheiten zu groß &#x017F;ind,<lb/>
um &#x017F;ie hier ganz durchzuführen. Allein wir glauben dennoch, daß die<lb/>
Dar&#x017F;tellung des allgemeinen Ganges der&#x017F;elben und der individuellen<lb/>
Ge&#x017F;talt, welche &#x017F;ie in den einzelnen Staaten angenommen, nicht ohne<lb/>
Werth &#x017F;ein wird, da hier noch &#x017F;o ziemlich <hi rendition="#g">alles</hi> zu thun i&#x017F;t.</p>
                  </div><lb/>
                  <div n="7">
                    <head>6) <hi rendition="#g">Das Zählungswe&#x017F;en in einzelnen Staaten</hi>.</head><lb/>
                    <div n="8">
                      <head><hi rendition="#aq">a</hi>) Der allgemeine Gang der Entwicklung des Zählungswe&#x017F;ens &#x017F;eit dem Beginn<lb/>
die&#x017F;es Jahrhunderts.</head><lb/>
                      <p>Die amtlichen Zählungen in Deut&#x017F;chland &#x017F;cheinen in den er&#x017F;ten<lb/>
Jahrzehnten wohl &#x017F;ehr unvollkommen gewe&#x017F;en zu &#x017F;ein; den Anfang der-<lb/>
&#x017F;elben machte die Zählung, auf welcher die <hi rendition="#g">Bundesmatrikel</hi> beruhte.<lb/>
Ich finde nirgends das Verfahren bei die&#x017F;er Zählung angegeben; eben<lb/>
&#x017F;o wenig vermag ich über die preußi&#x017F;chen Zählungen die&#x017F;er Zeit etwas<lb/>
zu finden. Er&#x017F;t mit den dreißiger Jahren beginnt eine ganz neue Ge&#x017F;talt<lb/>
des Zählungswe&#x017F;ens. Zwei Dinge haben die&#x017F;elbe hervorgerufen, welche<lb/>
von der künftigen Ge&#x017F;chicht&#x017F;chreibung ihre genauere Würdigung erwarten<lb/>
dürfen. Das er&#x017F;te war die Ent&#x017F;tehung des <hi rendition="#g">Zollvereins</hi>. Die näch&#x017F;te<lb/>
Aufgabe der Zählungen des Zollvereins war allerdings die einfache<lb/>
Con&#x017F;tatirung der Kopfzahl, um &#x017F;ie der Vertheilung der Zollerträgni&#x017F;&#x017F;e<lb/>
zum Grunde zu legen, und aus der der eigentliche Begriff der &#x201E;Zoll-<lb/>
abrechnungsbevölkerung&#x201C; hervorging. Allein die Souveränetät der ein-<lb/>
zelnen Bundes&#x017F;taaten &#x017F;chloß die einheitliche Vornahme von Zählungen,<lb/>
&#x017F;o wie die einheitliche Ge&#x017F;etzgebung über die&#x017F;elben aus; jeder Staat<lb/>
verfuhr dabei auf &#x017F;eine Wei&#x017F;e, und &#x017F;o ent&#x017F;tand mit bloßer Ausnahme<lb/>
der Fe&#x017F;t&#x017F;tellung der Kopfzahl, die <hi rendition="#g">ziemlich</hi> gleichmäßig gewonnen ward<lb/>
(freilich auch die&#x017F;e nicht ganz, da man über die Begriffe der &#x201E;&#x017F;te,&#x201C;<lb/>
&#x201E;Rei&#x017F;enden&#x201C;, &#x201E;ortsanwe&#x017F;enden&#x201C; und &#x201E;ortsangehörigen&#x201C; Bevölkerung weder<lb/>
ganz einig war, noch auch es bis jetzt geworden i&#x017F;t (<hi rendition="#g">Nachtrag zur Zu-<lb/>
&#x017F;ammen&#x017F;tellung</hi> der in Bezug auf die Volkszählungen der ver&#x017F;chie-<lb/>
denen deut&#x017F;chen Staaten getroffenen Anordnungen. Großherzogl. he&#x017F;&#x017F;i&#x017F;che<lb/>
Landes&#x017F;tati&#x017F;tik 1865, Seite 1 &#x2014; 3) &#x2014; ein ziemlich buntes Bild der<lb/></p>
                    </div>
                  </div>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[222/0244] aus Süßmilch erſehen. Hier brauchten daher die Regierungen nur an- zuſchließen; und das geſchah auch. Allein dazu gehörte jene tiefe Um- geſtaltung des öffentlichen Lebens und Rechts, welche die alte örtliche Verwaltung vernichtete, und dieſelbe nicht bloß principiell, ſondern auch durch ihre eigenen Beamteten ſelbſt übernahm. Die Zeit, in der das geſchieht, iſt unſer Jahrhundert; und erſt mit unſerm Jahrhundert kann daher von einer rechten Geſchichte des Zählungsweſens die Rede ſein. Wir dürfen nochmals bemerken, daß wir dieſe Geſchichte einer ein- gehenden Arbeit überlaſſen müſſen, da die Einzelheiten zu groß ſind, um ſie hier ganz durchzuführen. Allein wir glauben dennoch, daß die Darſtellung des allgemeinen Ganges derſelben und der individuellen Geſtalt, welche ſie in den einzelnen Staaten angenommen, nicht ohne Werth ſein wird, da hier noch ſo ziemlich alles zu thun iſt. 6) Das Zählungsweſen in einzelnen Staaten. a) Der allgemeine Gang der Entwicklung des Zählungsweſens ſeit dem Beginn dieſes Jahrhunderts. Die amtlichen Zählungen in Deutſchland ſcheinen in den erſten Jahrzehnten wohl ſehr unvollkommen geweſen zu ſein; den Anfang der- ſelben machte die Zählung, auf welcher die Bundesmatrikel beruhte. Ich finde nirgends das Verfahren bei dieſer Zählung angegeben; eben ſo wenig vermag ich über die preußiſchen Zählungen dieſer Zeit etwas zu finden. Erſt mit den dreißiger Jahren beginnt eine ganz neue Geſtalt des Zählungsweſens. Zwei Dinge haben dieſelbe hervorgerufen, welche von der künftigen Geſchichtſchreibung ihre genauere Würdigung erwarten dürfen. Das erſte war die Entſtehung des Zollvereins. Die nächſte Aufgabe der Zählungen des Zollvereins war allerdings die einfache Conſtatirung der Kopfzahl, um ſie der Vertheilung der Zollerträgniſſe zum Grunde zu legen, und aus der der eigentliche Begriff der „Zoll- abrechnungsbevölkerung“ hervorging. Allein die Souveränetät der ein- zelnen Bundesſtaaten ſchloß die einheitliche Vornahme von Zählungen, ſo wie die einheitliche Geſetzgebung über dieſelben aus; jeder Staat verfuhr dabei auf ſeine Weiſe, und ſo entſtand mit bloßer Ausnahme der Feſtſtellung der Kopfzahl, die ziemlich gleichmäßig gewonnen ward (freilich auch dieſe nicht ganz, da man über die Begriffe der „Gäſte,“ „Reiſenden“, „ortsanweſenden“ und „ortsangehörigen“ Bevölkerung weder ganz einig war, noch auch es bis jetzt geworden iſt (Nachtrag zur Zu- ſammenſtellung der in Bezug auf die Volkszählungen der verſchie- denen deutſchen Staaten getroffenen Anordnungen. Großherzogl. heſſiſche Landesſtatiſtik 1865, Seite 1 — 3) — ein ziemlich buntes Bild der

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre02_1866
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre02_1866/244
Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866, S. 222. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre02_1866/244>, abgerufen am 19.03.2024.