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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866.

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dings stehen die neuesten Werke, wie Pütter und selbst Vesque von Puttlingen,
aus guten Gründen noch auf dem Boden des reinen bürgerlichen Rechts; aber
das wird namentlich durch die neuen Anschanungen über das Consularwesen
und seine Funktion, diesen großen Organismus der internationalen Verwaltung,
bald anders werden. Das Paßwesen aber ist dabei, wir möchten fast sagen
wunderlicher Weise, ganz ausgefallen, da man es vom völkerrechtlichen Stand-
punkt als eine reine Verwaltungsmaßregel ansah, deren internationales Recht
auf dem einfachen Princip beruhe, daß jeder Staat das Recht habe, den Ein-
zelnen, der ihm nicht angehört, auszuschließen, ein Satz, der kaum all der
Autoritäten bedurft hätte, die ihn ausdrücklich anerkannt haben, wie Vattel
(II. 7. 94), Martens (S. 155), Klüber (I. 215), Heffter (S. 111),
Pütter (Fremdenrecht S. 26), Mohl (Präventivjustiz S. 106). Merkwürdig
schon, daß das Völkerrecht dabei die Form und die Folgen dieses Satzes nicht
weiter untersucht; weit merkwürdiger, und nur durch die deutschen Zustände
erklärlich ist es dagegen, daß das Paßwesen für die deutschen Bundesstaaten
wieder als ein Bundesrecht aufgefaßt wird, obgleich es doch ein rein inter-
nationales Recht und als solches durch eigene Verträge geordnet ist. Vielleicht
daß die, durch die territorialen Staatsrechte bereits anerkannte Stellung dieses
Gebiets als Theil des innern Verwaltungsrechts diese Unbestimmtheit zur end-
gültigen Entscheidung bringt!

II. Die historische Entwicklung des öffentlichen Rechts des persönlichen
Verkehrs.

(Die ursprünglichen Geleitsbriefe. -- Das rein polizeiliche Paßwesen. Die
allmählige Scheidung in Princip und Praxis für die Pässe der Reisen nach
und von dem Auslande, und für das innere Fremdenrecht.)

Das Paßwesen, so weit bei unsern jetzt noch sehr beschränkten Quellen
die Entwicklung desselben zu übersehen ist, zeigt auf dem Continent fast
allgemein die Erscheinung, daß das wirkliche Leben eine weitläufige
Gesetzgebung fast unwiderstehlich bei Seite geschoben hat, die in Princip
und Einzelheiten aus dem vorigen Jahrhundert stammt, und erst in
allerneuester Zeit durch die überwältigende Macht der Volksbewegung
fast gewaltsam erst auf ihren rechten und dauernden Boden zurückge-
drängt wurde. Um dieß darzulegen, bedarf es eines umfassenden Ma-
terials; aber es kann beim Ueberblick über dasselbe gar keinem Zweifel
unterliegen, daß das Princip der bestehenden Gesetzgebung sich überlebt
hat. Wir glauben die Sache am besten zu bezeichnen, indem wir das
ursprüngliche System das der Geleitsbriefe (litera commeatus), das
gegenwärtig geltende das polizeiliche, das künftige und naturgemäße
das freie persönliche Verkehrsrecht nennen. Formell gilt noch das
erste; materiell ist das zweite bereits in Wirksamkeit, und es kann
nicht lange dauern, bis es auch zur formellen Entwicklung gelangt.

dings ſtehen die neueſten Werke, wie Pütter und ſelbſt Vesque von Puttlingen,
aus guten Gründen noch auf dem Boden des reinen bürgerlichen Rechts; aber
das wird namentlich durch die neuen Anſchanungen über das Conſularweſen
und ſeine Funktion, dieſen großen Organismus der internationalen Verwaltung,
bald anders werden. Das Paßweſen aber iſt dabei, wir möchten faſt ſagen
wunderlicher Weiſe, ganz ausgefallen, da man es vom völkerrechtlichen Stand-
punkt als eine reine Verwaltungsmaßregel anſah, deren internationales Recht
auf dem einfachen Princip beruhe, daß jeder Staat das Recht habe, den Ein-
zelnen, der ihm nicht angehört, auszuſchließen, ein Satz, der kaum all der
Autoritäten bedurft hätte, die ihn ausdrücklich anerkannt haben, wie Vattel
(II. 7. 94), Martens (S. 155), Klüber (I. 215), Heffter (S. 111),
Pütter (Fremdenrecht S. 26), Mohl (Präventivjuſtiz S. 106). Merkwürdig
ſchon, daß das Völkerrecht dabei die Form und die Folgen dieſes Satzes nicht
weiter unterſucht; weit merkwürdiger, und nur durch die deutſchen Zuſtände
erklärlich iſt es dagegen, daß das Paßweſen für die deutſchen Bundesſtaaten
wieder als ein Bundesrecht aufgefaßt wird, obgleich es doch ein rein inter-
nationales Recht und als ſolches durch eigene Verträge geordnet iſt. Vielleicht
daß die, durch die territorialen Staatsrechte bereits anerkannte Stellung dieſes
Gebiets als Theil des innern Verwaltungsrechts dieſe Unbeſtimmtheit zur end-
gültigen Entſcheidung bringt!

II. Die hiſtoriſche Entwicklung des öffentlichen Rechts des perſönlichen
Verkehrs.

(Die urſprünglichen Geleitsbriefe. — Das rein polizeiliche Paßweſen. Die
allmählige Scheidung in Princip und Praxis für die Päſſe der Reiſen nach
und von dem Auslande, und für das innere Fremdenrecht.)

Das Paßweſen, ſo weit bei unſern jetzt noch ſehr beſchränkten Quellen
die Entwicklung deſſelben zu überſehen iſt, zeigt auf dem Continent faſt
allgemein die Erſcheinung, daß das wirkliche Leben eine weitläufige
Geſetzgebung faſt unwiderſtehlich bei Seite geſchoben hat, die in Princip
und Einzelheiten aus dem vorigen Jahrhundert ſtammt, und erſt in
allerneueſter Zeit durch die überwältigende Macht der Volksbewegung
faſt gewaltſam erſt auf ihren rechten und dauernden Boden zurückge-
drängt wurde. Um dieß darzulegen, bedarf es eines umfaſſenden Ma-
terials; aber es kann beim Ueberblick über daſſelbe gar keinem Zweifel
unterliegen, daß das Princip der beſtehenden Geſetzgebung ſich überlebt
hat. Wir glauben die Sache am beſten zu bezeichnen, indem wir das
urſprüngliche Syſtem das der Geleitsbriefe (litera commeatus), das
gegenwärtig geltende das polizeiliche, das künftige und naturgemäße
das freie perſönliche Verkehrsrecht nennen. Formell gilt noch das
erſte; materiell iſt das zweite bereits in Wirkſamkeit, und es kann
nicht lange dauern, bis es auch zur formellen Entwicklung gelangt.

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[253/0275] dings ſtehen die neueſten Werke, wie Pütter und ſelbſt Vesque von Puttlingen, aus guten Gründen noch auf dem Boden des reinen bürgerlichen Rechts; aber das wird namentlich durch die neuen Anſchanungen über das Conſularweſen und ſeine Funktion, dieſen großen Organismus der internationalen Verwaltung, bald anders werden. Das Paßweſen aber iſt dabei, wir möchten faſt ſagen wunderlicher Weiſe, ganz ausgefallen, da man es vom völkerrechtlichen Stand- punkt als eine reine Verwaltungsmaßregel anſah, deren internationales Recht auf dem einfachen Princip beruhe, daß jeder Staat das Recht habe, den Ein- zelnen, der ihm nicht angehört, auszuſchließen, ein Satz, der kaum all der Autoritäten bedurft hätte, die ihn ausdrücklich anerkannt haben, wie Vattel (II. 7. 94), Martens (S. 155), Klüber (I. 215), Heffter (S. 111), Pütter (Fremdenrecht S. 26), Mohl (Präventivjuſtiz S. 106). Merkwürdig ſchon, daß das Völkerrecht dabei die Form und die Folgen dieſes Satzes nicht weiter unterſucht; weit merkwürdiger, und nur durch die deutſchen Zuſtände erklärlich iſt es dagegen, daß das Paßweſen für die deutſchen Bundesſtaaten wieder als ein Bundesrecht aufgefaßt wird, obgleich es doch ein rein inter- nationales Recht und als ſolches durch eigene Verträge geordnet iſt. Vielleicht daß die, durch die territorialen Staatsrechte bereits anerkannte Stellung dieſes Gebiets als Theil des innern Verwaltungsrechts dieſe Unbeſtimmtheit zur end- gültigen Entſcheidung bringt! II. Die hiſtoriſche Entwicklung des öffentlichen Rechts des perſönlichen Verkehrs. (Die urſprünglichen Geleitsbriefe. — Das rein polizeiliche Paßweſen. Die allmählige Scheidung in Princip und Praxis für die Päſſe der Reiſen nach und von dem Auslande, und für das innere Fremdenrecht.) Das Paßweſen, ſo weit bei unſern jetzt noch ſehr beſchränkten Quellen die Entwicklung deſſelben zu überſehen iſt, zeigt auf dem Continent faſt allgemein die Erſcheinung, daß das wirkliche Leben eine weitläufige Geſetzgebung faſt unwiderſtehlich bei Seite geſchoben hat, die in Princip und Einzelheiten aus dem vorigen Jahrhundert ſtammt, und erſt in allerneueſter Zeit durch die überwältigende Macht der Volksbewegung faſt gewaltſam erſt auf ihren rechten und dauernden Boden zurückge- drängt wurde. Um dieß darzulegen, bedarf es eines umfaſſenden Ma- terials; aber es kann beim Ueberblick über daſſelbe gar keinem Zweifel unterliegen, daß das Princip der beſtehenden Geſetzgebung ſich überlebt hat. Wir glauben die Sache am beſten zu bezeichnen, indem wir das urſprüngliche Syſtem das der Geleitsbriefe (litera commeatus), das gegenwärtig geltende das polizeiliche, das künftige und naturgemäße das freie perſönliche Verkehrsrecht nennen. Formell gilt noch das erſte; materiell iſt das zweite bereits in Wirkſamkeit, und es kann nicht lange dauern, bis es auch zur formellen Entwicklung gelangt.

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866, S. 253. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre02_1866/275>, abgerufen am 19.03.2024.