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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866.

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Princip zu behandeln, nach welchem auch diese Reisen der obrigkeitlichen
Erlaubniß bedurft hatten; hier mußte man langsam dem Bedürfniß der
Zeit nachgeben und das Paßwesen beseitigen, während man gegen "Aus-
länder" die ganze Strenge desselben aufrecht hielt. Dennoch wollte und
konnte man den Reisenden im Inlande nicht ohne "Aufsicht" lassen.
Das Fremdenwesen ward daher nach und nach zu einem eigenen Sy-
stem ausgebildet, das als "Aufsicht über Fremde" sowohl den Ausländer
als Inländer umfaßte, und zum zweiten ergänzenden Theil des Paß-
wesens wurde. So entstand das System des Reiserechts, dessen gegen-
wärtige Gültigkeit wir schon angegeben haben. Es hat in allen deutschen
Staaten zwei Theile. Der erste Theil ist das Paßwesen, das sich
auf die Reise außerhalb Landes bezieht, der zweite Theil das Frem-
denwesen
, das die Reisen im Inlande betrifft. Die Scheidung
dieser beiden Institutionen bildet den formellen Charakter des Reiserechts
unserer Zeit, und es wird jetzt leicht sein, die Scheidung und besondere
Behandlung beider richtig zu verstehen. Es darf dabei nur nicht über-
sehen werden, daß diese Scheidung sich mehr an den Inhalt der Gesetze
als an die systematische Theorie angeschlossen hat, wie wir das bei
Mohl (Württemb. Staatsrecht), Pözl, Rönne u. A. sehen, weßhalb
die letztere, die sich überhaupt mit der historischen Geschichte dieses Insti-
tuts viel zu wenig beschäftigt hat, auch nicht recht zum Verständniß
des eigentlichen organischen Verhältnisses beider gelangt ist, sondern
das Fremdenwesen einerseits nur als "Ergänzung des Paßwesens"
andererseits nur einseitig in Beziehung auf die Fremden aufgefaßt
hat, womit dann die klare Uebersicht verloren geht. (Mohl, Präven-
tivjustiz, S. 116 ff.) Wir wollen nun versuchen, jeden dieser Theile
mit seinem eigenthümlichen Princip und seinen geltenden Bestimmungen
darzulegen; das Paßwesen als Maßregel für die, welche die Gränze
überschreiten, und das Fremdenwesen als Maßregel für die
Gesammtheit der Fremden innerhalb der Landesgränzen.

III. Das Paßwesen.

(Formeller und rechtlicher Charakter und Inhalt des Passes. Die drei
Grundformen des Paßwesens in Europa: das freie Paßwesen Englands, das
streng polizeiliche Frankreichs, und die Verbindung beider in Deutschland durch
das Paßkartensystem.)

Auf Grundlage der bisherigen Darstellung können wir nun das,
mit unserem Jahrhundert im Reiserecht sich vom Meldungs- und Legiti-
mationswesen abscheidende, selbständige Paßwesen bestimmt bezeichnen.
Es ist die Gesammtheit von Vorschriften für die Reiseurkunden, welche

Princip zu behandeln, nach welchem auch dieſe Reiſen der obrigkeitlichen
Erlaubniß bedurft hatten; hier mußte man langſam dem Bedürfniß der
Zeit nachgeben und das Paßweſen beſeitigen, während man gegen „Aus-
länder“ die ganze Strenge deſſelben aufrecht hielt. Dennoch wollte und
konnte man den Reiſenden im Inlande nicht ohne „Aufſicht“ laſſen.
Das Fremdenweſen ward daher nach und nach zu einem eigenen Sy-
ſtem ausgebildet, das als „Aufſicht über Fremde“ ſowohl den Ausländer
als Inländer umfaßte, und zum zweiten ergänzenden Theil des Paß-
weſens wurde. So entſtand das Syſtem des Reiſerechts, deſſen gegen-
wärtige Gültigkeit wir ſchon angegeben haben. Es hat in allen deutſchen
Staaten zwei Theile. Der erſte Theil iſt das Paßweſen, das ſich
auf die Reiſe außerhalb Landes bezieht, der zweite Theil das Frem-
denweſen
, das die Reiſen im Inlande betrifft. Die Scheidung
dieſer beiden Inſtitutionen bildet den formellen Charakter des Reiſerechts
unſerer Zeit, und es wird jetzt leicht ſein, die Scheidung und beſondere
Behandlung beider richtig zu verſtehen. Es darf dabei nur nicht über-
ſehen werden, daß dieſe Scheidung ſich mehr an den Inhalt der Geſetze
als an die ſyſtematiſche Theorie angeſchloſſen hat, wie wir das bei
Mohl (Württemb. Staatsrecht), Pözl, Rönne u. A. ſehen, weßhalb
die letztere, die ſich überhaupt mit der hiſtoriſchen Geſchichte dieſes Inſti-
tuts viel zu wenig beſchäftigt hat, auch nicht recht zum Verſtändniß
des eigentlichen organiſchen Verhältniſſes beider gelangt iſt, ſondern
das Fremdenweſen einerſeits nur als „Ergänzung des Paßweſens“
andererſeits nur einſeitig in Beziehung auf die Fremden aufgefaßt
hat, womit dann die klare Ueberſicht verloren geht. (Mohl, Präven-
tivjuſtiz, S. 116 ff.) Wir wollen nun verſuchen, jeden dieſer Theile
mit ſeinem eigenthümlichen Princip und ſeinen geltenden Beſtimmungen
darzulegen; das Paßweſen als Maßregel für die, welche die Gränze
überſchreiten, und das Fremdenweſen als Maßregel für die
Geſammtheit der Fremden innerhalb der Landesgränzen.

III. Das Paßweſen.

(Formeller und rechtlicher Charakter und Inhalt des Paſſes. Die drei
Grundformen des Paßweſens in Europa: das freie Paßweſen Englands, das
ſtreng polizeiliche Frankreichs, und die Verbindung beider in Deutſchland durch
das Paßkartenſyſtem.)

Auf Grundlage der bisherigen Darſtellung können wir nun das,
mit unſerem Jahrhundert im Reiſerecht ſich vom Meldungs- und Legiti-
mationsweſen abſcheidende, ſelbſtändige Paßweſen beſtimmt bezeichnen.
Es iſt die Geſammtheit von Vorſchriften für die Reiſeurkunden, welche

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[259/0281] Princip zu behandeln, nach welchem auch dieſe Reiſen der obrigkeitlichen Erlaubniß bedurft hatten; hier mußte man langſam dem Bedürfniß der Zeit nachgeben und das Paßweſen beſeitigen, während man gegen „Aus- länder“ die ganze Strenge deſſelben aufrecht hielt. Dennoch wollte und konnte man den Reiſenden im Inlande nicht ohne „Aufſicht“ laſſen. Das Fremdenweſen ward daher nach und nach zu einem eigenen Sy- ſtem ausgebildet, das als „Aufſicht über Fremde“ ſowohl den Ausländer als Inländer umfaßte, und zum zweiten ergänzenden Theil des Paß- weſens wurde. So entſtand das Syſtem des Reiſerechts, deſſen gegen- wärtige Gültigkeit wir ſchon angegeben haben. Es hat in allen deutſchen Staaten zwei Theile. Der erſte Theil iſt das Paßweſen, das ſich auf die Reiſe außerhalb Landes bezieht, der zweite Theil das Frem- denweſen, das die Reiſen im Inlande betrifft. Die Scheidung dieſer beiden Inſtitutionen bildet den formellen Charakter des Reiſerechts unſerer Zeit, und es wird jetzt leicht ſein, die Scheidung und beſondere Behandlung beider richtig zu verſtehen. Es darf dabei nur nicht über- ſehen werden, daß dieſe Scheidung ſich mehr an den Inhalt der Geſetze als an die ſyſtematiſche Theorie angeſchloſſen hat, wie wir das bei Mohl (Württemb. Staatsrecht), Pözl, Rönne u. A. ſehen, weßhalb die letztere, die ſich überhaupt mit der hiſtoriſchen Geſchichte dieſes Inſti- tuts viel zu wenig beſchäftigt hat, auch nicht recht zum Verſtändniß des eigentlichen organiſchen Verhältniſſes beider gelangt iſt, ſondern das Fremdenweſen einerſeits nur als „Ergänzung des Paßweſens“ andererſeits nur einſeitig in Beziehung auf die Fremden aufgefaßt hat, womit dann die klare Ueberſicht verloren geht. (Mohl, Präven- tivjuſtiz, S. 116 ff.) Wir wollen nun verſuchen, jeden dieſer Theile mit ſeinem eigenthümlichen Princip und ſeinen geltenden Beſtimmungen darzulegen; das Paßweſen als Maßregel für die, welche die Gränze überſchreiten, und das Fremdenweſen als Maßregel für die Geſammtheit der Fremden innerhalb der Landesgränzen. III. Das Paßweſen. (Formeller und rechtlicher Charakter und Inhalt des Paſſes. Die drei Grundformen des Paßweſens in Europa: das freie Paßweſen Englands, das ſtreng polizeiliche Frankreichs, und die Verbindung beider in Deutſchland durch das Paßkartenſyſtem.) Auf Grundlage der bisherigen Darſtellung können wir nun das, mit unſerem Jahrhundert im Reiſerecht ſich vom Meldungs- und Legiti- mationsweſen abſcheidende, ſelbſtändige Paßweſen beſtimmt bezeichnen. Es iſt die Geſammtheit von Vorſchriften für die Reiſeurkunden, welche

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866, S. 259. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre02_1866/281>, abgerufen am 19.03.2024.