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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866.

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IV.
Die administrative Ordnung der Bevölkerung.

(Die Begriffe und das Recht von Competenz, Zuständigkeit, Gemeinde-
bürgerrecht und Heimathswesen.)

Vorbemerkung.

Indem wir nunmehr den Begriff der administrativen Ord-
nung der Bevölkerung
, und die Bestimmungen, welche sie regeln,
so wie die Rechte, die sich aus ihr ergeben, darstellen, betreten wir ein
Gebiet, welches wie wenig andere wenigstens in der Theorie, zum
großen Theile aber auch in der Gesetzgebung, im höchsten Grade einer-
seits unfertig, andererseits unklar ist.

Die hierher gehörigen gesetzlichen Vorschriften, Ansichten und Defi-
nitionen sind nicht etwa bloß höchst verschieden, sondern sie liegen zu
gleicher Zeit in so verschiedenen Gebieten des geltenden Rechts und der
Rechts- und Staatswissenschaft zerstreut, daß es vollständig unmöglich
ist, sich hier an eine gegebene Grundlage anzuschließen.

Niemand, der mit dem Gange bekannt ist, den der Einfluß der
Wissenschaft auf das wirkliche praktische Leben nimmt, wird gern daran
denken, neue Kategorien und neue Normen aufzustellen, und jede der-
selben mit neuen ihnen eigenen Definitionen auszustatten. Nur die
vollständige Unmöglichkeit, auf Grundlage des Bisherigen ein wissen-
schaftliches Ganze herzustellen, kann dazu zwingen und berechtigen. Das
Folgende wird zeigen, daß jede eingehende Behandlung unseres Gegen-
standes unbedingt genöthigt ist, der Staatswissenschaft die Zumuthung
zu stellen, sich hier an eine neue Auffassung zu gewöhnen.

In der That nämlich dürfen wir gerade hier darauf aufmerksam
machen, daß es sich nicht etwa bloß darum handelt, die deutsche Theorie
zu ordnen. Die Verwaltungslehre im höheren Sinne des Wortes hat
vielmehr die Aufgabe, solche Kategorien der Wissenschaft aufzustellen,
welche die grundverschiedenen Gestaltungen der gleichen Rechtsverhältnisse
und Begriffe in allen Staaten und zu allen Zeiten in sich aufzu-
nehmen, und zum organischen Verständniß zu führen fähig sind. Jeder
Versuch, der nicht diesem Ziel entgegenstrebt, hat nur örtlichen Werth.
Soll das aber der Fall sein, so muß die Wissenschaft auf Grundlagen
zurückgehen, die unter allen Verhältnissen dauernd sind, und daher
auch aus dem, unter allen Verhältnissen Geltenden, der ewigen Natur
der Ordnung der menschlichen Gemeinschaft, hervorgehen, und durch sie
erst das Besondere und Einzelne erklären. Und das ist hier unsere
Aufgabe, und nirgends mehr ist sie nothwendig.

IV.
Die adminiſtrative Ordnung der Bevölkerung.

(Die Begriffe und das Recht von Competenz, Zuſtändigkeit, Gemeinde-
bürgerrecht und Heimathsweſen.)

Vorbemerkung.

Indem wir nunmehr den Begriff der adminiſtrativen Ord-
nung der Bevölkerung
, und die Beſtimmungen, welche ſie regeln,
ſo wie die Rechte, die ſich aus ihr ergeben, darſtellen, betreten wir ein
Gebiet, welches wie wenig andere wenigſtens in der Theorie, zum
großen Theile aber auch in der Geſetzgebung, im höchſten Grade einer-
ſeits unfertig, andererſeits unklar iſt.

Die hierher gehörigen geſetzlichen Vorſchriften, Anſichten und Defi-
nitionen ſind nicht etwa bloß höchſt verſchieden, ſondern ſie liegen zu
gleicher Zeit in ſo verſchiedenen Gebieten des geltenden Rechts und der
Rechts- und Staatswiſſenſchaft zerſtreut, daß es vollſtändig unmöglich
iſt, ſich hier an eine gegebene Grundlage anzuſchließen.

Niemand, der mit dem Gange bekannt iſt, den der Einfluß der
Wiſſenſchaft auf das wirkliche praktiſche Leben nimmt, wird gern daran
denken, neue Kategorien und neue Normen aufzuſtellen, und jede der-
ſelben mit neuen ihnen eigenen Definitionen auszuſtatten. Nur die
vollſtändige Unmöglichkeit, auf Grundlage des Bisherigen ein wiſſen-
ſchaftliches Ganze herzuſtellen, kann dazu zwingen und berechtigen. Das
Folgende wird zeigen, daß jede eingehende Behandlung unſeres Gegen-
ſtandes unbedingt genöthigt iſt, der Staatswiſſenſchaft die Zumuthung
zu ſtellen, ſich hier an eine neue Auffaſſung zu gewöhnen.

In der That nämlich dürfen wir gerade hier darauf aufmerkſam
machen, daß es ſich nicht etwa bloß darum handelt, die deutſche Theorie
zu ordnen. Die Verwaltungslehre im höheren Sinne des Wortes hat
vielmehr die Aufgabe, ſolche Kategorien der Wiſſenſchaft aufzuſtellen,
welche die grundverſchiedenen Geſtaltungen der gleichen Rechtsverhältniſſe
und Begriffe in allen Staaten und zu allen Zeiten in ſich aufzu-
nehmen, und zum organiſchen Verſtändniß zu führen fähig ſind. Jeder
Verſuch, der nicht dieſem Ziel entgegenſtrebt, hat nur örtlichen Werth.
Soll das aber der Fall ſein, ſo muß die Wiſſenſchaft auf Grundlagen
zurückgehen, die unter allen Verhältniſſen dauernd ſind, und daher
auch aus dem, unter allen Verhältniſſen Geltenden, der ewigen Natur
der Ordnung der menſchlichen Gemeinſchaft, hervorgehen, und durch ſie
erſt das Beſondere und Einzelne erklären. Und das iſt hier unſere
Aufgabe, und nirgends mehr iſt ſie nothwendig.

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[272/0294] IV. Die adminiſtrative Ordnung der Bevölkerung. (Die Begriffe und das Recht von Competenz, Zuſtändigkeit, Gemeinde- bürgerrecht und Heimathsweſen.) Vorbemerkung. Indem wir nunmehr den Begriff der adminiſtrativen Ord- nung der Bevölkerung, und die Beſtimmungen, welche ſie regeln, ſo wie die Rechte, die ſich aus ihr ergeben, darſtellen, betreten wir ein Gebiet, welches wie wenig andere wenigſtens in der Theorie, zum großen Theile aber auch in der Geſetzgebung, im höchſten Grade einer- ſeits unfertig, andererſeits unklar iſt. Die hierher gehörigen geſetzlichen Vorſchriften, Anſichten und Defi- nitionen ſind nicht etwa bloß höchſt verſchieden, ſondern ſie liegen zu gleicher Zeit in ſo verſchiedenen Gebieten des geltenden Rechts und der Rechts- und Staatswiſſenſchaft zerſtreut, daß es vollſtändig unmöglich iſt, ſich hier an eine gegebene Grundlage anzuſchließen. Niemand, der mit dem Gange bekannt iſt, den der Einfluß der Wiſſenſchaft auf das wirkliche praktiſche Leben nimmt, wird gern daran denken, neue Kategorien und neue Normen aufzuſtellen, und jede der- ſelben mit neuen ihnen eigenen Definitionen auszuſtatten. Nur die vollſtändige Unmöglichkeit, auf Grundlage des Bisherigen ein wiſſen- ſchaftliches Ganze herzuſtellen, kann dazu zwingen und berechtigen. Das Folgende wird zeigen, daß jede eingehende Behandlung unſeres Gegen- ſtandes unbedingt genöthigt iſt, der Staatswiſſenſchaft die Zumuthung zu ſtellen, ſich hier an eine neue Auffaſſung zu gewöhnen. In der That nämlich dürfen wir gerade hier darauf aufmerkſam machen, daß es ſich nicht etwa bloß darum handelt, die deutſche Theorie zu ordnen. Die Verwaltungslehre im höheren Sinne des Wortes hat vielmehr die Aufgabe, ſolche Kategorien der Wiſſenſchaft aufzuſtellen, welche die grundverſchiedenen Geſtaltungen der gleichen Rechtsverhältniſſe und Begriffe in allen Staaten und zu allen Zeiten in ſich aufzu- nehmen, und zum organiſchen Verſtändniß zu führen fähig ſind. Jeder Verſuch, der nicht dieſem Ziel entgegenſtrebt, hat nur örtlichen Werth. Soll das aber der Fall ſein, ſo muß die Wiſſenſchaft auf Grundlagen zurückgehen, die unter allen Verhältniſſen dauernd ſind, und daher auch aus dem, unter allen Verhältniſſen Geltenden, der ewigen Natur der Ordnung der menſchlichen Gemeinſchaft, hervorgehen, und durch ſie erſt das Beſondere und Einzelne erklären. Und das iſt hier unſere Aufgabe, und nirgends mehr iſt ſie nothwendig.

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866, S. 272. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre02_1866/294>, abgerufen am 19.03.2024.