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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866.

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einfach auf dem Heimathsrecht zur Union statt zum Kirchspiel, was
nicht bloß durch die Verhältnisse Irlands an und für sich motivirt war,
sondern sich auch als praktisch richtig erwiesen hat. (Kries, §. 55 ff.)

Faßt man nun diese Sätze zusammen, so ergibt sich für die ad-
ministrative Ordnung der Bevölkerung in Großbritannien folgendes
Resultat.

Die Competenzen und Zuständigkeiten beruhen für die Aufgaben
der Verwaltung der Finanzen und des Innern wesentlich auf der Ver-
waltungsgemeinde, für die Gerichte und ihre juristische sowie ihre ver-
fassungsmäßige Funktion auf den Grundsätzen der gerichtlichen Com-
petenz. Das Gemeindebürgerrecht ist bedingt durch Theilnahme an den
Verwaltungssteuern und erscheint als Verwaltungsbürgerrecht, das durch
die bloße Theilnahme an den Steuern gegeben ist. Das Heimathsrecht
dagegen ist wie gezeigt ein anderes in England, in Schottland, und in
Irland.

Frankreich.

(Das allgemeine Staatsbürger- und Wahlrecht nimmt das Verwaltungs-
und Gemeindebürgerrecht, die amtliche Competenz und Zuständigkeit das
Heimathsrecht in sich auf, so daß mit sehr unbedeutenden Ausnahmen die ganze
Angehörigkeit an die Selbstverwaltung im Wahlrecht und Domicile untergeht.

Wir glauben für unsern Gegenstand das frühere Recht der fran-
zösischen administrativen Bevölkerungsordnung um so mehr weglassen
zu können, als gerade auf diesem Punkt der Bruch, den die Revolution
hervorgerufen hat, am durchgreifendsten gewesen ist. Während auf den
meisten andern Gebieten das ancien regime denn doch vieles erklärt
und vieles aus ihm sich erhalten hat, wird in dem Bevölkerungsrecht
geradezu alles durch das staatsrechtliche Princip der neuen Staatsord-
nung bedingt, und indem wir für die früheren Zustände daher auf den
Charakter des deutschen Bevölkerungsrechts zurückweisen, wollen wir
versuchen, die neue, seit der Revolution in Frankreich geltende Ord-
nung in ihren Grundzügen darzulegen.

Auch hier müssen wir, wie bei England, das Wesen in dem In-
halt der amtlichen und Selbstverwaltung, wie es sich in Frankreich
organisirt hat, aus unserer Lehre von der vollziehenden Gewalt hin-
übernehmen, denn nur durch diese sind die französischen Zustände klar
zu machen, während andererseits die Anwendung der Begriffe von Zu-
ständigkeit, Gemeindebürgerrecht und Heimathswesen wieder viel dazu
beitragen, uns über das organische Wesen der französischen Begriffe
aufzuklären.

Wir haben gezeigt, wie das große Princip der staatsbürgerlichen

einfach auf dem Heimathsrecht zur Union ſtatt zum Kirchſpiel, was
nicht bloß durch die Verhältniſſe Irlands an und für ſich motivirt war,
ſondern ſich auch als praktiſch richtig erwieſen hat. (Kries, §. 55 ff.)

Faßt man nun dieſe Sätze zuſammen, ſo ergibt ſich für die ad-
miniſtrative Ordnung der Bevölkerung in Großbritannien folgendes
Reſultat.

Die Competenzen und Zuſtändigkeiten beruhen für die Aufgaben
der Verwaltung der Finanzen und des Innern weſentlich auf der Ver-
waltungsgemeinde, für die Gerichte und ihre juriſtiſche ſowie ihre ver-
faſſungsmäßige Funktion auf den Grundſätzen der gerichtlichen Com-
petenz. Das Gemeindebürgerrecht iſt bedingt durch Theilnahme an den
Verwaltungsſteuern und erſcheint als Verwaltungsbürgerrecht, das durch
die bloße Theilnahme an den Steuern gegeben iſt. Das Heimathsrecht
dagegen iſt wie gezeigt ein anderes in England, in Schottland, und in
Irland.

Frankreich.

(Das allgemeine Staatsbürger- und Wahlrecht nimmt das Verwaltungs-
und Gemeindebürgerrecht, die amtliche Competenz und Zuſtändigkeit das
Heimathsrecht in ſich auf, ſo daß mit ſehr unbedeutenden Ausnahmen die ganze
Angehörigkeit an die Selbſtverwaltung im Wahlrecht und Domicile untergeht.

Wir glauben für unſern Gegenſtand das frühere Recht der fran-
zöſiſchen adminiſtrativen Bevölkerungsordnung um ſo mehr weglaſſen
zu können, als gerade auf dieſem Punkt der Bruch, den die Revolution
hervorgerufen hat, am durchgreifendſten geweſen iſt. Während auf den
meiſten andern Gebieten das ancien régime denn doch vieles erklärt
und vieles aus ihm ſich erhalten hat, wird in dem Bevölkerungsrecht
geradezu alles durch das ſtaatsrechtliche Princip der neuen Staatsord-
nung bedingt, und indem wir für die früheren Zuſtände daher auf den
Charakter des deutſchen Bevölkerungsrechts zurückweiſen, wollen wir
verſuchen, die neue, ſeit der Revolution in Frankreich geltende Ord-
nung in ihren Grundzügen darzulegen.

Auch hier müſſen wir, wie bei England, das Weſen in dem In-
halt der amtlichen und Selbſtverwaltung, wie es ſich in Frankreich
organiſirt hat, aus unſerer Lehre von der vollziehenden Gewalt hin-
übernehmen, denn nur durch dieſe ſind die franzöſiſchen Zuſtände klar
zu machen, während andererſeits die Anwendung der Begriffe von Zu-
ſtändigkeit, Gemeindebürgerrecht und Heimathsweſen wieder viel dazu
beitragen, uns über das organiſche Weſen der franzöſiſchen Begriffe
aufzuklären.

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[299/0321] einfach auf dem Heimathsrecht zur Union ſtatt zum Kirchſpiel, was nicht bloß durch die Verhältniſſe Irlands an und für ſich motivirt war, ſondern ſich auch als praktiſch richtig erwieſen hat. (Kries, §. 55 ff.) Faßt man nun dieſe Sätze zuſammen, ſo ergibt ſich für die ad- miniſtrative Ordnung der Bevölkerung in Großbritannien folgendes Reſultat. Die Competenzen und Zuſtändigkeiten beruhen für die Aufgaben der Verwaltung der Finanzen und des Innern weſentlich auf der Ver- waltungsgemeinde, für die Gerichte und ihre juriſtiſche ſowie ihre ver- faſſungsmäßige Funktion auf den Grundſätzen der gerichtlichen Com- petenz. Das Gemeindebürgerrecht iſt bedingt durch Theilnahme an den Verwaltungsſteuern und erſcheint als Verwaltungsbürgerrecht, das durch die bloße Theilnahme an den Steuern gegeben iſt. Das Heimathsrecht dagegen iſt wie gezeigt ein anderes in England, in Schottland, und in Irland. Frankreich. (Das allgemeine Staatsbürger- und Wahlrecht nimmt das Verwaltungs- und Gemeindebürgerrecht, die amtliche Competenz und Zuſtändigkeit das Heimathsrecht in ſich auf, ſo daß mit ſehr unbedeutenden Ausnahmen die ganze Angehörigkeit an die Selbſtverwaltung im Wahlrecht und Domicile untergeht. Wir glauben für unſern Gegenſtand das frühere Recht der fran- zöſiſchen adminiſtrativen Bevölkerungsordnung um ſo mehr weglaſſen zu können, als gerade auf dieſem Punkt der Bruch, den die Revolution hervorgerufen hat, am durchgreifendſten geweſen iſt. Während auf den meiſten andern Gebieten das ancien régime denn doch vieles erklärt und vieles aus ihm ſich erhalten hat, wird in dem Bevölkerungsrecht geradezu alles durch das ſtaatsrechtliche Princip der neuen Staatsord- nung bedingt, und indem wir für die früheren Zuſtände daher auf den Charakter des deutſchen Bevölkerungsrechts zurückweiſen, wollen wir verſuchen, die neue, ſeit der Revolution in Frankreich geltende Ord- nung in ihren Grundzügen darzulegen. Auch hier müſſen wir, wie bei England, das Weſen in dem In- halt der amtlichen und Selbſtverwaltung, wie es ſich in Frankreich organiſirt hat, aus unſerer Lehre von der vollziehenden Gewalt hin- übernehmen, denn nur durch dieſe ſind die franzöſiſchen Zuſtände klar zu machen, während andererſeits die Anwendung der Begriffe von Zu- ſtändigkeit, Gemeindebürgerrecht und Heimathsweſen wieder viel dazu beitragen, uns über das organiſche Weſen der franzöſiſchen Begriffe aufzuklären. Wir haben gezeigt, wie das große Princip der ſtaatsbürgerlichen

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866, S. 299. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre02_1866/321>, abgerufen am 19.03.2024.