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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866.

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Steuer, und in den innern Fragen wie Wegewesen, Schulwesen, Be-
sitzvertheilung, Grundbuchswesen und anderes. Dazu kommt, daß jeder
kleine deutsche Staat wieder seine eigene administrative Bevölkerungs-
ordnung hat, oft sogar eine verschiedene in den verschiedenen Theilen.
Es ist daher weder möglich noch auch von dauerndem historischem Werthe,
ein vollständiges Bild dieser Zustände in Competenz, Angehörigkeiten
an Korporationen und Gemeinden, Polizei und Heimathswesen festzu-
stellen. Den besten Versuch, dieß Bild wenigstens für einen Staat so
vollständig als möglich auszumalen, hat für Oesterreich Kopetz in
seiner Politischen Gesetzkunde, für Preußen Fischer in seinem Polizei-
recht gemacht. Es sind dieß unschätzbare Quellen für die specielle Ge-
schichte des innern Lebens Deutschlands, welche die deutsche Geschicht-
schreibung nur noch wenig benutzt hat. Es ist kein so ganz leichter
Vorwurf für sie, daß nur Freitag, offenbar von Macaulay's Be-
handlung angeregt, in seinen "Neuen Bildern" uns dieselben halb in
novellistischer Form verarbeitet vorführt. Ohne das Studium von
Männern wie Berg, Fischer, Kopetz, Justi, Sonnenfels, sollte es keine
Geschichtschreibung des vorigen Jahrhunderts geben.

4) Das neunzehnte Jahrhundert und die Verwaltungs-
ordnung der Bevölkerung in Deutschland, namentlich das
Gemeindebürgerrecht und das Heimathsrecht
.
Allgemeiner Charakter.

Will man nun auf Grundlage der bisherigen Darstellung sich über
den gegenwärtigen Zustand jener Rechtsverhältnisse in Deutschland klar
werden, so muß man gewisse Gesichtspunkte unbedingt festhalten.

Zuerst hat die Bundesakte jeden Staat souverän gemacht, ohne
Rücksicht darauf, ob seine Größe ihn fähig macht, die großen organischen
Kategorien des Staatslebens bei sich zu entwickeln. Es gibt daher
rechtlich so viele Bevölkerungsordnungen, als es Staaten gibt, und
das was man Vergleichung nennt, ist zum Theil noch geradezu un-
möglich.

Zweitens ist in der Bildung der Bevölkerungsordnung noch kein
allgemein gültiges und anerkanntes Princip zum Durchbruch gekom-
men, sondern auch jetzt noch die Grundlage des vorigen Jahrhunderts
gültig. Noch immer erhalten sich die Grundzüge der ständischen Ord-
nung, zum Theil sogar gegenüber den rein amtlichen Competenzen, fast
allenthalben aber im Gebiete der Angehörigkeiten an die Selbstverwal-
tungskörper aller Art, und mit ihnen auch die aus der früheren Ent-
wicklung stammenden großen Verschiedenheiten derselben. Namentlich

Steuer, und in den innern Fragen wie Wegeweſen, Schulweſen, Be-
ſitzvertheilung, Grundbuchsweſen und anderes. Dazu kommt, daß jeder
kleine deutſche Staat wieder ſeine eigene adminiſtrative Bevölkerungs-
ordnung hat, oft ſogar eine verſchiedene in den verſchiedenen Theilen.
Es iſt daher weder möglich noch auch von dauerndem hiſtoriſchem Werthe,
ein vollſtändiges Bild dieſer Zuſtände in Competenz, Angehörigkeiten
an Korporationen und Gemeinden, Polizei und Heimathsweſen feſtzu-
ſtellen. Den beſten Verſuch, dieß Bild wenigſtens für einen Staat ſo
vollſtändig als möglich auszumalen, hat für Oeſterreich Kopetz in
ſeiner Politiſchen Geſetzkunde, für Preußen Fiſcher in ſeinem Polizei-
recht gemacht. Es ſind dieß unſchätzbare Quellen für die ſpecielle Ge-
ſchichte des innern Lebens Deutſchlands, welche die deutſche Geſchicht-
ſchreibung nur noch wenig benutzt hat. Es iſt kein ſo ganz leichter
Vorwurf für ſie, daß nur Freitag, offenbar von Macaulay’s Be-
handlung angeregt, in ſeinen „Neuen Bildern“ uns dieſelben halb in
novelliſtiſcher Form verarbeitet vorführt. Ohne das Studium von
Männern wie Berg, Fiſcher, Kopetz, Juſti, Sonnenfels, ſollte es keine
Geſchichtſchreibung des vorigen Jahrhunderts geben.

4) Das neunzehnte Jahrhundert und die Verwaltungs-
ordnung der Bevölkerung in Deutſchland, namentlich das
Gemeindebürgerrecht und das Heimathsrecht
.
Allgemeiner Charakter.

Will man nun auf Grundlage der bisherigen Darſtellung ſich über
den gegenwärtigen Zuſtand jener Rechtsverhältniſſe in Deutſchland klar
werden, ſo muß man gewiſſe Geſichtspunkte unbedingt feſthalten.

Zuerſt hat die Bundesakte jeden Staat ſouverän gemacht, ohne
Rückſicht darauf, ob ſeine Größe ihn fähig macht, die großen organiſchen
Kategorien des Staatslebens bei ſich zu entwickeln. Es gibt daher
rechtlich ſo viele Bevölkerungsordnungen, als es Staaten gibt, und
das was man Vergleichung nennt, iſt zum Theil noch geradezu un-
möglich.

Zweitens iſt in der Bildung der Bevölkerungsordnung noch kein
allgemein gültiges und anerkanntes Princip zum Durchbruch gekom-
men, ſondern auch jetzt noch die Grundlage des vorigen Jahrhunderts
gültig. Noch immer erhalten ſich die Grundzüge der ſtändiſchen Ord-
nung, zum Theil ſogar gegenüber den rein amtlichen Competenzen, faſt
allenthalben aber im Gebiete der Angehörigkeiten an die Selbſtverwal-
tungskörper aller Art, und mit ihnen auch die aus der früheren Ent-
wicklung ſtammenden großen Verſchiedenheiten derſelben. Namentlich

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[327/0349] Steuer, und in den innern Fragen wie Wegeweſen, Schulweſen, Be- ſitzvertheilung, Grundbuchsweſen und anderes. Dazu kommt, daß jeder kleine deutſche Staat wieder ſeine eigene adminiſtrative Bevölkerungs- ordnung hat, oft ſogar eine verſchiedene in den verſchiedenen Theilen. Es iſt daher weder möglich noch auch von dauerndem hiſtoriſchem Werthe, ein vollſtändiges Bild dieſer Zuſtände in Competenz, Angehörigkeiten an Korporationen und Gemeinden, Polizei und Heimathsweſen feſtzu- ſtellen. Den beſten Verſuch, dieß Bild wenigſtens für einen Staat ſo vollſtändig als möglich auszumalen, hat für Oeſterreich Kopetz in ſeiner Politiſchen Geſetzkunde, für Preußen Fiſcher in ſeinem Polizei- recht gemacht. Es ſind dieß unſchätzbare Quellen für die ſpecielle Ge- ſchichte des innern Lebens Deutſchlands, welche die deutſche Geſchicht- ſchreibung nur noch wenig benutzt hat. Es iſt kein ſo ganz leichter Vorwurf für ſie, daß nur Freitag, offenbar von Macaulay’s Be- handlung angeregt, in ſeinen „Neuen Bildern“ uns dieſelben halb in novelliſtiſcher Form verarbeitet vorführt. Ohne das Studium von Männern wie Berg, Fiſcher, Kopetz, Juſti, Sonnenfels, ſollte es keine Geſchichtſchreibung des vorigen Jahrhunderts geben. 4) Das neunzehnte Jahrhundert und die Verwaltungs- ordnung der Bevölkerung in Deutſchland, namentlich das Gemeindebürgerrecht und das Heimathsrecht. Allgemeiner Charakter. Will man nun auf Grundlage der bisherigen Darſtellung ſich über den gegenwärtigen Zuſtand jener Rechtsverhältniſſe in Deutſchland klar werden, ſo muß man gewiſſe Geſichtspunkte unbedingt feſthalten. Zuerſt hat die Bundesakte jeden Staat ſouverän gemacht, ohne Rückſicht darauf, ob ſeine Größe ihn fähig macht, die großen organiſchen Kategorien des Staatslebens bei ſich zu entwickeln. Es gibt daher rechtlich ſo viele Bevölkerungsordnungen, als es Staaten gibt, und das was man Vergleichung nennt, iſt zum Theil noch geradezu un- möglich. Zweitens iſt in der Bildung der Bevölkerungsordnung noch kein allgemein gültiges und anerkanntes Princip zum Durchbruch gekom- men, ſondern auch jetzt noch die Grundlage des vorigen Jahrhunderts gültig. Noch immer erhalten ſich die Grundzüge der ſtändiſchen Ord- nung, zum Theil ſogar gegenüber den rein amtlichen Competenzen, faſt allenthalben aber im Gebiete der Angehörigkeiten an die Selbſtverwal- tungskörper aller Art, und mit ihnen auch die aus der früheren Ent- wicklung ſtammenden großen Verſchiedenheiten derſelben. Namentlich

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866, S. 327. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre02_1866/349>, abgerufen am 19.03.2024.