Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866.

Bild:
<< vorherige Seite

der gesellschaftlichen Unterschiede an; und so entstehen die natur-
gemäßen Unterschiede der gesellschaftlichen Verwaltung -- die Ordnung
des Familienwesens -- die Sorge und Ordnung des Classenwesens
theils in dem gesammten Hülfswesen, in welchem die Entwicklung
des individuellen Vermögens als Grundlage für die Erhebung aus der
niederen Classe in die höhere die Aufgabe der Verwaltung ist; theils
in der Agrarverfassung, welche den Schutz der bäuerlichen Mittel-
classe enthält; und endlich als dritter Theil das Ständewesen
mit dem Rechte des Adels, der ständischen Besitzrechte und der Orden.

Dieß sind die allgemeinsten Grundlagen des Systems der innern
Verwaltung, so weit es hier thunlich war, sie ohne tiefer eingehende
Begründung kurz darzulegen.

Es möge uns nun gestattet sein, da es zur Orientirung wesentlich
dient, diese ganze Auffassung auch schematisch darzustellen (s. folgende
Seite). Denn am Ende macht sie den Anspruch darauf, die Grundzüge
der festen Anatomie des persönlichen Lebens überhaupt, speciell aber des
Systems der Verwaltungslehre zu sein, in die jede einzelne Bewegung
der Verwaltung und jede einzelne Untersuchung über dieselbe sich ohne
Mühe systematisch und organisch hineinfindet.

3) Das Princip der Verwaltung und die Verwaltungs-
politik
.

Während sich nun auf diese Weise die Verwaltung durch das
System mit dem wirklichen Leben der persönlichen Welt erfüllt, enthält
die letztere ein Moment, welches nicht in jenes System aufgeht und
dennoch in demselben lebendig und mächtig ist. An diesem Moment
entsteht ein neuer und nicht weniger bedeutsamer Begriff der allgemeinen
Verwaltungslehre.

In jedem individuellen Dasein lebt nämlich als höchster, wenn
auch inhaltslosester und abstraktester Inhalt das, was eigentlich erst
die Persönlichkeit bildet, das sich selbst bestimmende, freie Wesen des
Menschen, für das wir keinen andern wissenschaftlichen Ausdruck haben,
als den des Ich. Das höchste Wesen der Persönlichkeit, die wahre
Grundlage seiner Entwicklung besteht vermöge der absoluten Natur des
Ich darin, daß nur dasjenige wahrhafte Entwicklung und Erhebung
des Menschen ist, was er sich durch sich selber gewonnen hat. Alles
was ihm somit ohne seine eigene That wird und kommt, bleibt ihm
äußerlich und zufällig; was er nicht durch sich selbst hat und ist, ist
im Grunde niemals er selber; das höchste Gesetz des Lebens, das Ge-
setz der innern und äußern Arbeit, ist seinerseits nur der Ausdruck

der geſellſchaftlichen Unterſchiede an; und ſo entſtehen die natur-
gemäßen Unterſchiede der geſellſchaftlichen Verwaltung — die Ordnung
des Familienweſens — die Sorge und Ordnung des Claſſenweſens
theils in dem geſammten Hülfsweſen, in welchem die Entwicklung
des individuellen Vermögens als Grundlage für die Erhebung aus der
niederen Claſſe in die höhere die Aufgabe der Verwaltung iſt; theils
in der Agrarverfaſſung, welche den Schutz der bäuerlichen Mittel-
claſſe enthält; und endlich als dritter Theil das Ständeweſen
mit dem Rechte des Adels, der ſtändiſchen Beſitzrechte und der Orden.

Dieß ſind die allgemeinſten Grundlagen des Syſtems der innern
Verwaltung, ſo weit es hier thunlich war, ſie ohne tiefer eingehende
Begründung kurz darzulegen.

Es möge uns nun geſtattet ſein, da es zur Orientirung weſentlich
dient, dieſe ganze Auffaſſung auch ſchematiſch darzuſtellen (ſ. folgende
Seite). Denn am Ende macht ſie den Anſpruch darauf, die Grundzüge
der feſten Anatomie des perſönlichen Lebens überhaupt, ſpeciell aber des
Syſtems der Verwaltungslehre zu ſein, in die jede einzelne Bewegung
der Verwaltung und jede einzelne Unterſuchung über dieſelbe ſich ohne
Mühe ſyſtematiſch und organiſch hineinfindet.

3) Das Princip der Verwaltung und die Verwaltungs-
politik
.

Während ſich nun auf dieſe Weiſe die Verwaltung durch das
Syſtem mit dem wirklichen Leben der perſönlichen Welt erfüllt, enthält
die letztere ein Moment, welches nicht in jenes Syſtem aufgeht und
dennoch in demſelben lebendig und mächtig iſt. An dieſem Moment
entſteht ein neuer und nicht weniger bedeutſamer Begriff der allgemeinen
Verwaltungslehre.

In jedem individuellen Daſein lebt nämlich als höchſter, wenn
auch inhaltsloſeſter und abſtrakteſter Inhalt das, was eigentlich erſt
die Perſönlichkeit bildet, das ſich ſelbſt beſtimmende, freie Weſen des
Menſchen, für das wir keinen andern wiſſenſchaftlichen Ausdruck haben,
als den des Ich. Das höchſte Weſen der Perſönlichkeit, die wahre
Grundlage ſeiner Entwicklung beſteht vermöge der abſoluten Natur des
Ich darin, daß nur dasjenige wahrhafte Entwicklung und Erhebung
des Menſchen iſt, was er ſich durch ſich ſelber gewonnen hat. Alles
was ihm ſomit ohne ſeine eigene That wird und kommt, bleibt ihm
äußerlich und zufällig; was er nicht durch ſich ſelbſt hat und iſt, iſt
im Grunde niemals er ſelber; das höchſte Geſetz des Lebens, das Ge-
ſetz der innern und äußern Arbeit, iſt ſeinerſeits nur der Ausdruck

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <p><pb facs="#f0077" n="55"/>
der ge&#x017F;ell&#x017F;chaftlichen Unter&#x017F;chiede an; und &#x017F;o ent&#x017F;tehen die natur-<lb/>
gemäßen Unter&#x017F;chiede der ge&#x017F;ell&#x017F;chaftlichen Verwaltung &#x2014; die Ordnung<lb/>
des <hi rendition="#g">Familienwe&#x017F;ens</hi> &#x2014; die Sorge und Ordnung des Cla&#x017F;&#x017F;enwe&#x017F;ens<lb/>
theils in dem ge&#x017F;ammten <hi rendition="#g">Hülfswe&#x017F;en</hi>, in welchem die Entwicklung<lb/>
des individuellen Vermögens als Grundlage für die Erhebung aus der<lb/>
niederen Cla&#x017F;&#x017F;e in die höhere die Aufgabe der Verwaltung i&#x017F;t; theils<lb/>
in der <hi rendition="#g">Agrarverfa&#x017F;&#x017F;ung</hi>, welche den Schutz der bäuerlichen Mittel-<lb/>
cla&#x017F;&#x017F;e enthält; und endlich als dritter Theil das <hi rendition="#g">Ständewe&#x017F;en</hi><lb/>
mit dem Rechte des Adels, der &#x017F;tändi&#x017F;chen Be&#x017F;itzrechte und der Orden.</p><lb/>
                <p>Dieß &#x017F;ind die allgemein&#x017F;ten Grundlagen des Sy&#x017F;tems der innern<lb/>
Verwaltung, &#x017F;o weit es hier thunlich war, &#x017F;ie ohne tiefer eingehende<lb/>
Begründung kurz darzulegen.</p><lb/>
                <p>Es möge uns nun ge&#x017F;tattet &#x017F;ein, da es zur Orientirung we&#x017F;entlich<lb/>
dient, die&#x017F;e ganze Auffa&#x017F;&#x017F;ung auch &#x017F;chemati&#x017F;ch darzu&#x017F;tellen (&#x017F;. folgende<lb/>
Seite). Denn am Ende macht &#x017F;ie den An&#x017F;pruch darauf, die Grundzüge<lb/>
der fe&#x017F;ten Anatomie des per&#x017F;önlichen Lebens überhaupt, &#x017F;peciell aber des<lb/>
Sy&#x017F;tems der Verwaltungslehre zu &#x017F;ein, in die jede einzelne Bewegung<lb/>
der Verwaltung und jede einzelne Unter&#x017F;uchung über die&#x017F;elbe &#x017F;ich ohne<lb/>
Mühe &#x017F;y&#x017F;temati&#x017F;ch und organi&#x017F;ch hineinfindet.</p>
              </div><lb/>
              <div n="5">
                <head>3) <hi rendition="#g">Das Princip der Verwaltung und die Verwaltungs-<lb/>
politik</hi>.</head><lb/>
                <p>Während &#x017F;ich nun auf die&#x017F;e Wei&#x017F;e die Verwaltung durch das<lb/>
Sy&#x017F;tem mit dem wirklichen Leben der per&#x017F;önlichen Welt erfüllt, enthält<lb/>
die letztere ein Moment, welches nicht in jenes Sy&#x017F;tem aufgeht und<lb/>
dennoch in dem&#x017F;elben lebendig und mächtig i&#x017F;t. An die&#x017F;em Moment<lb/>
ent&#x017F;teht ein neuer und nicht weniger bedeut&#x017F;amer Begriff der allgemeinen<lb/>
Verwaltungslehre.</p><lb/>
                <p>In jedem individuellen Da&#x017F;ein lebt nämlich als höch&#x017F;ter, wenn<lb/>
auch inhaltslo&#x017F;e&#x017F;ter und ab&#x017F;trakte&#x017F;ter Inhalt das, was eigentlich er&#x017F;t<lb/>
die Per&#x017F;önlichkeit bildet, das &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t be&#x017F;timmende, freie We&#x017F;en des<lb/>
Men&#x017F;chen, für das wir keinen andern wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaftlichen Ausdruck haben,<lb/>
als den des Ich. Das höch&#x017F;te We&#x017F;en der Per&#x017F;önlichkeit, die wahre<lb/>
Grundlage &#x017F;einer Entwicklung be&#x017F;teht vermöge der ab&#x017F;oluten Natur des<lb/>
Ich darin, daß nur dasjenige wahrhafte Entwicklung und Erhebung<lb/>
des Men&#x017F;chen i&#x017F;t, was er &#x017F;ich durch &#x017F;ich &#x017F;elber gewonnen hat. Alles<lb/>
was ihm &#x017F;omit ohne &#x017F;eine eigene That wird und kommt, bleibt ihm<lb/>
äußerlich und zufällig; was er nicht durch &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t hat und i&#x017F;t, i&#x017F;t<lb/>
im Grunde niemals er &#x017F;elber; das höch&#x017F;te Ge&#x017F;etz des Lebens, das Ge-<lb/>
&#x017F;etz der innern und äußern Arbeit, i&#x017F;t &#x017F;einer&#x017F;eits nur der Ausdruck<lb/></p>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[55/0077] der geſellſchaftlichen Unterſchiede an; und ſo entſtehen die natur- gemäßen Unterſchiede der geſellſchaftlichen Verwaltung — die Ordnung des Familienweſens — die Sorge und Ordnung des Claſſenweſens theils in dem geſammten Hülfsweſen, in welchem die Entwicklung des individuellen Vermögens als Grundlage für die Erhebung aus der niederen Claſſe in die höhere die Aufgabe der Verwaltung iſt; theils in der Agrarverfaſſung, welche den Schutz der bäuerlichen Mittel- claſſe enthält; und endlich als dritter Theil das Ständeweſen mit dem Rechte des Adels, der ſtändiſchen Beſitzrechte und der Orden. Dieß ſind die allgemeinſten Grundlagen des Syſtems der innern Verwaltung, ſo weit es hier thunlich war, ſie ohne tiefer eingehende Begründung kurz darzulegen. Es möge uns nun geſtattet ſein, da es zur Orientirung weſentlich dient, dieſe ganze Auffaſſung auch ſchematiſch darzuſtellen (ſ. folgende Seite). Denn am Ende macht ſie den Anſpruch darauf, die Grundzüge der feſten Anatomie des perſönlichen Lebens überhaupt, ſpeciell aber des Syſtems der Verwaltungslehre zu ſein, in die jede einzelne Bewegung der Verwaltung und jede einzelne Unterſuchung über dieſelbe ſich ohne Mühe ſyſtematiſch und organiſch hineinfindet. 3) Das Princip der Verwaltung und die Verwaltungs- politik. Während ſich nun auf dieſe Weiſe die Verwaltung durch das Syſtem mit dem wirklichen Leben der perſönlichen Welt erfüllt, enthält die letztere ein Moment, welches nicht in jenes Syſtem aufgeht und dennoch in demſelben lebendig und mächtig iſt. An dieſem Moment entſteht ein neuer und nicht weniger bedeutſamer Begriff der allgemeinen Verwaltungslehre. In jedem individuellen Daſein lebt nämlich als höchſter, wenn auch inhaltsloſeſter und abſtrakteſter Inhalt das, was eigentlich erſt die Perſönlichkeit bildet, das ſich ſelbſt beſtimmende, freie Weſen des Menſchen, für das wir keinen andern wiſſenſchaftlichen Ausdruck haben, als den des Ich. Das höchſte Weſen der Perſönlichkeit, die wahre Grundlage ſeiner Entwicklung beſteht vermöge der abſoluten Natur des Ich darin, daß nur dasjenige wahrhafte Entwicklung und Erhebung des Menſchen iſt, was er ſich durch ſich ſelber gewonnen hat. Alles was ihm ſomit ohne ſeine eigene That wird und kommt, bleibt ihm äußerlich und zufällig; was er nicht durch ſich ſelbſt hat und iſt, iſt im Grunde niemals er ſelber; das höchſte Geſetz des Lebens, das Ge- ſetz der innern und äußern Arbeit, iſt ſeinerſeits nur der Ausdruck

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre02_1866
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre02_1866/77
Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866, S. 55. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre02_1866/77>, abgerufen am 19.03.2024.