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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866.

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4) Der Begriff der Polizei und das Verhältniß der Polizei-
wissenschaft zur Verwaltungslehre
.

Wir würden jetzt glauben, den Begriff und die systematische Dar-
stellung der innern Verwaltung hinreichend festgestellt und vor jeder
Verwechslung bewahrt zu haben, wenn nicht durch den eigenthümlichen
Entwicklungsgang einerseits des wirklichen Lebens und andererseits der
Theorie eine so große Verwirrung der Begriffe und, wie es immer da-
bei geschieht, eine so große Unbestimmtheit und Willkür in die Bezeich-
nungen der Verhältnisse und die Wahl der Ausdrücke hineingekommen
wäre, daß wir, wollen wir endlich ein definitives Resultat gewinnen
und damit erst eine selbständige Wissenschaft der Verwaltung möglich
machen, eben diese bisherigen Vorstellungen, Bezeichnungen und Worte
noch einmal ins Auge fassen und auf ihre eigentliche Bedeutung zurück-
führen müssen.

Der Ausdruck, der hier die eigentliche Schwierigkeit bildet, und
der jede wahre Wissenschaft der Verwaltung so lange unmöglich macht,
als man sich über seinen festen Sinn nicht geeinigt hat, ist der der
Polizei und sein Correlat die Polizeiwissenschaft.

Wenn ein solches Wort seit Jahrhunderten gebraucht worden ist,
wenn seit Jahrhunderten über seine wahre Bedeutung hin und her ge-
stritten ist bis zur Erschöpfung aller Betrachtungen und selbst des Inter-
esses an denselben, wenn es ohne einen gemeinsam anerkannten, be-
stimmten Sinn von jedem in seiner Weise gebraucht worden ist, und
wenn es nun gar endlich, wie wir sehen werden, mit dem, was es
wirklich bedeutet, ein immanentes, die ganze Verwaltung durchdringen-
des Moment bezeichnet, so wird es wohl leicht begreiflich seyn, daß wir
es nicht mit ein paar Sätzen ganz erklären und auf sein richtiges Maß
zurückführen können. Es ist, wie die Sachen liegen, ganz unmöglich,
an die Stelle der bisherigen Verwirrung Klarheit zu bringen, wenn es
uns nicht gestattet ist, etwas tiefer auf die Sache einzugehen. Allein
jeder, der mit der Verwaltung und ihrer Wissenschaft jemals zu thun
gehabt, wird uns zugestehen, daß ohne eine durchgreifende Bestimmung
der wahren Definition und des Wesens der Polizei und damit ihres
organischen Verhältnisses zur Verwaltung eine Verwaltungslehre gar
nicht möglich ist.

Gewiß nun wird das Eingehen auf die richtige Auffassung viel
leichter sein, wenn wir das Resultat dieses Theiles unserer Untersuchung
gleich an die Spitze stellen.

Die Thatsache, von der wir ausgehen, ist die völlige Verschmelzung
des Begriffes von Polizei und Verwaltung bei einigen, das Gefühl,

4) Der Begriff der Polizei und das Verhältniß der Polizei-
wiſſenſchaft zur Verwaltungslehre
.

Wir würden jetzt glauben, den Begriff und die ſyſtematiſche Dar-
ſtellung der innern Verwaltung hinreichend feſtgeſtellt und vor jeder
Verwechslung bewahrt zu haben, wenn nicht durch den eigenthümlichen
Entwicklungsgang einerſeits des wirklichen Lebens und andererſeits der
Theorie eine ſo große Verwirrung der Begriffe und, wie es immer da-
bei geſchieht, eine ſo große Unbeſtimmtheit und Willkür in die Bezeich-
nungen der Verhältniſſe und die Wahl der Ausdrücke hineingekommen
wäre, daß wir, wollen wir endlich ein definitives Reſultat gewinnen
und damit erſt eine ſelbſtändige Wiſſenſchaft der Verwaltung möglich
machen, eben dieſe bisherigen Vorſtellungen, Bezeichnungen und Worte
noch einmal ins Auge faſſen und auf ihre eigentliche Bedeutung zurück-
führen müſſen.

Der Ausdruck, der hier die eigentliche Schwierigkeit bildet, und
der jede wahre Wiſſenſchaft der Verwaltung ſo lange unmöglich macht,
als man ſich über ſeinen feſten Sinn nicht geeinigt hat, iſt der der
Polizei und ſein Correlat die Polizeiwiſſenſchaft.

Wenn ein ſolches Wort ſeit Jahrhunderten gebraucht worden iſt,
wenn ſeit Jahrhunderten über ſeine wahre Bedeutung hin und her ge-
ſtritten iſt bis zur Erſchöpfung aller Betrachtungen und ſelbſt des Inter-
eſſes an denſelben, wenn es ohne einen gemeinſam anerkannten, be-
ſtimmten Sinn von jedem in ſeiner Weiſe gebraucht worden iſt, und
wenn es nun gar endlich, wie wir ſehen werden, mit dem, was es
wirklich bedeutet, ein immanentes, die ganze Verwaltung durchdringen-
des Moment bezeichnet, ſo wird es wohl leicht begreiflich ſeyn, daß wir
es nicht mit ein paar Sätzen ganz erklären und auf ſein richtiges Maß
zurückführen können. Es iſt, wie die Sachen liegen, ganz unmöglich,
an die Stelle der bisherigen Verwirrung Klarheit zu bringen, wenn es
uns nicht geſtattet iſt, etwas tiefer auf die Sache einzugehen. Allein
jeder, der mit der Verwaltung und ihrer Wiſſenſchaft jemals zu thun
gehabt, wird uns zugeſtehen, daß ohne eine durchgreifende Beſtimmung
der wahren Definition und des Weſens der Polizei und damit ihres
organiſchen Verhältniſſes zur Verwaltung eine Verwaltungslehre gar
nicht möglich iſt.

Gewiß nun wird das Eingehen auf die richtige Auffaſſung viel
leichter ſein, wenn wir das Reſultat dieſes Theiles unſerer Unterſuchung
gleich an die Spitze ſtellen.

Die Thatſache, von der wir ausgehen, iſt die völlige Verſchmelzung
des Begriffes von Polizei und Verwaltung bei einigen, das Gefühl,

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[62/0084] 4) Der Begriff der Polizei und das Verhältniß der Polizei- wiſſenſchaft zur Verwaltungslehre. Wir würden jetzt glauben, den Begriff und die ſyſtematiſche Dar- ſtellung der innern Verwaltung hinreichend feſtgeſtellt und vor jeder Verwechslung bewahrt zu haben, wenn nicht durch den eigenthümlichen Entwicklungsgang einerſeits des wirklichen Lebens und andererſeits der Theorie eine ſo große Verwirrung der Begriffe und, wie es immer da- bei geſchieht, eine ſo große Unbeſtimmtheit und Willkür in die Bezeich- nungen der Verhältniſſe und die Wahl der Ausdrücke hineingekommen wäre, daß wir, wollen wir endlich ein definitives Reſultat gewinnen und damit erſt eine ſelbſtändige Wiſſenſchaft der Verwaltung möglich machen, eben dieſe bisherigen Vorſtellungen, Bezeichnungen und Worte noch einmal ins Auge faſſen und auf ihre eigentliche Bedeutung zurück- führen müſſen. Der Ausdruck, der hier die eigentliche Schwierigkeit bildet, und der jede wahre Wiſſenſchaft der Verwaltung ſo lange unmöglich macht, als man ſich über ſeinen feſten Sinn nicht geeinigt hat, iſt der der Polizei und ſein Correlat die Polizeiwiſſenſchaft. Wenn ein ſolches Wort ſeit Jahrhunderten gebraucht worden iſt, wenn ſeit Jahrhunderten über ſeine wahre Bedeutung hin und her ge- ſtritten iſt bis zur Erſchöpfung aller Betrachtungen und ſelbſt des Inter- eſſes an denſelben, wenn es ohne einen gemeinſam anerkannten, be- ſtimmten Sinn von jedem in ſeiner Weiſe gebraucht worden iſt, und wenn es nun gar endlich, wie wir ſehen werden, mit dem, was es wirklich bedeutet, ein immanentes, die ganze Verwaltung durchdringen- des Moment bezeichnet, ſo wird es wohl leicht begreiflich ſeyn, daß wir es nicht mit ein paar Sätzen ganz erklären und auf ſein richtiges Maß zurückführen können. Es iſt, wie die Sachen liegen, ganz unmöglich, an die Stelle der bisherigen Verwirrung Klarheit zu bringen, wenn es uns nicht geſtattet iſt, etwas tiefer auf die Sache einzugehen. Allein jeder, der mit der Verwaltung und ihrer Wiſſenſchaft jemals zu thun gehabt, wird uns zugeſtehen, daß ohne eine durchgreifende Beſtimmung der wahren Definition und des Weſens der Polizei und damit ihres organiſchen Verhältniſſes zur Verwaltung eine Verwaltungslehre gar nicht möglich iſt. Gewiß nun wird das Eingehen auf die richtige Auffaſſung viel leichter ſein, wenn wir das Reſultat dieſes Theiles unſerer Unterſuchung gleich an die Spitze ſtellen. Die Thatſache, von der wir ausgehen, iſt die völlige Verſchmelzung des Begriffes von Polizei und Verwaltung bei einigen, das Gefühl,

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866, S. 62. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre02_1866/84>, abgerufen am 19.03.2024.