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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866.

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zu schützen; ein Bundesstaat will und muß durch sein Organ die
gemeinschaftlichen Angelegenheiten verwalten. Ein Staatenbund ist
ein Rechtskörper, ein Bundesstaat ist ein Verwaltungskörper.
Das Staatenbundsrecht ist daher wesentlich nur militärische Organisation
und die Ordnung des vertragsmäßigen Maßes der Leistungen der Ein-
zelnen für die Einheit der Kraft; das Bundesstaatsrecht dagegen, indem
es dieß Staatenbundsrecht allerdings als ein Moment in sich enthält,
erhebt sich zu einem objektiv gültigen gemeinsamen Verwaltungs-
recht
. Sein Inhalt ist Verwaltung, und sein Fortschritt und seine
Zukunft besteht darin, daß diese internationale Form der Verwaltung
sich immer weiter und höher ausbilde.

Wenn dereinst unsere Lehre vom Völkerrecht sich dahin ausbilden
wird, nicht bloß die rechtlichen Zustände der Staaten untereinander, in
dem harten Gegensatze ihrer Selbständigkeit zu begreifen und darzulegen,
sondern in den juristischen Formen des Gesammtlebens das Werden der
Einheit zu erkennen und zu fühlen, wenn sie namentlich die Geschichte
des internationalen Verwaltungsrechts und seiner organischen, zur Ein-
heit des Menschengeschlechts drängenden Gewalt in den Handelsverträgen
suchen und finden wird, wird sie das werden, was sie zu werden be-
stimmt ist, das höchste Gebiet der Staatswissenschaft.

An dieß staatliche Leben schließt sich nun in ganz unbestimmten,
aber viel versprechenden Anfängen ein, sich über die Völker ausbreiten-
des Vereinsleben. Wir verstehen es noch nicht ganz. Es will
eigends studirt sein, wie es sich theils an die Wissenschaft anschließt,
theils an praktische Aufgaben. Es ist noch ganz in dem Stadium, nur
noch gemeinsame Interessen zu erzeugen. Die Zeit wird kommen,
wo es sich zu einem selbständigen einheitlichen Faktor ausbildet, der in
gewaltiger Weise einzugreifen bestimmt ist. -- Unsere Nachkommen haben
noch viel zu lernen und zu arbeiten, um den Forderungen der höchsten
wissenschaftlichen Erkenntniß zu genügen.


zu ſchützen; ein Bundesſtaat will und muß durch ſein Organ die
gemeinſchaftlichen Angelegenheiten verwalten. Ein Staatenbund iſt
ein Rechtskörper, ein Bundesſtaat iſt ein Verwaltungskörper.
Das Staatenbundsrecht iſt daher weſentlich nur militäriſche Organiſation
und die Ordnung des vertragsmäßigen Maßes der Leiſtungen der Ein-
zelnen für die Einheit der Kraft; das Bundesſtaatsrecht dagegen, indem
es dieß Staatenbundsrecht allerdings als ein Moment in ſich enthält,
erhebt ſich zu einem objektiv gültigen gemeinſamen Verwaltungs-
recht
. Sein Inhalt iſt Verwaltung, und ſein Fortſchritt und ſeine
Zukunft beſteht darin, daß dieſe internationale Form der Verwaltung
ſich immer weiter und höher ausbilde.

Wenn dereinſt unſere Lehre vom Völkerrecht ſich dahin ausbilden
wird, nicht bloß die rechtlichen Zuſtände der Staaten untereinander, in
dem harten Gegenſatze ihrer Selbſtändigkeit zu begreifen und darzulegen,
ſondern in den juriſtiſchen Formen des Geſammtlebens das Werden der
Einheit zu erkennen und zu fühlen, wenn ſie namentlich die Geſchichte
des internationalen Verwaltungsrechts und ſeiner organiſchen, zur Ein-
heit des Menſchengeſchlechts drängenden Gewalt in den Handelsverträgen
ſuchen und finden wird, wird ſie das werden, was ſie zu werden be-
ſtimmt iſt, das höchſte Gebiet der Staatswiſſenſchaft.

An dieß ſtaatliche Leben ſchließt ſich nun in ganz unbeſtimmten,
aber viel verſprechenden Anfängen ein, ſich über die Völker ausbreiten-
des Vereinsleben. Wir verſtehen es noch nicht ganz. Es will
eigends ſtudirt ſein, wie es ſich theils an die Wiſſenſchaft anſchließt,
theils an praktiſche Aufgaben. Es iſt noch ganz in dem Stadium, nur
noch gemeinſame Intereſſen zu erzeugen. Die Zeit wird kommen,
wo es ſich zu einem ſelbſtändigen einheitlichen Faktor ausbildet, der in
gewaltiger Weiſe einzugreifen beſtimmt iſt. — Unſere Nachkommen haben
noch viel zu lernen und zu arbeiten, um den Forderungen der höchſten
wiſſenſchaftlichen Erkenntniß zu genügen.


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[98/0120] zu ſchützen; ein Bundesſtaat will und muß durch ſein Organ die gemeinſchaftlichen Angelegenheiten verwalten. Ein Staatenbund iſt ein Rechtskörper, ein Bundesſtaat iſt ein Verwaltungskörper. Das Staatenbundsrecht iſt daher weſentlich nur militäriſche Organiſation und die Ordnung des vertragsmäßigen Maßes der Leiſtungen der Ein- zelnen für die Einheit der Kraft; das Bundesſtaatsrecht dagegen, indem es dieß Staatenbundsrecht allerdings als ein Moment in ſich enthält, erhebt ſich zu einem objektiv gültigen gemeinſamen Verwaltungs- recht. Sein Inhalt iſt Verwaltung, und ſein Fortſchritt und ſeine Zukunft beſteht darin, daß dieſe internationale Form der Verwaltung ſich immer weiter und höher ausbilde. Wenn dereinſt unſere Lehre vom Völkerrecht ſich dahin ausbilden wird, nicht bloß die rechtlichen Zuſtände der Staaten untereinander, in dem harten Gegenſatze ihrer Selbſtändigkeit zu begreifen und darzulegen, ſondern in den juriſtiſchen Formen des Geſammtlebens das Werden der Einheit zu erkennen und zu fühlen, wenn ſie namentlich die Geſchichte des internationalen Verwaltungsrechts und ſeiner organiſchen, zur Ein- heit des Menſchengeſchlechts drängenden Gewalt in den Handelsverträgen ſuchen und finden wird, wird ſie das werden, was ſie zu werden be- ſtimmt iſt, das höchſte Gebiet der Staatswiſſenſchaft. An dieß ſtaatliche Leben ſchließt ſich nun in ganz unbeſtimmten, aber viel verſprechenden Anfängen ein, ſich über die Völker ausbreiten- des Vereinsleben. Wir verſtehen es noch nicht ganz. Es will eigends ſtudirt ſein, wie es ſich theils an die Wiſſenſchaft anſchließt, theils an praktiſche Aufgaben. Es iſt noch ganz in dem Stadium, nur noch gemeinſame Intereſſen zu erzeugen. Die Zeit wird kommen, wo es ſich zu einem ſelbſtändigen einheitlichen Faktor ausbildet, der in gewaltiger Weiſe einzugreifen beſtimmt iſt. — Unſere Nachkommen haben noch viel zu lernen und zu arbeiten, um den Forderungen der höchſten wiſſenſchaftlichen Erkenntniß zu genügen.

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866, S. 98. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre02_1866/120>, abgerufen am 25.04.2024.