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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866.

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künftig zu tragen, die man durch die Ehe fördern will. Daher stehen
Beförderung der Kindererzeugung und die der Ehe selbst stets mit einander
auf gleicher Linie und es ist historisch und systematisch falsch, sie zu
scheiden. Andererseits ist es aber auch klar, daß, so wie der Gedanke
einer Uebervölkerung am Horizonte der Staatswissenschaft erscheint, alle
diese Beförderungsmittel gleichsam von selbst verschwinden und nur noch,
wie es gegenwärtig der Fall ist, ein Scheinleben in der Theorie fort-
setzen. Auf diesen Grundlagen beruht der Gang der polizeilichen Ehe-
beförderung, und das Ganze, von dem wir hier reden, ist daher nur
noch als eine historische Erscheinung, ohne andere Bedeutung für die
Gegenwart, zu betrachten.

Durch die Kenntniß des römischen Rechts und der Classiker hatte
sich die Erinnerung an die römische Gesetzgebung zur Beförderung der
Ehen, die Juliae regationes, wie Plautus sie nennt, lebhaft erhalten.
Mit der Entstehung der großen Militärstaaten war es daher natürlich,
daß dieselben daran dachten, einen gleichen Zweck mit gleichen Mitteln
zu verfolgen. Hier wie auf allen andern entsprechenden Gebieten
machte Frankreich unter Ludwig XIV. den Anfang, und Colbert ver-
anlaßte das seiner Zeit so berühmte Edict sur les mariages von 1666,
worin zwar die Ehen nicht wie bei der Lex Julia et Papia Poppaea
geradezu befohlen wurden -- ein Befehl, der zu seiner Grundlage doch
immer nur dasselbe alte Princip der Geschlechterordnung haben konnte,
aus dem die Bestrafung der Hagestolzen hervorging (s. oben) -- sondern
das vielmehr die Ehe wesentlich als Kinderzeugungsanstalten betrachtete,
indem es theils für die frühe Ehe Steuerfreiheit, theils für die Zahl
von Kindern Pensionen aussetzte. Schon Montesquieu (L. XXIII. 27)
hatte nicht viel Vertrauen zu diesem Gesetz, indem er in seiner
geistreichen Weise fragt: was ein Gesetz helfen solle, das auf die Er-
wirkung von "prodiges" berechnet sei? obwohl Voltaire (Siecle de
Louis XIV. Ch.
29) sich von der Aufrechthaltung des Gesetzes viel
versprochen hatte. (Vergl. Roscher I. §. 225.) Wir haben bereits
früher bemerkt, daß schon Montesquieu die Entvölkerung mehr
durch vernünftige Vertheilung des Besitzes und gute Gesetze als durch
specielle Maßregeln bekämpfen wollte (L. XXII. Ch. 28. 30). Die Idee
und die Bedürfnisse der Zeit Ludwigs XIV. gingen indeß damals auf
das übrige Europa über und in einem großen Theile desselben ent-
standen Versuche, die Vermehrung der Ehen direkt und indirekt zu
befördern, und selbst Kinderprämien aufzustellen. Besonders bezeichnend
ist der Gang, den diese Bestrebungen in Oesterreich seit Maria Theresia
nahmen. Die Gesetzgebung dieser Zeit suchte namentlich die Ehe von
den Einflüssen der Grundherren frei zu machen, und sie dadurch zu

künftig zu tragen, die man durch die Ehe fördern will. Daher ſtehen
Beförderung der Kindererzeugung und die der Ehe ſelbſt ſtets mit einander
auf gleicher Linie und es iſt hiſtoriſch und ſyſtematiſch falſch, ſie zu
ſcheiden. Andererſeits iſt es aber auch klar, daß, ſo wie der Gedanke
einer Uebervölkerung am Horizonte der Staatswiſſenſchaft erſcheint, alle
dieſe Beförderungsmittel gleichſam von ſelbſt verſchwinden und nur noch,
wie es gegenwärtig der Fall iſt, ein Scheinleben in der Theorie fort-
ſetzen. Auf dieſen Grundlagen beruht der Gang der polizeilichen Ehe-
beförderung, und das Ganze, von dem wir hier reden, iſt daher nur
noch als eine hiſtoriſche Erſcheinung, ohne andere Bedeutung für die
Gegenwart, zu betrachten.

Durch die Kenntniß des römiſchen Rechts und der Claſſiker hatte
ſich die Erinnerung an die römiſche Geſetzgebung zur Beförderung der
Ehen, die Juliae regationes, wie Plautus ſie nennt, lebhaft erhalten.
Mit der Entſtehung der großen Militärſtaaten war es daher natürlich,
daß dieſelben daran dachten, einen gleichen Zweck mit gleichen Mitteln
zu verfolgen. Hier wie auf allen andern entſprechenden Gebieten
machte Frankreich unter Ludwig XIV. den Anfang, und Colbert ver-
anlaßte das ſeiner Zeit ſo berühmte Edict sur les mariages von 1666,
worin zwar die Ehen nicht wie bei der Lex Julia et Papia Poppaea
geradezu befohlen wurden — ein Befehl, der zu ſeiner Grundlage doch
immer nur daſſelbe alte Princip der Geſchlechterordnung haben konnte,
aus dem die Beſtrafung der Hageſtolzen hervorging (ſ. oben) — ſondern
das vielmehr die Ehe weſentlich als Kinderzeugungsanſtalten betrachtete,
indem es theils für die frühe Ehe Steuerfreiheit, theils für die Zahl
von Kindern Penſionen ausſetzte. Schon Montesquieu (L. XXIII. 27)
hatte nicht viel Vertrauen zu dieſem Geſetz, indem er in ſeiner
geiſtreichen Weiſe fragt: was ein Geſetz helfen ſolle, das auf die Er-
wirkung von „prodiges“ berechnet ſei? obwohl Voltaire (Siècle de
Louis XIV. Ch.
29) ſich von der Aufrechthaltung des Geſetzes viel
verſprochen hatte. (Vergl. Roſcher I. §. 225.) Wir haben bereits
früher bemerkt, daß ſchon Montesquieu die Entvölkerung mehr
durch vernünftige Vertheilung des Beſitzes und gute Geſetze als durch
ſpecielle Maßregeln bekämpfen wollte (L. XXII. Ch. 28. 30). Die Idee
und die Bedürfniſſe der Zeit Ludwigs XIV. gingen indeß damals auf
das übrige Europa über und in einem großen Theile deſſelben ent-
ſtanden Verſuche, die Vermehrung der Ehen direkt und indirekt zu
befördern, und ſelbſt Kinderprämien aufzuſtellen. Beſonders bezeichnend
iſt der Gang, den dieſe Beſtrebungen in Oeſterreich ſeit Maria Thereſia
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[144/0166] künftig zu tragen, die man durch die Ehe fördern will. Daher ſtehen Beförderung der Kindererzeugung und die der Ehe ſelbſt ſtets mit einander auf gleicher Linie und es iſt hiſtoriſch und ſyſtematiſch falſch, ſie zu ſcheiden. Andererſeits iſt es aber auch klar, daß, ſo wie der Gedanke einer Uebervölkerung am Horizonte der Staatswiſſenſchaft erſcheint, alle dieſe Beförderungsmittel gleichſam von ſelbſt verſchwinden und nur noch, wie es gegenwärtig der Fall iſt, ein Scheinleben in der Theorie fort- ſetzen. Auf dieſen Grundlagen beruht der Gang der polizeilichen Ehe- beförderung, und das Ganze, von dem wir hier reden, iſt daher nur noch als eine hiſtoriſche Erſcheinung, ohne andere Bedeutung für die Gegenwart, zu betrachten. Durch die Kenntniß des römiſchen Rechts und der Claſſiker hatte ſich die Erinnerung an die römiſche Geſetzgebung zur Beförderung der Ehen, die Juliae regationes, wie Plautus ſie nennt, lebhaft erhalten. Mit der Entſtehung der großen Militärſtaaten war es daher natürlich, daß dieſelben daran dachten, einen gleichen Zweck mit gleichen Mitteln zu verfolgen. Hier wie auf allen andern entſprechenden Gebieten machte Frankreich unter Ludwig XIV. den Anfang, und Colbert ver- anlaßte das ſeiner Zeit ſo berühmte Edict sur les mariages von 1666, worin zwar die Ehen nicht wie bei der Lex Julia et Papia Poppaea geradezu befohlen wurden — ein Befehl, der zu ſeiner Grundlage doch immer nur daſſelbe alte Princip der Geſchlechterordnung haben konnte, aus dem die Beſtrafung der Hageſtolzen hervorging (ſ. oben) — ſondern das vielmehr die Ehe weſentlich als Kinderzeugungsanſtalten betrachtete, indem es theils für die frühe Ehe Steuerfreiheit, theils für die Zahl von Kindern Penſionen ausſetzte. Schon Montesquieu (L. XXIII. 27) hatte nicht viel Vertrauen zu dieſem Geſetz, indem er in ſeiner geiſtreichen Weiſe fragt: was ein Geſetz helfen ſolle, das auf die Er- wirkung von „prodiges“ berechnet ſei? obwohl Voltaire (Siècle de Louis XIV. Ch. 29) ſich von der Aufrechthaltung des Geſetzes viel verſprochen hatte. (Vergl. Roſcher I. §. 225.) Wir haben bereits früher bemerkt, daß ſchon Montesquieu die Entvölkerung mehr durch vernünftige Vertheilung des Beſitzes und gute Geſetze als durch ſpecielle Maßregeln bekämpfen wollte (L. XXII. Ch. 28. 30). Die Idee und die Bedürfniſſe der Zeit Ludwigs XIV. gingen indeß damals auf das übrige Europa über und in einem großen Theile deſſelben ent- ſtanden Verſuche, die Vermehrung der Ehen direkt und indirekt zu befördern, und ſelbſt Kinderprämien aufzuſtellen. Beſonders bezeichnend iſt der Gang, den dieſe Beſtrebungen in Oeſterreich ſeit Maria Thereſia nahmen. Die Geſetzgebung dieſer Zeit ſuchte namentlich die Ehe von den Einflüſſen der Grundherren frei zu machen, und ſie dadurch zu

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866, S. 144. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre02_1866/166>, abgerufen am 28.03.2024.