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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866.

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so klar, namentlich in Beziehung auf das Heimathswesen entwickelt,
als in Großbritannien. Aber freilich muß man hier einen andern Maß-
stab anlegen als auf dem Continent. Man kann jedoch sagen, daß
wenn die Principien der administrativen Bevölkerungsordnung in ihren
beiden großen Anordnungen, der amtlichen und der Selbstverwaltung
klar sind, damit auch das ganze englische Staatswesen gegeben ist.
Zugleich aber muß man hinzufügen, daß die Individualität der drei
großbritannischen Königreiche trotz der Gemeinschaft des Staatslebens
sich auch hier zeigt, und der Punkt, wo sie auftritt, ist das Hei-
mathwesen.

Wir müssen, um das klar zu machen, uns wenigstens zum Theil
an dasjenige anschließen, was wir in der Lehre von der vollziehenden
Gewalt über England gesagt haben.

Das Princip und Recht der freien Persönlichkeit, das sich die
angelsächsische Race mitten unter allen Stürmen erhalten hat, hält zu-
gleich den Grundsatz fest, daß dasjenige, was wir die Aufgabe der
Verwaltung nennen, nicht wie auf dem Continent, Sache der amtlichen
"Obrigkeit," sondern Sache der Genossenschaften der freien Männer sei.
Der Amtsorganismus ist in England niemals die verwaltende Gewalt
geworden. Die Stellung des Staats zum Volke und namentlich zur
Verwaltung in demselben ist daher eine specifisch andere; auf ihr beruht
auch die ganze administrative Ordnung der Bevölkerung, und hat sich
von ihr aus zu einem so einfachen System entwickelt, wie es vielleicht
gar kein anderes in Europa gibt. Die einzige Schwierigkeit seines
Verständnisses beruht nur in der tiefen Verschiedenheit von denen des
Continents.

In Großbritannien hat nämlich mit wenigen Ausnahmen der amt-
liche Staat mit der Finanzverwaltung und der Verwaltung des Innern
nichts zu thun, sondern er gibt nur die Gesetze, und es ist dann
Sache der Selbstverwaltungskörper, diese Gesetze durch ihren eigenen
Organismus zu vollziehen. Die Vollziehung der Gesetze durch denselben
wird endlich nicht gesichert durch eine Oberaufsicht, wie wir das Wesen
derselben in der vollziehenden Gewalt bestimmt haben, sondern durch
das Recht jedes Einzelnen, die Selbstverwaltungskörper vor dem Ge-
richte zu verklagen. Die Harmonie zwischen Gesetzgebung und Ver-
waltung wird daher, ohne Beschwerderecht, nur durch das Klagrecht,
und somit durch die Function des Gerichts hergestellt.

Daraus nun ergibt sich die Grundlage der Ordnung der Be-
völkerung.

Großbritannien hat nämlich demgemäß, im Gegensatze zum Con-
tinent, mit Ausnahme weniger und meist ganz spezieller Fällen keine

ſo klar, namentlich in Beziehung auf das Heimathsweſen entwickelt,
als in Großbritannien. Aber freilich muß man hier einen andern Maß-
ſtab anlegen als auf dem Continent. Man kann jedoch ſagen, daß
wenn die Principien der adminiſtrativen Bevölkerungsordnung in ihren
beiden großen Anordnungen, der amtlichen und der Selbſtverwaltung
klar ſind, damit auch das ganze engliſche Staatsweſen gegeben iſt.
Zugleich aber muß man hinzufügen, daß die Individualität der drei
großbritanniſchen Königreiche trotz der Gemeinſchaft des Staatslebens
ſich auch hier zeigt, und der Punkt, wo ſie auftritt, iſt das Hei-
mathweſen.

Wir müſſen, um das klar zu machen, uns wenigſtens zum Theil
an dasjenige anſchließen, was wir in der Lehre von der vollziehenden
Gewalt über England geſagt haben.

Das Princip und Recht der freien Perſönlichkeit, das ſich die
angelſächſiſche Race mitten unter allen Stürmen erhalten hat, hält zu-
gleich den Grundſatz feſt, daß dasjenige, was wir die Aufgabe der
Verwaltung nennen, nicht wie auf dem Continent, Sache der amtlichen
„Obrigkeit,“ ſondern Sache der Genoſſenſchaften der freien Männer ſei.
Der Amtsorganismus iſt in England niemals die verwaltende Gewalt
geworden. Die Stellung des Staats zum Volke und namentlich zur
Verwaltung in demſelben iſt daher eine ſpecifiſch andere; auf ihr beruht
auch die ganze adminiſtrative Ordnung der Bevölkerung, und hat ſich
von ihr aus zu einem ſo einfachen Syſtem entwickelt, wie es vielleicht
gar kein anderes in Europa gibt. Die einzige Schwierigkeit ſeines
Verſtändniſſes beruht nur in der tiefen Verſchiedenheit von denen des
Continents.

In Großbritannien hat nämlich mit wenigen Ausnahmen der amt-
liche Staat mit der Finanzverwaltung und der Verwaltung des Innern
nichts zu thun, ſondern er gibt nur die Geſetze, und es iſt dann
Sache der Selbſtverwaltungskörper, dieſe Geſetze durch ihren eigenen
Organismus zu vollziehen. Die Vollziehung der Geſetze durch denſelben
wird endlich nicht geſichert durch eine Oberaufſicht, wie wir das Weſen
derſelben in der vollziehenden Gewalt beſtimmt haben, ſondern durch
das Recht jedes Einzelnen, die Selbſtverwaltungskörper vor dem Ge-
richte zu verklagen. Die Harmonie zwiſchen Geſetzgebung und Ver-
waltung wird daher, ohne Beſchwerderecht, nur durch das Klagrecht,
und ſomit durch die Function des Gerichts hergeſtellt.

Daraus nun ergibt ſich die Grundlage der Ordnung der Be-
völkerung.

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[288/0310] ſo klar, namentlich in Beziehung auf das Heimathsweſen entwickelt, als in Großbritannien. Aber freilich muß man hier einen andern Maß- ſtab anlegen als auf dem Continent. Man kann jedoch ſagen, daß wenn die Principien der adminiſtrativen Bevölkerungsordnung in ihren beiden großen Anordnungen, der amtlichen und der Selbſtverwaltung klar ſind, damit auch das ganze engliſche Staatsweſen gegeben iſt. Zugleich aber muß man hinzufügen, daß die Individualität der drei großbritanniſchen Königreiche trotz der Gemeinſchaft des Staatslebens ſich auch hier zeigt, und der Punkt, wo ſie auftritt, iſt das Hei- mathweſen. Wir müſſen, um das klar zu machen, uns wenigſtens zum Theil an dasjenige anſchließen, was wir in der Lehre von der vollziehenden Gewalt über England geſagt haben. Das Princip und Recht der freien Perſönlichkeit, das ſich die angelſächſiſche Race mitten unter allen Stürmen erhalten hat, hält zu- gleich den Grundſatz feſt, daß dasjenige, was wir die Aufgabe der Verwaltung nennen, nicht wie auf dem Continent, Sache der amtlichen „Obrigkeit,“ ſondern Sache der Genoſſenſchaften der freien Männer ſei. Der Amtsorganismus iſt in England niemals die verwaltende Gewalt geworden. Die Stellung des Staats zum Volke und namentlich zur Verwaltung in demſelben iſt daher eine ſpecifiſch andere; auf ihr beruht auch die ganze adminiſtrative Ordnung der Bevölkerung, und hat ſich von ihr aus zu einem ſo einfachen Syſtem entwickelt, wie es vielleicht gar kein anderes in Europa gibt. Die einzige Schwierigkeit ſeines Verſtändniſſes beruht nur in der tiefen Verſchiedenheit von denen des Continents. In Großbritannien hat nämlich mit wenigen Ausnahmen der amt- liche Staat mit der Finanzverwaltung und der Verwaltung des Innern nichts zu thun, ſondern er gibt nur die Geſetze, und es iſt dann Sache der Selbſtverwaltungskörper, dieſe Geſetze durch ihren eigenen Organismus zu vollziehen. Die Vollziehung der Geſetze durch denſelben wird endlich nicht geſichert durch eine Oberaufſicht, wie wir das Weſen derſelben in der vollziehenden Gewalt beſtimmt haben, ſondern durch das Recht jedes Einzelnen, die Selbſtverwaltungskörper vor dem Ge- richte zu verklagen. Die Harmonie zwiſchen Geſetzgebung und Ver- waltung wird daher, ohne Beſchwerderecht, nur durch das Klagrecht, und ſomit durch die Function des Gerichts hergeſtellt. Daraus nun ergibt ſich die Grundlage der Ordnung der Be- völkerung. Großbritannien hat nämlich demgemäß, im Gegenſatze zum Con- tinent, mit Ausnahme weniger und meiſt ganz ſpezieller Fällen keine

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866, S. 288. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre02_1866/310>, abgerufen am 19.04.2024.