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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866.

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Gesellschaft, die völlige rechtliche Gleichheit aller Persönlichkeit, praktisch
sich als die durchgreifend gleichartige Thätigkeit der Gesetzgebungs- und
der Vollziehungsorgane auf jedem Punkte des französischen Lebens zeigte,
und wie dieß die Centralisation der Verwaltung, und ihr entsprechend
die Vernichtung der Selbstthätigkeit der Selbstverwaltung zur Folge
hatte. Wir haben das in dem Satz zusammengefaßt, daß Frankreich
im strengen Sinne des Wortes gar keinen eigentlichen Selbst-
verwaltungskörper
, sondern nur noch an deren Stelle Vertre-
tungskörper
hat, welche sich in zwei große Classen scheiden. Wir
möchten diese beiden Classen hier die der Staatsverwaltungs-
und der Selbstverwaltungsconseils nennen. Die ersteren sind
Vertretungen in der Form der Räthe oder Conseils bei den einzelnen
administrativen Instituten und Aufgaben, und daher in an sich unbe-
stimmter Zahl vorhanden. Die andern sind Vertretungen bei den ört-
lichen Verwaltungsorganen, und nehmen die Stelle unsrer eigentlichen
Selbstverwaltungskörper, der Landschaften und Gemeinden, als Conseils
departementaux (generaux etc.)
und municipaux ein. Die Grundlage
des administrativen Bevölkerungsrechts in Frankreich ist daher der Satz,
daß es hier gar keinen, dem englischen Verwaltungs- oder
dem deutschen Gemeindebürgerthum entsprechenden Be-
griff gibt
, sondern daß jene ganze Ordnung vielmehr auf nur zwei
Grundbegriffen beruht, dem Staasbürgerrecht, welches bei dem
Mangel der eigentlichen Selbstverwaltungskörper zugleich die Ordnung
für die Theilnahme an den Selbstverwaltungsconseils bildet, und dem
amtlichen Competenzrecht, welches, da auch das Haupt der Gemeinde,
der Maire, ein amtliches Organ ist, zugleich die ganze Gemeindeange-
hörigkeit mit umfaßt. In der That ist auf diese Weise der ganze Be-
griff der Angehörigkeit in wesentlich anderer Gestalt geordnet als in
England und Deutschland, und läßt sich nunmehr wohl am besten er-
klären, indem wir dafür die drei Kategorien des Wahlrechts, der
Competenz und Zuständigkeit, und des Armenunterstützungs-
rechts
aufstellen und durchführen. Selbstverständlich bezeichnet das
"Indigenat" in Frankreich wie allenthalben als Angehörigkeit an die
vollziehende Gewalt die Gesammtheit der Competenz- und Armenunter-
stützungsordnung.

Bei dieser Darstellung ist nun stets festzuhalten, daß von vorn
hinein das Gemeindebürgerrecht gar nicht als ein selbständiges Rechts-
verhältniß erscheint, sondern daß es nur ein Glied in dem ganzen in
sich gleichartigen Systeme des Staatsbürger- und Competenzrechts ist,
weßhalb man denn auch gerade in Frankreich gezwungen wird, das
ganze System des Wahlrechts zu skizziren, um in dem Staatsbürgerrecht

Geſellſchaft, die völlige rechtliche Gleichheit aller Perſönlichkeit, praktiſch
ſich als die durchgreifend gleichartige Thätigkeit der Geſetzgebungs- und
der Vollziehungsorgane auf jedem Punkte des franzöſiſchen Lebens zeigte,
und wie dieß die Centraliſation der Verwaltung, und ihr entſprechend
die Vernichtung der Selbſtthätigkeit der Selbſtverwaltung zur Folge
hatte. Wir haben das in dem Satz zuſammengefaßt, daß Frankreich
im ſtrengen Sinne des Wortes gar keinen eigentlichen Selbſt-
verwaltungskörper
, ſondern nur noch an deren Stelle Vertre-
tungskörper
hat, welche ſich in zwei große Claſſen ſcheiden. Wir
möchten dieſe beiden Claſſen hier die der Staatsverwaltungs-
und der Selbſtverwaltungsconſeils nennen. Die erſteren ſind
Vertretungen in der Form der Räthe oder Conſeils bei den einzelnen
adminiſtrativen Inſtituten und Aufgaben, und daher in an ſich unbe-
ſtimmter Zahl vorhanden. Die andern ſind Vertretungen bei den ört-
lichen Verwaltungsorganen, und nehmen die Stelle unſrer eigentlichen
Selbſtverwaltungskörper, der Landſchaften und Gemeinden, als Conseils
départementaux (généraux etc.)
und municipaux ein. Die Grundlage
des adminiſtrativen Bevölkerungsrechts in Frankreich iſt daher der Satz,
daß es hier gar keinen, dem engliſchen Verwaltungs- oder
dem deutſchen Gemeindebürgerthum entſprechenden Be-
griff gibt
, ſondern daß jene ganze Ordnung vielmehr auf nur zwei
Grundbegriffen beruht, dem Staasbürgerrecht, welches bei dem
Mangel der eigentlichen Selbſtverwaltungskörper zugleich die Ordnung
für die Theilnahme an den Selbſtverwaltungsconſeils bildet, und dem
amtlichen Competenzrecht, welches, da auch das Haupt der Gemeinde,
der Maire, ein amtliches Organ iſt, zugleich die ganze Gemeindeange-
hörigkeit mit umfaßt. In der That iſt auf dieſe Weiſe der ganze Be-
griff der Angehörigkeit in weſentlich anderer Geſtalt geordnet als in
England und Deutſchland, und läßt ſich nunmehr wohl am beſten er-
klären, indem wir dafür die drei Kategorien des Wahlrechts, der
Competenz und Zuſtändigkeit, und des Armenunterſtützungs-
rechts
aufſtellen und durchführen. Selbſtverſtändlich bezeichnet das
„Indigenat“ in Frankreich wie allenthalben als Angehörigkeit an die
vollziehende Gewalt die Geſammtheit der Competenz- und Armenunter-
ſtützungsordnung.

Bei dieſer Darſtellung iſt nun ſtets feſtzuhalten, daß von vorn
hinein das Gemeindebürgerrecht gar nicht als ein ſelbſtändiges Rechts-
verhältniß erſcheint, ſondern daß es nur ein Glied in dem ganzen in
ſich gleichartigen Syſteme des Staatsbürger- und Competenzrechts iſt,
weßhalb man denn auch gerade in Frankreich gezwungen wird, das
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[300/0322] Geſellſchaft, die völlige rechtliche Gleichheit aller Perſönlichkeit, praktiſch ſich als die durchgreifend gleichartige Thätigkeit der Geſetzgebungs- und der Vollziehungsorgane auf jedem Punkte des franzöſiſchen Lebens zeigte, und wie dieß die Centraliſation der Verwaltung, und ihr entſprechend die Vernichtung der Selbſtthätigkeit der Selbſtverwaltung zur Folge hatte. Wir haben das in dem Satz zuſammengefaßt, daß Frankreich im ſtrengen Sinne des Wortes gar keinen eigentlichen Selbſt- verwaltungskörper, ſondern nur noch an deren Stelle Vertre- tungskörper hat, welche ſich in zwei große Claſſen ſcheiden. Wir möchten dieſe beiden Claſſen hier die der Staatsverwaltungs- und der Selbſtverwaltungsconſeils nennen. Die erſteren ſind Vertretungen in der Form der Räthe oder Conſeils bei den einzelnen adminiſtrativen Inſtituten und Aufgaben, und daher in an ſich unbe- ſtimmter Zahl vorhanden. Die andern ſind Vertretungen bei den ört- lichen Verwaltungsorganen, und nehmen die Stelle unſrer eigentlichen Selbſtverwaltungskörper, der Landſchaften und Gemeinden, als Conseils départementaux (généraux etc.) und municipaux ein. Die Grundlage des adminiſtrativen Bevölkerungsrechts in Frankreich iſt daher der Satz, daß es hier gar keinen, dem engliſchen Verwaltungs- oder dem deutſchen Gemeindebürgerthum entſprechenden Be- griff gibt, ſondern daß jene ganze Ordnung vielmehr auf nur zwei Grundbegriffen beruht, dem Staasbürgerrecht, welches bei dem Mangel der eigentlichen Selbſtverwaltungskörper zugleich die Ordnung für die Theilnahme an den Selbſtverwaltungsconſeils bildet, und dem amtlichen Competenzrecht, welches, da auch das Haupt der Gemeinde, der Maire, ein amtliches Organ iſt, zugleich die ganze Gemeindeange- hörigkeit mit umfaßt. In der That iſt auf dieſe Weiſe der ganze Be- griff der Angehörigkeit in weſentlich anderer Geſtalt geordnet als in England und Deutſchland, und läßt ſich nunmehr wohl am beſten er- klären, indem wir dafür die drei Kategorien des Wahlrechts, der Competenz und Zuſtändigkeit, und des Armenunterſtützungs- rechts aufſtellen und durchführen. Selbſtverſtändlich bezeichnet das „Indigenat“ in Frankreich wie allenthalben als Angehörigkeit an die vollziehende Gewalt die Geſammtheit der Competenz- und Armenunter- ſtützungsordnung. Bei dieſer Darſtellung iſt nun ſtets feſtzuhalten, daß von vorn hinein das Gemeindebürgerrecht gar nicht als ein ſelbſtändiges Rechts- verhältniß erſcheint, ſondern daß es nur ein Glied in dem ganzen in ſich gleichartigen Syſteme des Staatsbürger- und Competenzrechts iſt, weßhalb man denn auch gerade in Frankreich gezwungen wird, das ganze Syſtem des Wahlrechts zu ſkizziren, um in dem Staatsbürgerrecht

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866, S. 300. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre02_1866/322>, abgerufen am 28.03.2024.