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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866.

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das ethische Wesen derselben, sondern auch über ihr System einig werde.
Denn es kann sich auf die Dauer bei einer so hoch stehenden Wissen-
schaft nicht um die subjektive Anschauung des Einzelnen handeln. Ist
es wahr, daß die Verwaltung das Gesammtleben der Einzelpersönlichkeit
und ihre Entwicklung umfaßt, so kann sie selbst sich nicht willkürlich
in diese oder jene Gebiete theilen. Ist sie äußerlich ein selbständiges
Ganze, so muß sie auch innerlich dasselbe sein. Daß dieses Ganze
mit den Bestandtheilen und Abtheilungen, welche es bilden, sich voll-
ständig erfülle, und daß der Beschauende zur Ueberzeugung gelange,
wie jede einzelne Thatsache und jede Frage aus dem weiten Felde der
Verwaltung sich gleichsam von selbst an den ihr gebührenden Platz
finde. Es ist gewiß eine an sich einfache Sache, zu behaupten, daß
eine Wissenschaft von gegebenen Verhältnissen eben so wenig zwei Sy-
steme haben, wie das Objekt selbst zwei oder mehrere Naturen besitzen
kann. Die Verschiedenheit in der Behandlung und Darstellung ist aller-
dings nothwendig frei; aber die Sache selbst kann doch nur Eine sein,
und daher ist jede Verschiedenheit nicht im Objekt, sondern nur in der
subjektiven Betrachtung des Subjekts gelegen. Aber so lange wir uns
nicht einig werden, welchen natürlichen Organismus die Sache an sich
hat, so lange werden wir keine wahre Wissenschaft besitzen. Wir müssen
es daher unternehmen, das System der Verwaltungslehre nicht als eine
Propädeutik, sondern als einen immanenten Theil derselben hier auf-
zustellen; denn in der That ist es hier, was es immer sein soll, nicht
eine Ordnung des Stoffes, sondern die Grundlage und der allgemeinste
Inhalt der Verwaltungslehre selbst.

Macht es nun diese Anforderung, so muß es auch mehr sein als
eine äußere Ordnung. Es muß vielmehr selbst als die nothwendige
Consequenz seines eignen Wesens erscheinen, und sein Werth darf nicht
auf der Zweckmäßigkeit, sondern auf der Harmonie mit jenem Wesen
selbst beruhen. Und das darzulegen ist die Aufgabe des Folgenden.

Wir unsererseits müssen aber deßhalb mit so viel Nachdruck auf
diesem Punkte bestehen, weil nicht nur keine Verwaltungslehre ohne
ein festes und selbständiges System möglich ist, sondern weil in der
bisher vorhandenen Theorie die Verwirrung und Unklarheit der Grenzen
und der Gebiete eben so vollständig zu sein scheint, als die der Namen
und Begriffe. Erst wenn sich der feste Kern hier herausgeschält hat,
kann man in dieser Wissenschaft weiter gelangen.

2) Das System selbst aber, oder vielmehr das in seine organischen
Gebiete aufgelöste Wesen der Verwaltung ist sehr einfach.

Da die innere Verwaltung die Verhältnisse des individuellen Lebens
in ihrem Bedingtsein durch die Gemeinschaft darzulegen hat, so kann

das ethiſche Weſen derſelben, ſondern auch über ihr Syſtem einig werde.
Denn es kann ſich auf die Dauer bei einer ſo hoch ſtehenden Wiſſen-
ſchaft nicht um die ſubjektive Anſchauung des Einzelnen handeln. Iſt
es wahr, daß die Verwaltung das Geſammtleben der Einzelperſönlichkeit
und ihre Entwicklung umfaßt, ſo kann ſie ſelbſt ſich nicht willkürlich
in dieſe oder jene Gebiete theilen. Iſt ſie äußerlich ein ſelbſtändiges
Ganze, ſo muß ſie auch innerlich daſſelbe ſein. Daß dieſes Ganze
mit den Beſtandtheilen und Abtheilungen, welche es bilden, ſich voll-
ſtändig erfülle, und daß der Beſchauende zur Ueberzeugung gelange,
wie jede einzelne Thatſache und jede Frage aus dem weiten Felde der
Verwaltung ſich gleichſam von ſelbſt an den ihr gebührenden Platz
finde. Es iſt gewiß eine an ſich einfache Sache, zu behaupten, daß
eine Wiſſenſchaft von gegebenen Verhältniſſen eben ſo wenig zwei Sy-
ſteme haben, wie das Objekt ſelbſt zwei oder mehrere Naturen beſitzen
kann. Die Verſchiedenheit in der Behandlung und Darſtellung iſt aller-
dings nothwendig frei; aber die Sache ſelbſt kann doch nur Eine ſein,
und daher iſt jede Verſchiedenheit nicht im Objekt, ſondern nur in der
ſubjektiven Betrachtung des Subjekts gelegen. Aber ſo lange wir uns
nicht einig werden, welchen natürlichen Organismus die Sache an ſich
hat, ſo lange werden wir keine wahre Wiſſenſchaft beſitzen. Wir müſſen
es daher unternehmen, das Syſtem der Verwaltungslehre nicht als eine
Propädeutik, ſondern als einen immanenten Theil derſelben hier auf-
zuſtellen; denn in der That iſt es hier, was es immer ſein ſoll, nicht
eine Ordnung des Stoffes, ſondern die Grundlage und der allgemeinſte
Inhalt der Verwaltungslehre ſelbſt.

Macht es nun dieſe Anforderung, ſo muß es auch mehr ſein als
eine äußere Ordnung. Es muß vielmehr ſelbſt als die nothwendige
Conſequenz ſeines eignen Weſens erſcheinen, und ſein Werth darf nicht
auf der Zweckmäßigkeit, ſondern auf der Harmonie mit jenem Weſen
ſelbſt beruhen. Und das darzulegen iſt die Aufgabe des Folgenden.

Wir unſererſeits müſſen aber deßhalb mit ſo viel Nachdruck auf
dieſem Punkte beſtehen, weil nicht nur keine Verwaltungslehre ohne
ein feſtes und ſelbſtändiges Syſtem möglich iſt, ſondern weil in der
bisher vorhandenen Theorie die Verwirrung und Unklarheit der Grenzen
und der Gebiete eben ſo vollſtändig zu ſein ſcheint, als die der Namen
und Begriffe. Erſt wenn ſich der feſte Kern hier herausgeſchält hat,
kann man in dieſer Wiſſenſchaft weiter gelangen.

2) Das Syſtem ſelbſt aber, oder vielmehr das in ſeine organiſchen
Gebiete aufgelöste Weſen der Verwaltung iſt ſehr einfach.

Da die innere Verwaltung die Verhältniſſe des individuellen Lebens
in ihrem Bedingtſein durch die Gemeinſchaft darzulegen hat, ſo kann

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[51/0073] das ethiſche Weſen derſelben, ſondern auch über ihr Syſtem einig werde. Denn es kann ſich auf die Dauer bei einer ſo hoch ſtehenden Wiſſen- ſchaft nicht um die ſubjektive Anſchauung des Einzelnen handeln. Iſt es wahr, daß die Verwaltung das Geſammtleben der Einzelperſönlichkeit und ihre Entwicklung umfaßt, ſo kann ſie ſelbſt ſich nicht willkürlich in dieſe oder jene Gebiete theilen. Iſt ſie äußerlich ein ſelbſtändiges Ganze, ſo muß ſie auch innerlich daſſelbe ſein. Daß dieſes Ganze mit den Beſtandtheilen und Abtheilungen, welche es bilden, ſich voll- ſtändig erfülle, und daß der Beſchauende zur Ueberzeugung gelange, wie jede einzelne Thatſache und jede Frage aus dem weiten Felde der Verwaltung ſich gleichſam von ſelbſt an den ihr gebührenden Platz finde. Es iſt gewiß eine an ſich einfache Sache, zu behaupten, daß eine Wiſſenſchaft von gegebenen Verhältniſſen eben ſo wenig zwei Sy- ſteme haben, wie das Objekt ſelbſt zwei oder mehrere Naturen beſitzen kann. Die Verſchiedenheit in der Behandlung und Darſtellung iſt aller- dings nothwendig frei; aber die Sache ſelbſt kann doch nur Eine ſein, und daher iſt jede Verſchiedenheit nicht im Objekt, ſondern nur in der ſubjektiven Betrachtung des Subjekts gelegen. Aber ſo lange wir uns nicht einig werden, welchen natürlichen Organismus die Sache an ſich hat, ſo lange werden wir keine wahre Wiſſenſchaft beſitzen. Wir müſſen es daher unternehmen, das Syſtem der Verwaltungslehre nicht als eine Propädeutik, ſondern als einen immanenten Theil derſelben hier auf- zuſtellen; denn in der That iſt es hier, was es immer ſein ſoll, nicht eine Ordnung des Stoffes, ſondern die Grundlage und der allgemeinſte Inhalt der Verwaltungslehre ſelbſt. Macht es nun dieſe Anforderung, ſo muß es auch mehr ſein als eine äußere Ordnung. Es muß vielmehr ſelbſt als die nothwendige Conſequenz ſeines eignen Weſens erſcheinen, und ſein Werth darf nicht auf der Zweckmäßigkeit, ſondern auf der Harmonie mit jenem Weſen ſelbſt beruhen. Und das darzulegen iſt die Aufgabe des Folgenden. Wir unſererſeits müſſen aber deßhalb mit ſo viel Nachdruck auf dieſem Punkte beſtehen, weil nicht nur keine Verwaltungslehre ohne ein feſtes und ſelbſtändiges Syſtem möglich iſt, ſondern weil in der bisher vorhandenen Theorie die Verwirrung und Unklarheit der Grenzen und der Gebiete eben ſo vollſtändig zu ſein ſcheint, als die der Namen und Begriffe. Erſt wenn ſich der feſte Kern hier herausgeſchält hat, kann man in dieſer Wiſſenſchaft weiter gelangen. 2) Das Syſtem ſelbſt aber, oder vielmehr das in ſeine organiſchen Gebiete aufgelöste Weſen der Verwaltung iſt ſehr einfach. Da die innere Verwaltung die Verhältniſſe des individuellen Lebens in ihrem Bedingtſein durch die Gemeinſchaft darzulegen hat, ſo kann

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866, S. 51. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre02_1866/73>, abgerufen am 16.04.2024.