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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866.

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Kräfte, welche erst Thatsachen zu erzeugen streben, die wir dann die
Wirkung der Kraft als Ursache der Thatsache nennen.

Es ist nun natürlich, daß die Aufgabe und Thätigkeit der Ver-
waltung eine andere ist, je nachdem sie es mit wirklichen Thatsachen
oder mit den Kräften zu thun hat. Dabei ist es kein Zweifel, daß sie,
will sie anders ihren Zweck erreichen, bei ihrer Thätigkeit sich nach der
Natur ihres Objekts zu richten hat.

Daher wird es das Wesen der Kraft sein, welches die Aufgabe
der Verwaltung bestimmt, wo sie mit solchen Kräften zu thun hat.

Jede Kraft nun, sie mag eine natürliche oder persönliche sein, ist
ihrer Natur nach ohne Gränze. Es gibt überhaupt gar keinen andern
Begriff der Kraft, als den des an sich seinem Wesen nach unbegränz-
ten Daseins. Jede Kraft empfängt daher ihre Gränze erst von der
andern Kraft. Das ist der wahre Ausgangspunkt der Wissenschaft der
Thatsachen. Eine solche begränzte Kraft in ihrer äußern Erscheinung
nennen wir, als ein Einheitliches gedacht, eine Thatsache, als eine
Vielheit von Momenten in dieser Einheit, einen Zustand. Jeder Zu-
stand, der persönliche wie der natürliche, ist daher von den Kräften,
welche in allen andern ihn umgebenden Zuständen ihrerseits lebendig
sind, beständig bedroht, weil die jedem Zustande zu Grunde liegende
Kraft ihre Natur, das Streben nach unbegränzter Geltung, sich erhält.
In jedem Zustande lebt daher eine Gefahr für alle andern Zustände.
Jeder Zustand erhält sich somit nur dadurch, daß er seine Kraft gegen-
über der der andern Zustände geltend macht. Verliert er das Maß der
Kraft, welches ihn dazu befähigt, so geht er zu Grunde. Das ist das
Gesetz für die Gegensätze unter den Dingen in der Natur. Es ist ferner
das Gesetz des Gegensatzes zwischen der Natur und der Menschheit. Es
ist aber endlich nicht minder das Gesetz für den Gegensatz des Einzelnen
gegen den Einzelnen; denn auch der Einzelne ist, als seinem Wesen
nach unendliche und an sich freie Selbstbestimmung, negativ gegen jeden
andern Einzelnen, weil derselbe die äußere Gränze seines Lebens und
Thuns enthält, und damit eine Gefahr für alle andern.

Die freie und selbstthätige Entwicklung der Einzelnen, dieses höchste
Ziel des Staats in seiner innern Verwaltung, hat daher zu einer ihrer
wesentlichsten Bedingungen die, daß die sie umgebenden natürlichen und
persönlichen Kräfte diese freie Entwicklung nicht vernichten. Die Erfül-
lung dieser Bedingung liegt darin, daß jede dieser Kräfte auf das Maß
zurückgeführt wird, innerhalb dessen die freie Selbstbestimmung des Ein-
zelnen noch möglich ist. Das nun vermag der Einzelne darum nicht,
weil theils seine physischen Kräfte und Mittel, theils sein Verständniß
und seine Kenntniß der Zustände nicht ausreichen. Hier ist demnach

Kräfte, welche erſt Thatſachen zu erzeugen ſtreben, die wir dann die
Wirkung der Kraft als Urſache der Thatſache nennen.

Es iſt nun natürlich, daß die Aufgabe und Thätigkeit der Ver-
waltung eine andere iſt, je nachdem ſie es mit wirklichen Thatſachen
oder mit den Kräften zu thun hat. Dabei iſt es kein Zweifel, daß ſie,
will ſie anders ihren Zweck erreichen, bei ihrer Thätigkeit ſich nach der
Natur ihres Objekts zu richten hat.

Daher wird es das Weſen der Kraft ſein, welches die Aufgabe
der Verwaltung beſtimmt, wo ſie mit ſolchen Kräften zu thun hat.

Jede Kraft nun, ſie mag eine natürliche oder perſönliche ſein, iſt
ihrer Natur nach ohne Gränze. Es gibt überhaupt gar keinen andern
Begriff der Kraft, als den des an ſich ſeinem Weſen nach unbegränz-
ten Daſeins. Jede Kraft empfängt daher ihre Gränze erſt von der
andern Kraft. Das iſt der wahre Ausgangspunkt der Wiſſenſchaft der
Thatſachen. Eine ſolche begränzte Kraft in ihrer äußern Erſcheinung
nennen wir, als ein Einheitliches gedacht, eine Thatſache, als eine
Vielheit von Momenten in dieſer Einheit, einen Zuſtand. Jeder Zu-
ſtand, der perſönliche wie der natürliche, iſt daher von den Kräften,
welche in allen andern ihn umgebenden Zuſtänden ihrerſeits lebendig
ſind, beſtändig bedroht, weil die jedem Zuſtande zu Grunde liegende
Kraft ihre Natur, das Streben nach unbegränzter Geltung, ſich erhält.
In jedem Zuſtande lebt daher eine Gefahr für alle andern Zuſtände.
Jeder Zuſtand erhält ſich ſomit nur dadurch, daß er ſeine Kraft gegen-
über der der andern Zuſtände geltend macht. Verliert er das Maß der
Kraft, welches ihn dazu befähigt, ſo geht er zu Grunde. Das iſt das
Geſetz für die Gegenſätze unter den Dingen in der Natur. Es iſt ferner
das Geſetz des Gegenſatzes zwiſchen der Natur und der Menſchheit. Es
iſt aber endlich nicht minder das Geſetz für den Gegenſatz des Einzelnen
gegen den Einzelnen; denn auch der Einzelne iſt, als ſeinem Weſen
nach unendliche und an ſich freie Selbſtbeſtimmung, negativ gegen jeden
andern Einzelnen, weil derſelbe die äußere Gränze ſeines Lebens und
Thuns enthält, und damit eine Gefahr für alle andern.

Die freie und ſelbſtthätige Entwicklung der Einzelnen, dieſes höchſte
Ziel des Staats in ſeiner innern Verwaltung, hat daher zu einer ihrer
weſentlichſten Bedingungen die, daß die ſie umgebenden natürlichen und
perſönlichen Kräfte dieſe freie Entwicklung nicht vernichten. Die Erfül-
lung dieſer Bedingung liegt darin, daß jede dieſer Kräfte auf das Maß
zurückgeführt wird, innerhalb deſſen die freie Selbſtbeſtimmung des Ein-
zelnen noch möglich iſt. Das nun vermag der Einzelne darum nicht,
weil theils ſeine phyſiſchen Kräfte und Mittel, theils ſein Verſtändniß
und ſeine Kenntniß der Zuſtände nicht ausreichen. Hier iſt demnach

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[64/0086] Kräfte, welche erſt Thatſachen zu erzeugen ſtreben, die wir dann die Wirkung der Kraft als Urſache der Thatſache nennen. Es iſt nun natürlich, daß die Aufgabe und Thätigkeit der Ver- waltung eine andere iſt, je nachdem ſie es mit wirklichen Thatſachen oder mit den Kräften zu thun hat. Dabei iſt es kein Zweifel, daß ſie, will ſie anders ihren Zweck erreichen, bei ihrer Thätigkeit ſich nach der Natur ihres Objekts zu richten hat. Daher wird es das Weſen der Kraft ſein, welches die Aufgabe der Verwaltung beſtimmt, wo ſie mit ſolchen Kräften zu thun hat. Jede Kraft nun, ſie mag eine natürliche oder perſönliche ſein, iſt ihrer Natur nach ohne Gränze. Es gibt überhaupt gar keinen andern Begriff der Kraft, als den des an ſich ſeinem Weſen nach unbegränz- ten Daſeins. Jede Kraft empfängt daher ihre Gränze erſt von der andern Kraft. Das iſt der wahre Ausgangspunkt der Wiſſenſchaft der Thatſachen. Eine ſolche begränzte Kraft in ihrer äußern Erſcheinung nennen wir, als ein Einheitliches gedacht, eine Thatſache, als eine Vielheit von Momenten in dieſer Einheit, einen Zuſtand. Jeder Zu- ſtand, der perſönliche wie der natürliche, iſt daher von den Kräften, welche in allen andern ihn umgebenden Zuſtänden ihrerſeits lebendig ſind, beſtändig bedroht, weil die jedem Zuſtande zu Grunde liegende Kraft ihre Natur, das Streben nach unbegränzter Geltung, ſich erhält. In jedem Zuſtande lebt daher eine Gefahr für alle andern Zuſtände. Jeder Zuſtand erhält ſich ſomit nur dadurch, daß er ſeine Kraft gegen- über der der andern Zuſtände geltend macht. Verliert er das Maß der Kraft, welches ihn dazu befähigt, ſo geht er zu Grunde. Das iſt das Geſetz für die Gegenſätze unter den Dingen in der Natur. Es iſt ferner das Geſetz des Gegenſatzes zwiſchen der Natur und der Menſchheit. Es iſt aber endlich nicht minder das Geſetz für den Gegenſatz des Einzelnen gegen den Einzelnen; denn auch der Einzelne iſt, als ſeinem Weſen nach unendliche und an ſich freie Selbſtbeſtimmung, negativ gegen jeden andern Einzelnen, weil derſelbe die äußere Gränze ſeines Lebens und Thuns enthält, und damit eine Gefahr für alle andern. Die freie und ſelbſtthätige Entwicklung der Einzelnen, dieſes höchſte Ziel des Staats in ſeiner innern Verwaltung, hat daher zu einer ihrer weſentlichſten Bedingungen die, daß die ſie umgebenden natürlichen und perſönlichen Kräfte dieſe freie Entwicklung nicht vernichten. Die Erfül- lung dieſer Bedingung liegt darin, daß jede dieſer Kräfte auf das Maß zurückgeführt wird, innerhalb deſſen die freie Selbſtbeſtimmung des Ein- zelnen noch möglich iſt. Das nun vermag der Einzelne darum nicht, weil theils ſeine phyſiſchen Kräfte und Mittel, theils ſein Verſtändniß und ſeine Kenntniß der Zuſtände nicht ausreichen. Hier iſt demnach

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866, S. 64. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre02_1866/86>, abgerufen am 18.04.2024.