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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 4. Stuttgart, 1867.

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Erste Abtheilung.
Höhere Sicherheitspolizei.
I. Begriff und Princip.

Die höhere Sicherheitspolizei beruht darauf, daß der geordnete,
theils in den Verfassungen, theils in dem Organismus und der regel-
mäßigen Funktion der vollziehenden Gewalt ausgedrückte Rechtszustand
eines Volkes nicht durch die elementaren Gewalten des Volkslebens
und nicht durch Einzelbestrebungen gewaltsam gestört werde. Denn
diese feste Ordnung erscheint als die erste Bedingung der Entwicklung
jedes Einzelnen, weil sie die Gewähr der großen Funktionen des Staats
für das Ganze und der freien Entwicklung der Thätigkeit des Indivi-
duums für sich selber enthält. Die Gefährdung jener Ordnung ist
daher eine Gefährdung aller Grundlagen des Volkslebens, und es ist
die Aufgabe der höheren Sicherheitspolizei, diese Gefährdungen zu
beseitigen.

So einfach und natürlich nun auch diese Forderungen sind, so
unterliegen sie doch einem Verhängniß, das zugleich die Grundlage der
historischen Rechtsbildung für die Sicherheitspolizei geworden ist. Da
nämlich die durch die Sicherheitspolizei zu schützende öffentliche Ordnung,
das öffentliche Recht eines Staats, ein objektiv geltendes, festes Recht
ist, während die dieses Recht erzeugenden Kräfte wechseln und fort-
schreiten, so ist ein Zustand, in welchem eine vollständige und
dauernde Harmonie dieser Kräfte und jenes für sie geltenden Rechts
vorhanden wäre, weder denkbar, noch im Grunde wünschenswerth.
Jede Entwicklung wird durch eine mehr oder weniger große und fühl-
bare Spannung zwischen jenen beiden Faktoren begonnen und bedingt;
der wirkliche Fortschritt erscheint damit in der materiellen und geistigen
Entwicklung, so wie er zu einem ausgesprochenen Drange nach einer
Aenderung des öffentlichen Rechts wird, natürlich als eine Gefahr des
letzteren, da er es ja positiv beseitigen will, und jeder Ausdruck dieses
Strebens, mag es sonst so berechtigt sein als es wolle, wird zur Ge-
fährdung des Bestehenden, formell zunächst ganz gleichgültig ob das Be-
stehende gut oder nicht gut, und das durch die geistigen und materiellen
Volksbestrebungen erzielte Neue besser oder schlechter ist. Jede solche
Bestrebung wird eben damit zu einem Gegenstande der höheren Sicher-
heitspolizei, welche denselben nach ihrer formellen Aufgabe zu bekämpfen
hat, während die höhere Entwicklung des Volkslebens ihn stets in
solchen Fällen mit Freude begrüßt und fördert.

Erſte Abtheilung.
Höhere Sicherheitspolizei.
I. Begriff und Princip.

Die höhere Sicherheitspolizei beruht darauf, daß der geordnete,
theils in den Verfaſſungen, theils in dem Organismus und der regel-
mäßigen Funktion der vollziehenden Gewalt ausgedrückte Rechtszuſtand
eines Volkes nicht durch die elementaren Gewalten des Volkslebens
und nicht durch Einzelbeſtrebungen gewaltſam geſtört werde. Denn
dieſe feſte Ordnung erſcheint als die erſte Bedingung der Entwicklung
jedes Einzelnen, weil ſie die Gewähr der großen Funktionen des Staats
für das Ganze und der freien Entwicklung der Thätigkeit des Indivi-
duums für ſich ſelber enthält. Die Gefährdung jener Ordnung iſt
daher eine Gefährdung aller Grundlagen des Volkslebens, und es iſt
die Aufgabe der höheren Sicherheitspolizei, dieſe Gefährdungen zu
beſeitigen.

So einfach und natürlich nun auch dieſe Forderungen ſind, ſo
unterliegen ſie doch einem Verhängniß, das zugleich die Grundlage der
hiſtoriſchen Rechtsbildung für die Sicherheitspolizei geworden iſt. Da
nämlich die durch die Sicherheitspolizei zu ſchützende öffentliche Ordnung,
das öffentliche Recht eines Staats, ein objektiv geltendes, feſtes Recht
iſt, während die dieſes Recht erzeugenden Kräfte wechſeln und fort-
ſchreiten, ſo iſt ein Zuſtand, in welchem eine vollſtändige und
dauernde Harmonie dieſer Kräfte und jenes für ſie geltenden Rechts
vorhanden wäre, weder denkbar, noch im Grunde wünſchenswerth.
Jede Entwicklung wird durch eine mehr oder weniger große und fühl-
bare Spannung zwiſchen jenen beiden Faktoren begonnen und bedingt;
der wirkliche Fortſchritt erſcheint damit in der materiellen und geiſtigen
Entwicklung, ſo wie er zu einem ausgeſprochenen Drange nach einer
Aenderung des öffentlichen Rechts wird, natürlich als eine Gefahr des
letzteren, da er es ja poſitiv beſeitigen will, und jeder Ausdruck dieſes
Strebens, mag es ſonſt ſo berechtigt ſein als es wolle, wird zur Ge-
fährdung des Beſtehenden, formell zunächſt ganz gleichgültig ob das Be-
ſtehende gut oder nicht gut, und das durch die geiſtigen und materiellen
Volksbeſtrebungen erzielte Neue beſſer oder ſchlechter iſt. Jede ſolche
Beſtrebung wird eben damit zu einem Gegenſtande der höheren Sicher-
heitspolizei, welche denſelben nach ihrer formellen Aufgabe zu bekämpfen
hat, während die höhere Entwicklung des Volkslebens ihn ſtets in
ſolchen Fällen mit Freude begrüßt und fördert.

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[92/0114] Erſte Abtheilung. Höhere Sicherheitspolizei. I. Begriff und Princip. Die höhere Sicherheitspolizei beruht darauf, daß der geordnete, theils in den Verfaſſungen, theils in dem Organismus und der regel- mäßigen Funktion der vollziehenden Gewalt ausgedrückte Rechtszuſtand eines Volkes nicht durch die elementaren Gewalten des Volkslebens und nicht durch Einzelbeſtrebungen gewaltſam geſtört werde. Denn dieſe feſte Ordnung erſcheint als die erſte Bedingung der Entwicklung jedes Einzelnen, weil ſie die Gewähr der großen Funktionen des Staats für das Ganze und der freien Entwicklung der Thätigkeit des Indivi- duums für ſich ſelber enthält. Die Gefährdung jener Ordnung iſt daher eine Gefährdung aller Grundlagen des Volkslebens, und es iſt die Aufgabe der höheren Sicherheitspolizei, dieſe Gefährdungen zu beſeitigen. So einfach und natürlich nun auch dieſe Forderungen ſind, ſo unterliegen ſie doch einem Verhängniß, das zugleich die Grundlage der hiſtoriſchen Rechtsbildung für die Sicherheitspolizei geworden iſt. Da nämlich die durch die Sicherheitspolizei zu ſchützende öffentliche Ordnung, das öffentliche Recht eines Staats, ein objektiv geltendes, feſtes Recht iſt, während die dieſes Recht erzeugenden Kräfte wechſeln und fort- ſchreiten, ſo iſt ein Zuſtand, in welchem eine vollſtändige und dauernde Harmonie dieſer Kräfte und jenes für ſie geltenden Rechts vorhanden wäre, weder denkbar, noch im Grunde wünſchenswerth. Jede Entwicklung wird durch eine mehr oder weniger große und fühl- bare Spannung zwiſchen jenen beiden Faktoren begonnen und bedingt; der wirkliche Fortſchritt erſcheint damit in der materiellen und geiſtigen Entwicklung, ſo wie er zu einem ausgeſprochenen Drange nach einer Aenderung des öffentlichen Rechts wird, natürlich als eine Gefahr des letzteren, da er es ja poſitiv beſeitigen will, und jeder Ausdruck dieſes Strebens, mag es ſonſt ſo berechtigt ſein als es wolle, wird zur Ge- fährdung des Beſtehenden, formell zunächſt ganz gleichgültig ob das Be- ſtehende gut oder nicht gut, und das durch die geiſtigen und materiellen Volksbeſtrebungen erzielte Neue beſſer oder ſchlechter iſt. Jede ſolche Beſtrebung wird eben damit zu einem Gegenſtande der höheren Sicher- heitspolizei, welche denſelben nach ihrer formellen Aufgabe zu bekämpfen hat, während die höhere Entwicklung des Volkslebens ihn ſtets in ſolchen Fällen mit Freude begrüßt und fördert.

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 4. Stuttgart, 1867, S. 92. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre04_1867/114>, abgerufen am 19.04.2024.