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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 4. Stuttgart, 1867.

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Ihm folgt Pölitz, (Staatswissenschaft I. 502 und II. 361), die Frage
bereits im Princip ganz richtig behandelnd, ohne jedoch auf die einzelnen
Rechtsgebiete einzugehen, während die übrigen sich mehr im Gebiete
allgemeiner Redensarten halten. Erst seit 1848 ist das Princip voll-
ständig anerkannt, aber der Mangel einer selbständigen Verwaltungs-
lehre schob das ganze Gebiet in die Strafproceßlehre, wo sie z. B.
v. Sundelin in seiner fleißigen, aber ohne Beziehung zum Begriffe
der hohen Polizei gearbeiteten Schrift: "Die Habeas Corpus-Akte und
die Vorschriften zum Schutz der Person in den deutschen Strafgesetz-
gebungen 1862" zusammenstellte. -- Was Mohl in seiner sog. "Prä-
ventiv-Justiz" will, ist ihm wohl nie klar geworden. Abgesehen von
der schüchternen Besprechung der Hauptpunkte (§. 2--17) ist es doch
wohl klar, daß das, was "Prävention" ist, eben keine "Justiz" mehr
sein kann, die ihrem Begriffe nach eben eine geschehene That und für
dieselbe eine positive Bestrafung enthält. Er denkt sich dabei offenbar
unklar die von uns oben bezeichnete gerichtlich-polizeiliche Funktion der
Verwaltungspolizei; aber hier kann man mit allgemeinen Sätzen eben
nicht weit kommen. Begriff und Ausdruck der Präventiv-Justiz sind be-
zeichnend genug, aber eben für den überwundenen Standpunkt der ersten
Hälfte unseres Jahrhunderts.

II. Die Grundlagen der historischen Rechtsbildung der höheren
Sicherheitspolizei.

Alle höhere Sicherheitspolizei hat eine Voraussetzung, die wir
bereits angedeutet haben, und die es erklärt, weßhalb sie erst in der
staatsbürgerlichen Gesellschaft zu einer selbständigen Rechtsbildung ge-
langen kann. So lange nämlich die Aenderung des bestehenden öffent-
lichen Rechts grundsätzlich ausgeschlossen ist, ist auch jedes Bestreben,
eine solche Reform herbeizuführen, an und für sich ein öffentliches Ver-
brechen. Die Polizei hat hier daher nur die Funktion einer gerichtlichen
Polizei, welche jede Aeußerung eines solchen Bestrebens sofort als be-
reits geschehenes Verbrechen einfach dem Gerichte zuweisen muß. Erst
da, wo die Verfassung selbst ihre eigene Entwicklungsfähigkeit und
damit das Streben nach einer solchen Entwicklung als einen organischen
Theil des staatsbürgerlichen Rechts anerkennt, scheidet sich die Sicher-
heitspolizei von der gerichtlichen Polizei der Verbrechen gegen die öffent-
liche Rechtsordnung; und dieser Proceß der Scheidung bietet dann
eben den Inhalt der Geschichte ihrer Rechtsbildung.

Die letztere hängt daher auf das Engste mit der ganzen öffentlichen
Rechtsentwicklung Europa's zusammen, oder ist vielmehr ein eigener

Stein, die Verwaltungslehre. IV. 7

Ihm folgt Pölitz, (Staatswiſſenſchaft I. 502 und II. 361), die Frage
bereits im Princip ganz richtig behandelnd, ohne jedoch auf die einzelnen
Rechtsgebiete einzugehen, während die übrigen ſich mehr im Gebiete
allgemeiner Redensarten halten. Erſt ſeit 1848 iſt das Princip voll-
ſtändig anerkannt, aber der Mangel einer ſelbſtändigen Verwaltungs-
lehre ſchob das ganze Gebiet in die Strafproceßlehre, wo ſie z. B.
v. Sundelin in ſeiner fleißigen, aber ohne Beziehung zum Begriffe
der hohen Polizei gearbeiteten Schrift: „Die Habeas Corpus-Akte und
die Vorſchriften zum Schutz der Perſon in den deutſchen Strafgeſetz-
gebungen 1862“ zuſammenſtellte. — Was Mohl in ſeiner ſog. „Prä-
ventiv-Juſtiz“ will, iſt ihm wohl nie klar geworden. Abgeſehen von
der ſchüchternen Beſprechung der Hauptpunkte (§. 2—17) iſt es doch
wohl klar, daß das, was „Prävention“ iſt, eben keine „Juſtiz“ mehr
ſein kann, die ihrem Begriffe nach eben eine geſchehene That und für
dieſelbe eine poſitive Beſtrafung enthält. Er denkt ſich dabei offenbar
unklar die von uns oben bezeichnete gerichtlich-polizeiliche Funktion der
Verwaltungspolizei; aber hier kann man mit allgemeinen Sätzen eben
nicht weit kommen. Begriff und Ausdruck der Präventiv-Juſtiz ſind be-
zeichnend genug, aber eben für den überwundenen Standpunkt der erſten
Hälfte unſeres Jahrhunderts.

II. Die Grundlagen der hiſtoriſchen Rechtsbildung der höheren
Sicherheitspolizei.

Alle höhere Sicherheitspolizei hat eine Vorausſetzung, die wir
bereits angedeutet haben, und die es erklärt, weßhalb ſie erſt in der
ſtaatsbürgerlichen Geſellſchaft zu einer ſelbſtändigen Rechtsbildung ge-
langen kann. So lange nämlich die Aenderung des beſtehenden öffent-
lichen Rechts grundſätzlich ausgeſchloſſen iſt, iſt auch jedes Beſtreben,
eine ſolche Reform herbeizuführen, an und für ſich ein öffentliches Ver-
brechen. Die Polizei hat hier daher nur die Funktion einer gerichtlichen
Polizei, welche jede Aeußerung eines ſolchen Beſtrebens ſofort als be-
reits geſchehenes Verbrechen einfach dem Gerichte zuweiſen muß. Erſt
da, wo die Verfaſſung ſelbſt ihre eigene Entwicklungsfähigkeit und
damit das Streben nach einer ſolchen Entwicklung als einen organiſchen
Theil des ſtaatsbürgerlichen Rechts anerkennt, ſcheidet ſich die Sicher-
heitspolizei von der gerichtlichen Polizei der Verbrechen gegen die öffent-
liche Rechtsordnung; und dieſer Proceß der Scheidung bietet dann
eben den Inhalt der Geſchichte ihrer Rechtsbildung.

Die letztere hängt daher auf das Engſte mit der ganzen öffentlichen
Rechtsentwicklung Europa’s zuſammen, oder iſt vielmehr ein eigener

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[97/0119] Ihm folgt Pölitz, (Staatswiſſenſchaft I. 502 und II. 361), die Frage bereits im Princip ganz richtig behandelnd, ohne jedoch auf die einzelnen Rechtsgebiete einzugehen, während die übrigen ſich mehr im Gebiete allgemeiner Redensarten halten. Erſt ſeit 1848 iſt das Princip voll- ſtändig anerkannt, aber der Mangel einer ſelbſtändigen Verwaltungs- lehre ſchob das ganze Gebiet in die Strafproceßlehre, wo ſie z. B. v. Sundelin in ſeiner fleißigen, aber ohne Beziehung zum Begriffe der hohen Polizei gearbeiteten Schrift: „Die Habeas Corpus-Akte und die Vorſchriften zum Schutz der Perſon in den deutſchen Strafgeſetz- gebungen 1862“ zuſammenſtellte. — Was Mohl in ſeiner ſog. „Prä- ventiv-Juſtiz“ will, iſt ihm wohl nie klar geworden. Abgeſehen von der ſchüchternen Beſprechung der Hauptpunkte (§. 2—17) iſt es doch wohl klar, daß das, was „Prävention“ iſt, eben keine „Juſtiz“ mehr ſein kann, die ihrem Begriffe nach eben eine geſchehene That und für dieſelbe eine poſitive Beſtrafung enthält. Er denkt ſich dabei offenbar unklar die von uns oben bezeichnete gerichtlich-polizeiliche Funktion der Verwaltungspolizei; aber hier kann man mit allgemeinen Sätzen eben nicht weit kommen. Begriff und Ausdruck der Präventiv-Juſtiz ſind be- zeichnend genug, aber eben für den überwundenen Standpunkt der erſten Hälfte unſeres Jahrhunderts. II. Die Grundlagen der hiſtoriſchen Rechtsbildung der höheren Sicherheitspolizei. Alle höhere Sicherheitspolizei hat eine Vorausſetzung, die wir bereits angedeutet haben, und die es erklärt, weßhalb ſie erſt in der ſtaatsbürgerlichen Geſellſchaft zu einer ſelbſtändigen Rechtsbildung ge- langen kann. So lange nämlich die Aenderung des beſtehenden öffent- lichen Rechts grundſätzlich ausgeſchloſſen iſt, iſt auch jedes Beſtreben, eine ſolche Reform herbeizuführen, an und für ſich ein öffentliches Ver- brechen. Die Polizei hat hier daher nur die Funktion einer gerichtlichen Polizei, welche jede Aeußerung eines ſolchen Beſtrebens ſofort als be- reits geſchehenes Verbrechen einfach dem Gerichte zuweiſen muß. Erſt da, wo die Verfaſſung ſelbſt ihre eigene Entwicklungsfähigkeit und damit das Streben nach einer ſolchen Entwicklung als einen organiſchen Theil des ſtaatsbürgerlichen Rechts anerkennt, ſcheidet ſich die Sicher- heitspolizei von der gerichtlichen Polizei der Verbrechen gegen die öffent- liche Rechtsordnung; und dieſer Proceß der Scheidung bietet dann eben den Inhalt der Geſchichte ihrer Rechtsbildung. Die letztere hängt daher auf das Engſte mit der ganzen öffentlichen Rechtsentwicklung Europa’s zuſammen, oder iſt vielmehr ein eigener Stein, die Verwaltungslehre. IV. 7

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 4. Stuttgart, 1867, S. 97. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre04_1867/119>, abgerufen am 19.04.2024.