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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 4. Stuttgart, 1867.

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sollen, was durch mehrere Arrets festgestellt ist. (Britz, La Const.
Belge,
Art. 55 und 56.) -- Das holländische Vereinsgesetz vom
22. April 1855 stellt die zwei leitenden Grundsätze auf, daß Versamm-
lungen unter freiem Himmel nicht ohne polizeiliche Erlaubniß stattfin-
den dürfen (Art. 18), daß die höhere Polizei sie eventuell verbieten, und
daß sie auch zu jeder Versammlung, in der das Publikum zugelassen
wird, ihre Organe schicken, eventuell diesen Zugang "unter Beihülfe der
Gemeindeverwaltung" erzwingen kann.

3) Polizei der Volksbewegungen.

Auch bei dem Begriff und Recht der Volksbewegungen muß man
damit beginnen, das Strafrecht von dem Polizeirecht, und mithin auch
das gerichtliche und das sicherheitspolizeiliche Verfahren scharf zu trennen,
um so mehr, als auch das positive Recht diese Unterscheidung bereits
gemacht und für beide Kategorien ein eigenes Rechtssystem geschaffen hat.

Das was wir im Allgemeinen eine Volksbewegung nennen -- das
ist eine ohne spezielle Aufforderung entstandene Anhäufung von Menschen
auf einem öffentlichen Platze, welche durch irgend eine gemeinsame Ab-
sicht in Bewegung gesetzt wird -- enthält zwei Hauptformen.

Die erste Form ist die, in welcher die Versammelten einen be-
stimmten, auf irgend eine Störung der öffentlichen Rechtsordnung ge-
richteten Zweck haben und dieser Zweck durch bestimmte Handlungen
erkennbar erscheint. Dieser Zweck kann entweder ein negativer, Wider-
stand gegen ein Organ der vollziehenden Gewalt, oder ein positiver,
Vergewaltigung von Personen oder Sachen aus irgend einem Grunde
sein. In beiden Fällen wird von allen Theilnehmern das Verbrechen
der öffentlichen Gewaltthätigkeit begangen. Diese allgemeine Kategorie
hat nun verschiedene Momente; es kann Anstifter, Thäter, Mitschuldige
geben; man kann je nach dem Objekte Aufruhr, Aufstand und bloßen
Tumult oder öffentliche Ruhestörung unterscheiden; die Strafen können
sehr verschieden sein; immer aber fallen alle diese Formen unter das
Strafrecht.

Demgemäß ist auch hier das Polizeirecht ein einfaches. Es ist kein
anderes als das der gerichtlichen Polizei. Nur ist das wohl klar,
daß es keine gerichtliche Polizei gegen die Volksbewegung als solche
gibt, wie gegen Verbindungen und öffentliche Versammlungen, in denen
die gerichtliche Polizei sich in der Person der Leiter gegen das Ganze
richtet, während alles, wofür diese nicht verantwortlich gemacht werden
können, wie wir gesehen haben, die Sicherheitspolizei ist. Bei der Volks-
bewegung hat dagegen die gerichtliche Polizei, selbst wo das Verbrechen

ſollen, was durch mehrere Arrêts feſtgeſtellt iſt. (Britz, La Const.
Belge,
Art. 55 und 56.) — Das holländiſche Vereinsgeſetz vom
22. April 1855 ſtellt die zwei leitenden Grundſätze auf, daß Verſamm-
lungen unter freiem Himmel nicht ohne polizeiliche Erlaubniß ſtattfin-
den dürfen (Art. 18), daß die höhere Polizei ſie eventuell verbieten, und
daß ſie auch zu jeder Verſammlung, in der das Publikum zugelaſſen
wird, ihre Organe ſchicken, eventuell dieſen Zugang „unter Beihülfe der
Gemeindeverwaltung“ erzwingen kann.

3) Polizei der Volksbewegungen.

Auch bei dem Begriff und Recht der Volksbewegungen muß man
damit beginnen, das Strafrecht von dem Polizeirecht, und mithin auch
das gerichtliche und das ſicherheitspolizeiliche Verfahren ſcharf zu trennen,
um ſo mehr, als auch das poſitive Recht dieſe Unterſcheidung bereits
gemacht und für beide Kategorien ein eigenes Rechtsſyſtem geſchaffen hat.

Das was wir im Allgemeinen eine Volksbewegung nennen — das
iſt eine ohne ſpezielle Aufforderung entſtandene Anhäufung von Menſchen
auf einem öffentlichen Platze, welche durch irgend eine gemeinſame Ab-
ſicht in Bewegung geſetzt wird — enthält zwei Hauptformen.

Die erſte Form iſt die, in welcher die Verſammelten einen be-
ſtimmten, auf irgend eine Störung der öffentlichen Rechtsordnung ge-
richteten Zweck haben und dieſer Zweck durch beſtimmte Handlungen
erkennbar erſcheint. Dieſer Zweck kann entweder ein negativer, Wider-
ſtand gegen ein Organ der vollziehenden Gewalt, oder ein poſitiver,
Vergewaltigung von Perſonen oder Sachen aus irgend einem Grunde
ſein. In beiden Fällen wird von allen Theilnehmern das Verbrechen
der öffentlichen Gewaltthätigkeit begangen. Dieſe allgemeine Kategorie
hat nun verſchiedene Momente; es kann Anſtifter, Thäter, Mitſchuldige
geben; man kann je nach dem Objekte Aufruhr, Aufſtand und bloßen
Tumult oder öffentliche Ruheſtörung unterſcheiden; die Strafen können
ſehr verſchieden ſein; immer aber fallen alle dieſe Formen unter das
Strafrecht.

Demgemäß iſt auch hier das Polizeirecht ein einfaches. Es iſt kein
anderes als das der gerichtlichen Polizei. Nur iſt das wohl klar,
daß es keine gerichtliche Polizei gegen die Volksbewegung als ſolche
gibt, wie gegen Verbindungen und öffentliche Verſammlungen, in denen
die gerichtliche Polizei ſich in der Perſon der Leiter gegen das Ganze
richtet, während alles, wofür dieſe nicht verantwortlich gemacht werden
können, wie wir geſehen haben, die Sicherheitspolizei iſt. Bei der Volks-
bewegung hat dagegen die gerichtliche Polizei, ſelbſt wo das Verbrechen

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[119/0141] ſollen, was durch mehrere Arrêts feſtgeſtellt iſt. (Britz, La Const. Belge, Art. 55 und 56.) — Das holländiſche Vereinsgeſetz vom 22. April 1855 ſtellt die zwei leitenden Grundſätze auf, daß Verſamm- lungen unter freiem Himmel nicht ohne polizeiliche Erlaubniß ſtattfin- den dürfen (Art. 18), daß die höhere Polizei ſie eventuell verbieten, und daß ſie auch zu jeder Verſammlung, in der das Publikum zugelaſſen wird, ihre Organe ſchicken, eventuell dieſen Zugang „unter Beihülfe der Gemeindeverwaltung“ erzwingen kann. 3) Polizei der Volksbewegungen. Auch bei dem Begriff und Recht der Volksbewegungen muß man damit beginnen, das Strafrecht von dem Polizeirecht, und mithin auch das gerichtliche und das ſicherheitspolizeiliche Verfahren ſcharf zu trennen, um ſo mehr, als auch das poſitive Recht dieſe Unterſcheidung bereits gemacht und für beide Kategorien ein eigenes Rechtsſyſtem geſchaffen hat. Das was wir im Allgemeinen eine Volksbewegung nennen — das iſt eine ohne ſpezielle Aufforderung entſtandene Anhäufung von Menſchen auf einem öffentlichen Platze, welche durch irgend eine gemeinſame Ab- ſicht in Bewegung geſetzt wird — enthält zwei Hauptformen. Die erſte Form iſt die, in welcher die Verſammelten einen be- ſtimmten, auf irgend eine Störung der öffentlichen Rechtsordnung ge- richteten Zweck haben und dieſer Zweck durch beſtimmte Handlungen erkennbar erſcheint. Dieſer Zweck kann entweder ein negativer, Wider- ſtand gegen ein Organ der vollziehenden Gewalt, oder ein poſitiver, Vergewaltigung von Perſonen oder Sachen aus irgend einem Grunde ſein. In beiden Fällen wird von allen Theilnehmern das Verbrechen der öffentlichen Gewaltthätigkeit begangen. Dieſe allgemeine Kategorie hat nun verſchiedene Momente; es kann Anſtifter, Thäter, Mitſchuldige geben; man kann je nach dem Objekte Aufruhr, Aufſtand und bloßen Tumult oder öffentliche Ruheſtörung unterſcheiden; die Strafen können ſehr verſchieden ſein; immer aber fallen alle dieſe Formen unter das Strafrecht. Demgemäß iſt auch hier das Polizeirecht ein einfaches. Es iſt kein anderes als das der gerichtlichen Polizei. Nur iſt das wohl klar, daß es keine gerichtliche Polizei gegen die Volksbewegung als ſolche gibt, wie gegen Verbindungen und öffentliche Verſammlungen, in denen die gerichtliche Polizei ſich in der Perſon der Leiter gegen das Ganze richtet, während alles, wofür dieſe nicht verantwortlich gemacht werden können, wie wir geſehen haben, die Sicherheitspolizei iſt. Bei der Volks- bewegung hat dagegen die gerichtliche Polizei, ſelbſt wo das Verbrechen

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 4. Stuttgart, 1867, S. 119. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre04_1867/141>, abgerufen am 29.03.2024.