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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 4. Stuttgart, 1867.

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Ich habe versucht, die Elemente der Geschichte des Vormundschafts-
wesens in der römischen und germanischen Welt hinzustellen. S. Stein,
das Vormundschaftswesen. Haimerls österr. Vierteljahrsschrift.
1865. Heft 2. S. 224 ff. -- Die Unterscheidung des österr. bürgerl.
Gesetzbuchs §. 188 und des preuß. allgem. Landrechts II. 18. §. 3.
49 u. a. O. zwischen Cura und Tutela sind die Reflexe der römischen
Theorie und an sich ohne praktischen Werth; es gibt in Wahrheit nur
Eine Vormundschaft, wie es nur Eine Obervormundschaft gibt.

2) Das Rechtsprincip der Vormundschaft.

Das allgemeinste Rechtsprincip der Vormundschaft ist auch hier das
Rechtsprincip aller Verwaltung. Die Verwaltung hat dem Mangel der
Selbstbestimmung nur in so weit durch ihr Eingreifen abzuhelfen,
als die Erfüllung dieses Mangels eine Bedingung des Gesammt-
verkehrs ist, und der Einzelne sich selbst nicht helfen kann. Wo beides
der Fall ist, muß die Verwaltung eintreten; wo und in wie weit beides
wegfällt, da muß die Thätigkeit der Verwaltung aufhören.

In aller Thätigkeit der Vormundschaft ist daher ein Zusammen-
wirken
der Elemente der individuellen und der allgemeinen Persönlich-
keit vorhanden; und das öffentliche Recht der Vormundschaft bestimmt
demnach Gränze und Inhalt dessen, was die Verwaltung ihrerseits in
der Vormundschaft gegenüber dem Einzelnen zu leisten hat.

Dieß nun erscheint zuerst als die Oberaufsicht über jede vor-
mundschaftliche Thätigkeit, die auf dem Princip beruht, daß der Mündel
nicht im Stande ist, sich selbst vollständig zu vertreten und die wir
mit einem Worte als das Princip der Obervormundschaft bezeichnen.
Dann aber erscheint derselbe in den einzelnen positiven Thätigkeiten
der Verwaltung, die wir die Vormundschafts-Verwaltung nennen.
Die erstere gilt für alle Arten der Vormundschaft gleichmäßig, die letztere
ist nach denselben sehr verschieden. Die Oberaufsicht der Obervormund-
schaft nun geht demgemäß eben dahin, zu sorgen, daß in jeder Art der
Vormundschaft gerade das, durch die spezielle Natur dieser Art Vor-
geschriebene auch wirklich geschehe. Das Organ der Ausübung dieser
Oberaufsicht oder die obervormundschaftliche Behörde ist dabei fast aus-
schließlich das Gericht. Seine Grundsätze empfängt das Gericht durch
das bestehende Recht. Das bestehende Recht aber hängt gerade bei der
Vormundschaft wesentlich von der bestehenden Gesellschaftsordnung ab.
Jede Gesellschaftsordnung hat daher ihre Vormundschaft und ihr Vor-
mundschaftsrecht, und auch das gegenwärtige Recht kann nur als natür-
liches Entwicklungsstadium dieser Geschichte erkannt werden. Wir werden

Ich habe verſucht, die Elemente der Geſchichte des Vormundſchafts-
weſens in der römiſchen und germaniſchen Welt hinzuſtellen. S. Stein,
das Vormundſchaftsweſen. Haimerls öſterr. Vierteljahrsſchrift.
1865. Heft 2. S. 224 ff. — Die Unterſcheidung des öſterr. bürgerl.
Geſetzbuchs §. 188 und des preuß. allgem. Landrechts II. 18. §. 3.
49 u. a. O. zwiſchen Cura und Tutela ſind die Reflexe der römiſchen
Theorie und an ſich ohne praktiſchen Werth; es gibt in Wahrheit nur
Eine Vormundſchaft, wie es nur Eine Obervormundſchaft gibt.

2) Das Rechtsprincip der Vormundſchaft.

Das allgemeinſte Rechtsprincip der Vormundſchaft iſt auch hier das
Rechtsprincip aller Verwaltung. Die Verwaltung hat dem Mangel der
Selbſtbeſtimmung nur in ſo weit durch ihr Eingreifen abzuhelfen,
als die Erfüllung dieſes Mangels eine Bedingung des Geſammt-
verkehrs iſt, und der Einzelne ſich ſelbſt nicht helfen kann. Wo beides
der Fall iſt, muß die Verwaltung eintreten; wo und in wie weit beides
wegfällt, da muß die Thätigkeit der Verwaltung aufhören.

In aller Thätigkeit der Vormundſchaft iſt daher ein Zuſammen-
wirken
der Elemente der individuellen und der allgemeinen Perſönlich-
keit vorhanden; und das öffentliche Recht der Vormundſchaft beſtimmt
demnach Gränze und Inhalt deſſen, was die Verwaltung ihrerſeits in
der Vormundſchaft gegenüber dem Einzelnen zu leiſten hat.

Dieß nun erſcheint zuerſt als die Oberaufſicht über jede vor-
mundſchaftliche Thätigkeit, die auf dem Princip beruht, daß der Mündel
nicht im Stande iſt, ſich ſelbſt vollſtändig zu vertreten und die wir
mit einem Worte als das Princip der Obervormundſchaft bezeichnen.
Dann aber erſcheint derſelbe in den einzelnen poſitiven Thätigkeiten
der Verwaltung, die wir die Vormundſchafts-Verwaltung nennen.
Die erſtere gilt für alle Arten der Vormundſchaft gleichmäßig, die letztere
iſt nach denſelben ſehr verſchieden. Die Oberaufſicht der Obervormund-
ſchaft nun geht demgemäß eben dahin, zu ſorgen, daß in jeder Art der
Vormundſchaft gerade das, durch die ſpezielle Natur dieſer Art Vor-
geſchriebene auch wirklich geſchehe. Das Organ der Ausübung dieſer
Oberaufſicht oder die obervormundſchaftliche Behörde iſt dabei faſt aus-
ſchließlich das Gericht. Seine Grundſätze empfängt das Gericht durch
das beſtehende Recht. Das beſtehende Recht aber hängt gerade bei der
Vormundſchaft weſentlich von der beſtehenden Geſellſchaftsordnung ab.
Jede Geſellſchaftsordnung hat daher ihre Vormundſchaft und ihr Vor-
mundſchaftsrecht, und auch das gegenwärtige Recht kann nur als natür-
liches Entwicklungsſtadium dieſer Geſchichte erkannt werden. Wir werden

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[183/0205] Ich habe verſucht, die Elemente der Geſchichte des Vormundſchafts- weſens in der römiſchen und germaniſchen Welt hinzuſtellen. S. Stein, das Vormundſchaftsweſen. Haimerls öſterr. Vierteljahrsſchrift. 1865. Heft 2. S. 224 ff. — Die Unterſcheidung des öſterr. bürgerl. Geſetzbuchs §. 188 und des preuß. allgem. Landrechts II. 18. §. 3. 49 u. a. O. zwiſchen Cura und Tutela ſind die Reflexe der römiſchen Theorie und an ſich ohne praktiſchen Werth; es gibt in Wahrheit nur Eine Vormundſchaft, wie es nur Eine Obervormundſchaft gibt. 2) Das Rechtsprincip der Vormundſchaft. Das allgemeinſte Rechtsprincip der Vormundſchaft iſt auch hier das Rechtsprincip aller Verwaltung. Die Verwaltung hat dem Mangel der Selbſtbeſtimmung nur in ſo weit durch ihr Eingreifen abzuhelfen, als die Erfüllung dieſes Mangels eine Bedingung des Geſammt- verkehrs iſt, und der Einzelne ſich ſelbſt nicht helfen kann. Wo beides der Fall iſt, muß die Verwaltung eintreten; wo und in wie weit beides wegfällt, da muß die Thätigkeit der Verwaltung aufhören. In aller Thätigkeit der Vormundſchaft iſt daher ein Zuſammen- wirken der Elemente der individuellen und der allgemeinen Perſönlich- keit vorhanden; und das öffentliche Recht der Vormundſchaft beſtimmt demnach Gränze und Inhalt deſſen, was die Verwaltung ihrerſeits in der Vormundſchaft gegenüber dem Einzelnen zu leiſten hat. Dieß nun erſcheint zuerſt als die Oberaufſicht über jede vor- mundſchaftliche Thätigkeit, die auf dem Princip beruht, daß der Mündel nicht im Stande iſt, ſich ſelbſt vollſtändig zu vertreten und die wir mit einem Worte als das Princip der Obervormundſchaft bezeichnen. Dann aber erſcheint derſelbe in den einzelnen poſitiven Thätigkeiten der Verwaltung, die wir die Vormundſchafts-Verwaltung nennen. Die erſtere gilt für alle Arten der Vormundſchaft gleichmäßig, die letztere iſt nach denſelben ſehr verſchieden. Die Oberaufſicht der Obervormund- ſchaft nun geht demgemäß eben dahin, zu ſorgen, daß in jeder Art der Vormundſchaft gerade das, durch die ſpezielle Natur dieſer Art Vor- geſchriebene auch wirklich geſchehe. Das Organ der Ausübung dieſer Oberaufſicht oder die obervormundſchaftliche Behörde iſt dabei faſt aus- ſchließlich das Gericht. Seine Grundſätze empfängt das Gericht durch das beſtehende Recht. Das beſtehende Recht aber hängt gerade bei der Vormundſchaft weſentlich von der beſtehenden Geſellſchaftsordnung ab. Jede Geſellſchaftsordnung hat daher ihre Vormundſchaft und ihr Vor- mundſchaftsrecht, und auch das gegenwärtige Recht kann nur als natür- liches Entwicklungsſtadium dieſer Geſchichte erkannt werden. Wir werden

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 4. Stuttgart, 1867, S. 183. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre04_1867/205>, abgerufen am 19.04.2024.