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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 4. Stuttgart, 1867.

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Bei dem Entwurfe des Ganzen und selbst noch bei der Aus-
arbeitung des speziellen, die Polizei betreffenden Theiles dachte ich
mir, daß das Polizeirecht an sich, oder das Allgemeine Polizeirecht,
als der allgemeine Theil der Aufgabe und des Rechts der Sicher-
heitspolizei, oder als die Einleitung in die letztere zu stellen und
zu bearbeiten wäre. Nun die vollständige Ausarbeitung mir vor-
liegt, muß ich annehmen, daß dieß falsch war. Ich kann diesen
systematischen Fehler nur gut machen, indem ich ihn hier offen
gestehe, und das richtige Verhältniß angebe. Es wird derselbe
dem Inhalt im Einzelnen keinen Abtrag thun; ich gebe mich aber
der Hoffnung hin, daß er zur Lösung der Einen und vielleicht
wichtigsten Aufgabe dieses Werkes nicht unwesentlich beitragen wird.
Denn es scheint mir noch immer unendlich viel gewonnen, wenn
neben der Selbständigkeit der Verwaltungslehre auch das organische
System als ein feststehendes erkannt wird.

Das Allgemeine Polizeirecht, das hier als Erster Theil des
Polizeirechts auftritt und der Sicherheitspolizei voraufgeht, gehört
nämlich überhaupt nicht in die innere Verwaltungslehre, sondern
es ist ein organischer Theil der vollziehenden Gewalt und ihres
Rechts, und hätte in derselben die Stelle einnehmen sollen, welche
dort (S. 196 ff.) unter dem schon an sich nicht klaren und deßhalb
nicht richtigen Titel "Das Polizeirecht oder das Zwangsrecht" die
dritte Abtheilung des ersten Theiles bildet. Es ist mir vielleicht
gestattet, dieß zu begründen, und dabei den Fehler und seine, bei
jedem solchen wissenschaftlichen Irrthum eintretende Folge, die
Sünde der Wiederholung, zu gestehen. Denn das sicherste Crite-
rium eines Fehlers in einem System oder auch die Unsicherheit
in demselben ist es stets, wenn man gezwungen wird, auf den-
selben Gegenstand mehr als einmal einzugehen. Das richtige Ver-
hältniß aber ist folgendes.

Die gesetzgebende Gewalt ist der Wille des Staats; die Voll-
ziehung ist seine That (Handlung). Diese Vollziehung hat wieder
ihren selbständigen Willen (Verordnung, Verfügung etc.); sie hat
ihren Organismus und sie hat ihr Recht. Dieß Recht ist das

Bei dem Entwurfe des Ganzen und ſelbſt noch bei der Aus-
arbeitung des ſpeziellen, die Polizei betreffenden Theiles dachte ich
mir, daß das Polizeirecht an ſich, oder das Allgemeine Polizeirecht,
als der allgemeine Theil der Aufgabe und des Rechts der Sicher-
heitspolizei, oder als die Einleitung in die letztere zu ſtellen und
zu bearbeiten wäre. Nun die vollſtändige Ausarbeitung mir vor-
liegt, muß ich annehmen, daß dieß falſch war. Ich kann dieſen
ſyſtematiſchen Fehler nur gut machen, indem ich ihn hier offen
geſtehe, und das richtige Verhältniß angebe. Es wird derſelbe
dem Inhalt im Einzelnen keinen Abtrag thun; ich gebe mich aber
der Hoffnung hin, daß er zur Löſung der Einen und vielleicht
wichtigſten Aufgabe dieſes Werkes nicht unweſentlich beitragen wird.
Denn es ſcheint mir noch immer unendlich viel gewonnen, wenn
neben der Selbſtändigkeit der Verwaltungslehre auch das organiſche
Syſtem als ein feſtſtehendes erkannt wird.

Das Allgemeine Polizeirecht, das hier als Erſter Theil des
Polizeirechts auftritt und der Sicherheitspolizei voraufgeht, gehört
nämlich überhaupt nicht in die innere Verwaltungslehre, ſondern
es iſt ein organiſcher Theil der vollziehenden Gewalt und ihres
Rechts, und hätte in derſelben die Stelle einnehmen ſollen, welche
dort (S. 196 ff.) unter dem ſchon an ſich nicht klaren und deßhalb
nicht richtigen Titel „Das Polizeirecht oder das Zwangsrecht“ die
dritte Abtheilung des erſten Theiles bildet. Es iſt mir vielleicht
geſtattet, dieß zu begründen, und dabei den Fehler und ſeine, bei
jedem ſolchen wiſſenſchaftlichen Irrthum eintretende Folge, die
Sünde der Wiederholung, zu geſtehen. Denn das ſicherſte Crite-
rium eines Fehlers in einem Syſtem oder auch die Unſicherheit
in demſelben iſt es ſtets, wenn man gezwungen wird, auf den-
ſelben Gegenſtand mehr als einmal einzugehen. Das richtige Ver-
hältniß aber iſt folgendes.

Die geſetzgebende Gewalt iſt der Wille des Staats; die Voll-
ziehung iſt ſeine That (Handlung). Dieſe Vollziehung hat wieder
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[VI/0012] Bei dem Entwurfe des Ganzen und ſelbſt noch bei der Aus- arbeitung des ſpeziellen, die Polizei betreffenden Theiles dachte ich mir, daß das Polizeirecht an ſich, oder das Allgemeine Polizeirecht, als der allgemeine Theil der Aufgabe und des Rechts der Sicher- heitspolizei, oder als die Einleitung in die letztere zu ſtellen und zu bearbeiten wäre. Nun die vollſtändige Ausarbeitung mir vor- liegt, muß ich annehmen, daß dieß falſch war. Ich kann dieſen ſyſtematiſchen Fehler nur gut machen, indem ich ihn hier offen geſtehe, und das richtige Verhältniß angebe. Es wird derſelbe dem Inhalt im Einzelnen keinen Abtrag thun; ich gebe mich aber der Hoffnung hin, daß er zur Löſung der Einen und vielleicht wichtigſten Aufgabe dieſes Werkes nicht unweſentlich beitragen wird. Denn es ſcheint mir noch immer unendlich viel gewonnen, wenn neben der Selbſtändigkeit der Verwaltungslehre auch das organiſche Syſtem als ein feſtſtehendes erkannt wird. Das Allgemeine Polizeirecht, das hier als Erſter Theil des Polizeirechts auftritt und der Sicherheitspolizei voraufgeht, gehört nämlich überhaupt nicht in die innere Verwaltungslehre, ſondern es iſt ein organiſcher Theil der vollziehenden Gewalt und ihres Rechts, und hätte in derſelben die Stelle einnehmen ſollen, welche dort (S. 196 ff.) unter dem ſchon an ſich nicht klaren und deßhalb nicht richtigen Titel „Das Polizeirecht oder das Zwangsrecht“ die dritte Abtheilung des erſten Theiles bildet. Es iſt mir vielleicht geſtattet, dieß zu begründen, und dabei den Fehler und ſeine, bei jedem ſolchen wiſſenſchaftlichen Irrthum eintretende Folge, die Sünde der Wiederholung, zu geſtehen. Denn das ſicherſte Crite- rium eines Fehlers in einem Syſtem oder auch die Unſicherheit in demſelben iſt es ſtets, wenn man gezwungen wird, auf den- ſelben Gegenſtand mehr als einmal einzugehen. Das richtige Ver- hältniß aber iſt folgendes. Die geſetzgebende Gewalt iſt der Wille des Staats; die Voll- ziehung iſt ſeine That (Handlung). Dieſe Vollziehung hat wieder ihren ſelbſtändigen Willen (Verordnung, Verfügung ꝛc.); ſie hat ihren Organismus und ſie hat ihr Recht. Dieß Recht iſt das

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 4. Stuttgart, 1867, S. VI. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre04_1867/12>, abgerufen am 19.04.2024.