Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 4. Stuttgart, 1867.

Bild:
<< vorherige Seite

in Belgien und Holland erlaubt, bleiben in Deutschland einfach ver-
boten
, über das Einschreiten bei Tumult existiren statt der Gesetze
fast nur Verordnungen, die von den "Ständen" gar nicht berathen.
sondern als Domaine der Regierungsgewalt betrachtet werden; ein Be-
schwerderecht wird zwar im Princip anerkannt, aber ein öffentlich recht-
liches Verfahren in demselben gibt es überhaupt nicht, und die staats-
rechtliche Literatur, erschöpft in reinen Verfassungsfragen, gelangt auch
ihrerseits bei völliger Unklarheit über das Wesen der höheren Sicher-
heitspolizei nicht zu einer Untersuchung über das Recht derselben. Deutsch-
land ist daher bis 1848 nicht bloß in der Einzelpolizei, sondern auch
in der höheren Sicherheitspolizei weit hinter England, Belgien, Holland
und selbst Frankreich zurück.

Allerdings beginnt nun mit 1848 eine neue Zeit. Allein man
hat sie auch in dieser Beziehung mannigfach überschätzt. Die Verfas-
sungen haben sich auch seit der deutschen Reichsverfassung zwar viel mit
dem Recht der Einzelpolizei, aber wenig mit dem der höheren Polizei
beschäftigt. Ein Princip ist auch in der neuen Literatur nicht ent-
standen. Der Charakter dessen, was hier geschehen ist, besteht vielmehr
wieder nach französischem Muster darin, daß man ein gesetzliches System
des Polizeistrafrechts anerkannt, und zweitens, daß man für die ein-
zelnen
Akte der höheren Sicherheitspolizei einzelne Gesetze, und auch
diese nicht allenthalben, erlassen hat. Es ist aber dennoch kaum zwei-
felhaft, daß hier die Gesetzgebung weiter ist, als die Wissenschaft.
Deutschland will einmal vorher systematisch wissen, was es gesetzlich
zur Gültigkeit bringen soll. In keinem Lande ist die Literatur für die
Rechtsbildung so bedeutend als hier. Gut oder übel, wir gehen von
dieser Thatsache aus. So wenig wir auch hier hoffen dürfen, bei dem
geringen Maß von Kenntniß des geltenden Rechts, das uns bis jetzt
zu Gebote steht, hier irgend einen Punkt endgültig zu erledigen, so hat
doch das Folgende vielleicht den Werth, in einer, wie wir glauben,
entscheidenden Epoche für diesen Theil des öffentlichen Rechts den Anlaß
zur Bildung einer systematischen Auffassung des Ganzen darzubieten.

III. Das System und Princip des Rechts der höheren Sicherheitspolizei.

Es geht aus der obigen Darstellung hervor, daß das geltende Recht
jener großen Aufgabe, welche wir als die höhere Sicherheitspolizei bezeich-
net haben, sich nicht so sehr in einer systematischen Einheit, als vielmehr in
ihren einzelnen Funktionen und stückweise gebildet hat. Es hat daher
einen Werth, eben jene Einheit hier als Grundlage dieser Theile und
ihres Rechts voranzustellen.

in Belgien und Holland erlaubt, bleiben in Deutſchland einfach ver-
boten
, über das Einſchreiten bei Tumult exiſtiren ſtatt der Geſetze
faſt nur Verordnungen, die von den „Ständen“ gar nicht berathen.
ſondern als Domaine der Regierungsgewalt betrachtet werden; ein Be-
ſchwerderecht wird zwar im Princip anerkannt, aber ein öffentlich recht-
liches Verfahren in demſelben gibt es überhaupt nicht, und die ſtaats-
rechtliche Literatur, erſchöpft in reinen Verfaſſungsfragen, gelangt auch
ihrerſeits bei völliger Unklarheit über das Weſen der höheren Sicher-
heitspolizei nicht zu einer Unterſuchung über das Recht derſelben. Deutſch-
land iſt daher bis 1848 nicht bloß in der Einzelpolizei, ſondern auch
in der höheren Sicherheitspolizei weit hinter England, Belgien, Holland
und ſelbſt Frankreich zurück.

Allerdings beginnt nun mit 1848 eine neue Zeit. Allein man
hat ſie auch in dieſer Beziehung mannigfach überſchätzt. Die Verfaſ-
ſungen haben ſich auch ſeit der deutſchen Reichsverfaſſung zwar viel mit
dem Recht der Einzelpolizei, aber wenig mit dem der höheren Polizei
beſchäftigt. Ein Princip iſt auch in der neuen Literatur nicht ent-
ſtanden. Der Charakter deſſen, was hier geſchehen iſt, beſteht vielmehr
wieder nach franzöſiſchem Muſter darin, daß man ein geſetzliches Syſtem
des Polizeiſtrafrechts anerkannt, und zweitens, daß man für die ein-
zelnen
Akte der höheren Sicherheitspolizei einzelne Geſetze, und auch
dieſe nicht allenthalben, erlaſſen hat. Es iſt aber dennoch kaum zwei-
felhaft, daß hier die Geſetzgebung weiter iſt, als die Wiſſenſchaft.
Deutſchland will einmal vorher ſyſtematiſch wiſſen, was es geſetzlich
zur Gültigkeit bringen ſoll. In keinem Lande iſt die Literatur für die
Rechtsbildung ſo bedeutend als hier. Gut oder übel, wir gehen von
dieſer Thatſache aus. So wenig wir auch hier hoffen dürfen, bei dem
geringen Maß von Kenntniß des geltenden Rechts, das uns bis jetzt
zu Gebote ſteht, hier irgend einen Punkt endgültig zu erledigen, ſo hat
doch das Folgende vielleicht den Werth, in einer, wie wir glauben,
entſcheidenden Epoche für dieſen Theil des öffentlichen Rechts den Anlaß
zur Bildung einer ſyſtematiſchen Auffaſſung des Ganzen darzubieten.

III. Das Syſtem und Princip des Rechts der höheren Sicherheitspolizei.

Es geht aus der obigen Darſtellung hervor, daß das geltende Recht
jener großen Aufgabe, welche wir als die höhere Sicherheitspolizei bezeich-
net haben, ſich nicht ſo ſehr in einer ſyſtematiſchen Einheit, als vielmehr in
ihren einzelnen Funktionen und ſtückweiſe gebildet hat. Es hat daher
einen Werth, eben jene Einheit hier als Grundlage dieſer Theile und
ihres Rechts voranzuſtellen.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0125" n="103"/>
in Belgien und Holland erlaubt, bleiben in Deut&#x017F;chland einfach <hi rendition="#g">ver-<lb/>
boten</hi>, über das Ein&#x017F;chreiten bei Tumult exi&#x017F;tiren &#x017F;tatt der Ge&#x017F;etze<lb/>
fa&#x017F;t nur Verordnungen, die von den &#x201E;Ständen&#x201C; gar nicht berathen.<lb/>
&#x017F;ondern als Domaine der Regierungsgewalt betrachtet werden; ein Be-<lb/>
&#x017F;chwerderecht wird zwar im Princip anerkannt, aber ein öffentlich recht-<lb/>
liches Verfahren in dem&#x017F;elben gibt es überhaupt nicht, und die &#x017F;taats-<lb/>
rechtliche Literatur, er&#x017F;chöpft in reinen Verfa&#x017F;&#x017F;ungsfragen, gelangt auch<lb/>
ihrer&#x017F;eits bei völliger Unklarheit über das We&#x017F;en der höheren Sicher-<lb/>
heitspolizei nicht zu einer Unter&#x017F;uchung über das Recht der&#x017F;elben. Deut&#x017F;ch-<lb/>
land i&#x017F;t daher bis 1848 nicht bloß in der Einzelpolizei, &#x017F;ondern auch<lb/>
in der höheren Sicherheitspolizei weit hinter England, Belgien, Holland<lb/>
und &#x017F;elb&#x017F;t Frankreich zurück.</p><lb/>
              <p>Allerdings beginnt nun mit 1848 eine neue Zeit. Allein man<lb/>
hat &#x017F;ie auch in die&#x017F;er Beziehung mannigfach über&#x017F;chätzt. Die Verfa&#x017F;-<lb/>
&#x017F;ungen haben &#x017F;ich auch &#x017F;eit der deut&#x017F;chen Reichsverfa&#x017F;&#x017F;ung zwar viel mit<lb/>
dem Recht der Einzelpolizei, aber wenig mit dem der höheren Polizei<lb/>
be&#x017F;chäftigt. Ein Princip i&#x017F;t auch in der neuen Literatur nicht ent-<lb/>
&#x017F;tanden. Der Charakter de&#x017F;&#x017F;en, was hier ge&#x017F;chehen i&#x017F;t, be&#x017F;teht vielmehr<lb/>
wieder nach franzö&#x017F;i&#x017F;chem Mu&#x017F;ter darin, daß man ein ge&#x017F;etzliches Sy&#x017F;tem<lb/>
des Polizei&#x017F;trafrechts anerkannt, und zweitens, daß man für die <hi rendition="#g">ein-<lb/>
zelnen</hi> Akte der höheren Sicherheitspolizei einzelne Ge&#x017F;etze, und auch<lb/>
die&#x017F;e nicht allenthalben, erla&#x017F;&#x017F;en hat. Es i&#x017F;t aber dennoch kaum zwei-<lb/>
felhaft, daß hier die Ge&#x017F;etzgebung weiter i&#x017F;t, als die Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft.<lb/>
Deut&#x017F;chland will einmal vorher &#x017F;y&#x017F;temati&#x017F;ch wi&#x017F;&#x017F;en, was es ge&#x017F;etzlich<lb/>
zur Gültigkeit bringen &#x017F;oll. In keinem Lande i&#x017F;t die Literatur für die<lb/>
Rechtsbildung &#x017F;o bedeutend als hier. Gut oder übel, wir gehen von<lb/>
die&#x017F;er That&#x017F;ache aus. So wenig wir auch hier hoffen dürfen, bei dem<lb/>
geringen Maß von Kenntniß des geltenden Rechts, das uns bis jetzt<lb/>
zu Gebote &#x017F;teht, hier irgend einen Punkt endgültig zu erledigen, &#x017F;o hat<lb/>
doch das Folgende vielleicht den Werth, in einer, wie wir glauben,<lb/>
ent&#x017F;cheidenden Epoche für die&#x017F;en Theil des öffentlichen Rechts den Anlaß<lb/>
zur Bildung einer &#x017F;y&#x017F;temati&#x017F;chen Auffa&#x017F;&#x017F;ung des Ganzen darzubieten.</p>
            </div><lb/>
            <div n="4">
              <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">III.</hi> Das Sy&#x017F;tem und Princip des Rechts der höheren Sicherheitspolizei.</hi> </head><lb/>
              <p>Es geht aus der obigen Dar&#x017F;tellung hervor, daß das geltende Recht<lb/>
jener großen Aufgabe, welche wir als die höhere Sicherheitspolizei bezeich-<lb/>
net haben, &#x017F;ich nicht &#x017F;o &#x017F;ehr in einer &#x017F;y&#x017F;temati&#x017F;chen Einheit, als vielmehr in<lb/>
ihren einzelnen Funktionen und &#x017F;tückwei&#x017F;e gebildet hat. Es hat daher<lb/>
einen Werth, eben jene Einheit hier als Grundlage die&#x017F;er Theile und<lb/>
ihres Rechts voranzu&#x017F;tellen.</p><lb/>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[103/0125] in Belgien und Holland erlaubt, bleiben in Deutſchland einfach ver- boten, über das Einſchreiten bei Tumult exiſtiren ſtatt der Geſetze faſt nur Verordnungen, die von den „Ständen“ gar nicht berathen. ſondern als Domaine der Regierungsgewalt betrachtet werden; ein Be- ſchwerderecht wird zwar im Princip anerkannt, aber ein öffentlich recht- liches Verfahren in demſelben gibt es überhaupt nicht, und die ſtaats- rechtliche Literatur, erſchöpft in reinen Verfaſſungsfragen, gelangt auch ihrerſeits bei völliger Unklarheit über das Weſen der höheren Sicher- heitspolizei nicht zu einer Unterſuchung über das Recht derſelben. Deutſch- land iſt daher bis 1848 nicht bloß in der Einzelpolizei, ſondern auch in der höheren Sicherheitspolizei weit hinter England, Belgien, Holland und ſelbſt Frankreich zurück. Allerdings beginnt nun mit 1848 eine neue Zeit. Allein man hat ſie auch in dieſer Beziehung mannigfach überſchätzt. Die Verfaſ- ſungen haben ſich auch ſeit der deutſchen Reichsverfaſſung zwar viel mit dem Recht der Einzelpolizei, aber wenig mit dem der höheren Polizei beſchäftigt. Ein Princip iſt auch in der neuen Literatur nicht ent- ſtanden. Der Charakter deſſen, was hier geſchehen iſt, beſteht vielmehr wieder nach franzöſiſchem Muſter darin, daß man ein geſetzliches Syſtem des Polizeiſtrafrechts anerkannt, und zweitens, daß man für die ein- zelnen Akte der höheren Sicherheitspolizei einzelne Geſetze, und auch dieſe nicht allenthalben, erlaſſen hat. Es iſt aber dennoch kaum zwei- felhaft, daß hier die Geſetzgebung weiter iſt, als die Wiſſenſchaft. Deutſchland will einmal vorher ſyſtematiſch wiſſen, was es geſetzlich zur Gültigkeit bringen ſoll. In keinem Lande iſt die Literatur für die Rechtsbildung ſo bedeutend als hier. Gut oder übel, wir gehen von dieſer Thatſache aus. So wenig wir auch hier hoffen dürfen, bei dem geringen Maß von Kenntniß des geltenden Rechts, das uns bis jetzt zu Gebote ſteht, hier irgend einen Punkt endgültig zu erledigen, ſo hat doch das Folgende vielleicht den Werth, in einer, wie wir glauben, entſcheidenden Epoche für dieſen Theil des öffentlichen Rechts den Anlaß zur Bildung einer ſyſtematiſchen Auffaſſung des Ganzen darzubieten. III. Das Syſtem und Princip des Rechts der höheren Sicherheitspolizei. Es geht aus der obigen Darſtellung hervor, daß das geltende Recht jener großen Aufgabe, welche wir als die höhere Sicherheitspolizei bezeich- net haben, ſich nicht ſo ſehr in einer ſyſtematiſchen Einheit, als vielmehr in ihren einzelnen Funktionen und ſtückweiſe gebildet hat. Es hat daher einen Werth, eben jene Einheit hier als Grundlage dieſer Theile und ihres Rechts voranzuſtellen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre04_1867
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre04_1867/125
Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 4. Stuttgart, 1867, S. 103. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre04_1867/125>, abgerufen am 18.04.2024.