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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 4. Stuttgart, 1867.

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darauf, wie wir schon bemerkt, jede polizeiliche Verhaftung zu einer
gerichtlichen zu machen, oder sie aufzuheben
. Das wird zu-
erst in England zu einem der großen Grundsätze des öffentlichen Rechts
und bildet eigentlich den Kern der Habeas-Corpus-Akte. Von dem eng-
lischen Recht geht nun die Rechtsbildung über auf den Continent, behält
aber stets jenen Charakter des englischen Rechts; und wie diesem, so fehlt
denn auch dem letztern ein klares und durchgeführtes Bewußtsein davon,
daß mit der ganzen Habeas-Corpus-Akte und allen Bestimmungen über
die gerichtliche Verhaftung das Recht der polizeilichen gar nicht berührt,
sondern im Grunde nur der Rechtssatz ausgesprochen ist, daß die poli-
zeiliche Verhaftung als solche nicht länger als eine möglichst kurze Frist
dauern, und dann durch Vorführung vor den Richter in eine gericht-
liche übergehen muß. Damit war nun freilich ein Recht der polizei-
lichen Verhaftung überhaupt nicht gegeben, sondern nur ein Termin,
innerhalb dem sie verstattet war, ohne daß andere Rechtssätze für sie
Platz gegriffen hätten. Denn die Habeas-Corpus-Akte war in der That
überhaupt nicht so sehr ein Recht der Verhaftung, als ein Recht auf
ein richterliches Urtheil vor dem zuständigen Gericht. Trotz der
Habeas-Corpus-Akte haben daher die Engländer eben so gut nur eine
polizeiliche Verhaftung als der Continent, und im Grunde ist der Einzelne
gegen dieselbe noch weit weniger geschützt als hier. Erst als die viel
höher stehende Jurisprudenz des Continents sich der Sache bemächtigte,
ward allmählig -- keineswegs sogleich -- die polizeiliche Verhaftung
von der gerichtlichen geschieden, und damit ein eigenes Recht für die
erstere vorbereitet. Die Schwierigkeit, es von dem letzteren zu scheiden,
ist in der That nur durch den Mangel eines eigenen Polizeirechts ge-
geben. Die Grundsätze desselben sind sehr einfach.

Das Recht dieser polizeilichen Verhaftung hat zwei Theile: Das
Recht der Verhaftung selbst, und das Recht des Verfahrens nach
der Verhaftung
.

I. Die Polizei hat das Recht zur Verhaftung in zwei Haupt-
kategorien. Es kann sich nämlich diese rein polizeiliche Verhaftung ent-
weder auf ein geschehenes Verbrechen und Vergehen, oder auf eine Ge-
fahr für die öffentliche Sicherheit beziehen.

In Beziehung auf ein geschehenes Verbrechen sind die Fälle des Rechts
der polizeilichen Verhaftung: 1) Die Ergreifung auf handhafter That,
die keiner Erklärung oder Begründung bedarf; daß die Verfolgung nach
der That dazu gehört, wenn jemand augenscheinlich als Thäter er-
scheint, versteht sich von selbst. 2) Bei dringendem Verdacht gegen
einen Verbrecher hat die Polizei gleichfalls das Recht der Verhaftung,
sowie in dem Fall, wo sie nur durch Verhaftung die Beseitigung der

darauf, wie wir ſchon bemerkt, jede polizeiliche Verhaftung zu einer
gerichtlichen zu machen, oder ſie aufzuheben
. Das wird zu-
erſt in England zu einem der großen Grundſätze des öffentlichen Rechts
und bildet eigentlich den Kern der Habeas-Corpus-Akte. Von dem eng-
liſchen Recht geht nun die Rechtsbildung über auf den Continent, behält
aber ſtets jenen Charakter des engliſchen Rechts; und wie dieſem, ſo fehlt
denn auch dem letztern ein klares und durchgeführtes Bewußtſein davon,
daß mit der ganzen Habeas-Corpus-Akte und allen Beſtimmungen über
die gerichtliche Verhaftung das Recht der polizeilichen gar nicht berührt,
ſondern im Grunde nur der Rechtsſatz ausgeſprochen iſt, daß die poli-
zeiliche Verhaftung als ſolche nicht länger als eine möglichſt kurze Friſt
dauern, und dann durch Vorführung vor den Richter in eine gericht-
liche übergehen muß. Damit war nun freilich ein Recht der polizei-
lichen Verhaftung überhaupt nicht gegeben, ſondern nur ein Termin,
innerhalb dem ſie verſtattet war, ohne daß andere Rechtsſätze für ſie
Platz gegriffen hätten. Denn die Habeas-Corpus-Akte war in der That
überhaupt nicht ſo ſehr ein Recht der Verhaftung, als ein Recht auf
ein richterliches Urtheil vor dem zuſtändigen Gericht. Trotz der
Habeas-Corpus-Akte haben daher die Engländer eben ſo gut nur eine
polizeiliche Verhaftung als der Continent, und im Grunde iſt der Einzelne
gegen dieſelbe noch weit weniger geſchützt als hier. Erſt als die viel
höher ſtehende Jurisprudenz des Continents ſich der Sache bemächtigte,
ward allmählig — keineswegs ſogleich — die polizeiliche Verhaftung
von der gerichtlichen geſchieden, und damit ein eigenes Recht für die
erſtere vorbereitet. Die Schwierigkeit, es von dem letzteren zu ſcheiden,
iſt in der That nur durch den Mangel eines eigenen Polizeirechts ge-
geben. Die Grundſätze deſſelben ſind ſehr einfach.

Das Recht dieſer polizeilichen Verhaftung hat zwei Theile: Das
Recht der Verhaftung ſelbſt, und das Recht des Verfahrens nach
der Verhaftung
.

I. Die Polizei hat das Recht zur Verhaftung in zwei Haupt-
kategorien. Es kann ſich nämlich dieſe rein polizeiliche Verhaftung ent-
weder auf ein geſchehenes Verbrechen und Vergehen, oder auf eine Ge-
fahr für die öffentliche Sicherheit beziehen.

In Beziehung auf ein geſchehenes Verbrechen ſind die Fälle des Rechts
der polizeilichen Verhaftung: 1) Die Ergreifung auf handhafter That,
die keiner Erklärung oder Begründung bedarf; daß die Verfolgung nach
der That dazu gehört, wenn jemand augenſcheinlich als Thäter er-
ſcheint, verſteht ſich von ſelbſt. 2) Bei dringendem Verdacht gegen
einen Verbrecher hat die Polizei gleichfalls das Recht der Verhaftung,
ſowie in dem Fall, wo ſie nur durch Verhaftung die Beſeitigung der

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[141/0163] darauf, wie wir ſchon bemerkt, jede polizeiliche Verhaftung zu einer gerichtlichen zu machen, oder ſie aufzuheben. Das wird zu- erſt in England zu einem der großen Grundſätze des öffentlichen Rechts und bildet eigentlich den Kern der Habeas-Corpus-Akte. Von dem eng- liſchen Recht geht nun die Rechtsbildung über auf den Continent, behält aber ſtets jenen Charakter des engliſchen Rechts; und wie dieſem, ſo fehlt denn auch dem letztern ein klares und durchgeführtes Bewußtſein davon, daß mit der ganzen Habeas-Corpus-Akte und allen Beſtimmungen über die gerichtliche Verhaftung das Recht der polizeilichen gar nicht berührt, ſondern im Grunde nur der Rechtsſatz ausgeſprochen iſt, daß die poli- zeiliche Verhaftung als ſolche nicht länger als eine möglichſt kurze Friſt dauern, und dann durch Vorführung vor den Richter in eine gericht- liche übergehen muß. Damit war nun freilich ein Recht der polizei- lichen Verhaftung überhaupt nicht gegeben, ſondern nur ein Termin, innerhalb dem ſie verſtattet war, ohne daß andere Rechtsſätze für ſie Platz gegriffen hätten. Denn die Habeas-Corpus-Akte war in der That überhaupt nicht ſo ſehr ein Recht der Verhaftung, als ein Recht auf ein richterliches Urtheil vor dem zuſtändigen Gericht. Trotz der Habeas-Corpus-Akte haben daher die Engländer eben ſo gut nur eine polizeiliche Verhaftung als der Continent, und im Grunde iſt der Einzelne gegen dieſelbe noch weit weniger geſchützt als hier. Erſt als die viel höher ſtehende Jurisprudenz des Continents ſich der Sache bemächtigte, ward allmählig — keineswegs ſogleich — die polizeiliche Verhaftung von der gerichtlichen geſchieden, und damit ein eigenes Recht für die erſtere vorbereitet. Die Schwierigkeit, es von dem letzteren zu ſcheiden, iſt in der That nur durch den Mangel eines eigenen Polizeirechts ge- geben. Die Grundſätze deſſelben ſind ſehr einfach. Das Recht dieſer polizeilichen Verhaftung hat zwei Theile: Das Recht der Verhaftung ſelbſt, und das Recht des Verfahrens nach der Verhaftung. I. Die Polizei hat das Recht zur Verhaftung in zwei Haupt- kategorien. Es kann ſich nämlich dieſe rein polizeiliche Verhaftung ent- weder auf ein geſchehenes Verbrechen und Vergehen, oder auf eine Ge- fahr für die öffentliche Sicherheit beziehen. In Beziehung auf ein geſchehenes Verbrechen ſind die Fälle des Rechts der polizeilichen Verhaftung: 1) Die Ergreifung auf handhafter That, die keiner Erklärung oder Begründung bedarf; daß die Verfolgung nach der That dazu gehört, wenn jemand augenſcheinlich als Thäter er- ſcheint, verſteht ſich von ſelbſt. 2) Bei dringendem Verdacht gegen einen Verbrecher hat die Polizei gleichfalls das Recht der Verhaftung, ſowie in dem Fall, wo ſie nur durch Verhaftung die Beſeitigung der

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 4. Stuttgart, 1867, S. 141. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre04_1867/163>, abgerufen am 23.04.2024.