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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 4. Stuttgart, 1867.

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uns darauf nicht einlassen zu sollen, da Sundelin die betreffenden
Stellen in den deutschen Strafproceßordnungen in seiner kleinen Schrift
(Die Habeas Corpus-Akte und Vorschriften zum Schutz der Person
und des deutschen Strafproceßgesetzes 1862) bereits gesammelt hat
(S. 49--51). Wir bemerken nur, daß Württemberg wohl den Ruhm
hat, die Frage nach dem Recht der persönlichen Freiheit zuerst syste-
matisch ausgebildet zu haben. (Grundlage für die Verfassungsurkunde
§. 23). Siehe über die diesen Paragraphen betreffenden Kammerverhand-
lungen: Mohl, württembergisches Verfassungsrecht, S. 348. Eine förm-
liche Gesetzgebung kam jedoch nicht zu Stande; das Ganze blieb auf dem
Standpunkt der Strafproceßordnung, jedoch mit dem, Württemberg
eigenen, speziell durchgeführten Grundsatz, daß die Unterlassung der
Vorführung vor den Richter innerhalb der ersten 24 Stunden mit
bestimmten Strafen belegt ward. (Strafgesetzordnung Art. 432.) Haus-
recht und Beschlagnahme fehlen dagegen. Auf diesem einseitigen Stand-
punkt ist das württembergische Recht geblieben; die Grundlage ist noch
immer nur die Strafproceßordnung vom 22. Juni 1843 (Art. 144--63),
daneben Regelung des Verfahrens durch Dienst-Instructionen des Land-
jägercorps (Verordnung vom 7. Juni 1823). Roller, Polizeirecht
§. 238 ff. -- Selbst für Bayern müssen wir auf die Strafproceßord-
nung von 1813, (Art. 118--124) und dasjenige verweisen, was
Pötzl, Verfassungsrecht §. 26 und Sundelin anführen. Die neueste
Gesetzgebung ist die von Oesterreich in dem ersten Gesetze vom
27. Oct. 1863 zum Schutze der persönlichen Freiheit. Auch dieß Gesetz
scheidet zwischen "Verhaftung," die nur "kraft eines richterlichen, mit
Gründen (war das zweckmäßig, da der Verhaftete sie ohnehin am an-
dern Tage erfährt?) versehenen Befehls" (§. 2) und der "Anhaltung und
Verwahrung" (§. 3), auf welche binnen 48 Stunden entweder die Frei-
lassung oder die richterliche Untersuchung folgen soll. Dabei ist jede
andere Beschränkung der persönlichen Freiheit durch die Behörde bei
bösem Vorsatz als Amtsmißbrauch (§. 101 des Strafgesetzes), sonst aber
als Uebertretung mit drei Monaten Arrest zu bestrafen. Wie leider
nur zu gewöhnlich, ist dieß so wichtige und in der deutschen Gesetzge-
bung eine ehrenvolle Stellung einnehmende Gesetz von Sonntag
a. a. O. S. 113 mit einigen Zeilen abgefertigt. Es hätte neben so
mancher höchst unvollständigen Gesetzgebung in Deutschland wohl einen
bessern Platz verdient.

Das Gesammtresultat ist, daß die polizeiliche Verhaftung und ihr
Recht thatsächlich, wie es ihre Natur fordert, allenthalben vorhanden
sind, aber theoretisch zu keiner ihrer Wichtigkeit entsprechenden Selb-
ständigkeit gelangen und auch nicht gelangen werden, so lange es neben

uns darauf nicht einlaſſen zu ſollen, da Sundelin die betreffenden
Stellen in den deutſchen Strafproceßordnungen in ſeiner kleinen Schrift
(Die Habeas Corpus-Akte und Vorſchriften zum Schutz der Perſon
und des deutſchen Strafproceßgeſetzes 1862) bereits geſammelt hat
(S. 49—51). Wir bemerken nur, daß Württemberg wohl den Ruhm
hat, die Frage nach dem Recht der perſönlichen Freiheit zuerſt ſyſte-
matiſch ausgebildet zu haben. (Grundlage für die Verfaſſungsurkunde
§. 23). Siehe über die dieſen Paragraphen betreffenden Kammerverhand-
lungen: Mohl, württembergiſches Verfaſſungsrecht, S. 348. Eine förm-
liche Geſetzgebung kam jedoch nicht zu Stande; das Ganze blieb auf dem
Standpunkt der Strafproceßordnung, jedoch mit dem, Württemberg
eigenen, ſpeziell durchgeführten Grundſatz, daß die Unterlaſſung der
Vorführung vor den Richter innerhalb der erſten 24 Stunden mit
beſtimmten Strafen belegt ward. (Strafgeſetzordnung Art. 432.) Haus-
recht und Beſchlagnahme fehlen dagegen. Auf dieſem einſeitigen Stand-
punkt iſt das württembergiſche Recht geblieben; die Grundlage iſt noch
immer nur die Strafproceßordnung vom 22. Juni 1843 (Art. 144—63),
daneben Regelung des Verfahrens durch Dienſt-Inſtructionen des Land-
jägercorps (Verordnung vom 7. Juni 1823). Roller, Polizeirecht
§. 238 ff. — Selbſt für Bayern müſſen wir auf die Strafproceßord-
nung von 1813, (Art. 118—124) und dasjenige verweiſen, was
Pötzl, Verfaſſungsrecht §. 26 und Sundelin anführen. Die neueſte
Geſetzgebung iſt die von Oeſterreich in dem erſten Geſetze vom
27. Oct. 1863 zum Schutze der perſönlichen Freiheit. Auch dieß Geſetz
ſcheidet zwiſchen „Verhaftung,“ die nur „kraft eines richterlichen, mit
Gründen (war das zweckmäßig, da der Verhaftete ſie ohnehin am an-
dern Tage erfährt?) verſehenen Befehls“ (§. 2) und der „Anhaltung und
Verwahrung“ (§. 3), auf welche binnen 48 Stunden entweder die Frei-
laſſung oder die richterliche Unterſuchung folgen ſoll. Dabei iſt jede
andere Beſchränkung der perſönlichen Freiheit durch die Behörde bei
böſem Vorſatz als Amtsmißbrauch (§. 101 des Strafgeſetzes), ſonſt aber
als Uebertretung mit drei Monaten Arreſt zu beſtrafen. Wie leider
nur zu gewöhnlich, iſt dieß ſo wichtige und in der deutſchen Geſetzge-
bung eine ehrenvolle Stellung einnehmende Geſetz von Sonntag
a. a. O. S. 113 mit einigen Zeilen abgefertigt. Es hätte neben ſo
mancher höchſt unvollſtändigen Geſetzgebung in Deutſchland wohl einen
beſſern Platz verdient.

Das Geſammtreſultat iſt, daß die polizeiliche Verhaftung und ihr
Recht thatſächlich, wie es ihre Natur fordert, allenthalben vorhanden
ſind, aber theoretiſch zu keiner ihrer Wichtigkeit entſprechenden Selb-
ſtändigkeit gelangen und auch nicht gelangen werden, ſo lange es neben

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[150/0172] uns darauf nicht einlaſſen zu ſollen, da Sundelin die betreffenden Stellen in den deutſchen Strafproceßordnungen in ſeiner kleinen Schrift (Die Habeas Corpus-Akte und Vorſchriften zum Schutz der Perſon und des deutſchen Strafproceßgeſetzes 1862) bereits geſammelt hat (S. 49—51). Wir bemerken nur, daß Württemberg wohl den Ruhm hat, die Frage nach dem Recht der perſönlichen Freiheit zuerſt ſyſte- matiſch ausgebildet zu haben. (Grundlage für die Verfaſſungsurkunde §. 23). Siehe über die dieſen Paragraphen betreffenden Kammerverhand- lungen: Mohl, württembergiſches Verfaſſungsrecht, S. 348. Eine förm- liche Geſetzgebung kam jedoch nicht zu Stande; das Ganze blieb auf dem Standpunkt der Strafproceßordnung, jedoch mit dem, Württemberg eigenen, ſpeziell durchgeführten Grundſatz, daß die Unterlaſſung der Vorführung vor den Richter innerhalb der erſten 24 Stunden mit beſtimmten Strafen belegt ward. (Strafgeſetzordnung Art. 432.) Haus- recht und Beſchlagnahme fehlen dagegen. Auf dieſem einſeitigen Stand- punkt iſt das württembergiſche Recht geblieben; die Grundlage iſt noch immer nur die Strafproceßordnung vom 22. Juni 1843 (Art. 144—63), daneben Regelung des Verfahrens durch Dienſt-Inſtructionen des Land- jägercorps (Verordnung vom 7. Juni 1823). Roller, Polizeirecht §. 238 ff. — Selbſt für Bayern müſſen wir auf die Strafproceßord- nung von 1813, (Art. 118—124) und dasjenige verweiſen, was Pötzl, Verfaſſungsrecht §. 26 und Sundelin anführen. Die neueſte Geſetzgebung iſt die von Oeſterreich in dem erſten Geſetze vom 27. Oct. 1863 zum Schutze der perſönlichen Freiheit. Auch dieß Geſetz ſcheidet zwiſchen „Verhaftung,“ die nur „kraft eines richterlichen, mit Gründen (war das zweckmäßig, da der Verhaftete ſie ohnehin am an- dern Tage erfährt?) verſehenen Befehls“ (§. 2) und der „Anhaltung und Verwahrung“ (§. 3), auf welche binnen 48 Stunden entweder die Frei- laſſung oder die richterliche Unterſuchung folgen ſoll. Dabei iſt jede andere Beſchränkung der perſönlichen Freiheit durch die Behörde bei böſem Vorſatz als Amtsmißbrauch (§. 101 des Strafgeſetzes), ſonſt aber als Uebertretung mit drei Monaten Arreſt zu beſtrafen. Wie leider nur zu gewöhnlich, iſt dieß ſo wichtige und in der deutſchen Geſetzge- bung eine ehrenvolle Stellung einnehmende Geſetz von Sonntag a. a. O. S. 113 mit einigen Zeilen abgefertigt. Es hätte neben ſo mancher höchſt unvollſtändigen Geſetzgebung in Deutſchland wohl einen beſſern Platz verdient. Das Geſammtreſultat iſt, daß die polizeiliche Verhaftung und ihr Recht thatſächlich, wie es ihre Natur fordert, allenthalben vorhanden ſind, aber theoretiſch zu keiner ihrer Wichtigkeit entſprechenden Selb- ſtändigkeit gelangen und auch nicht gelangen werden, ſo lange es neben

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 4. Stuttgart, 1867, S. 150. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre04_1867/172>, abgerufen am 28.03.2024.