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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 4. Stuttgart, 1867.

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gerichtlichen Schritte unberührt bleibe. Sie hat natürlich in einem
solchen Falle sofort die Anzeige an das Gericht zu erstatten und die
weiteren Aufträge von demselben als gerichtliche Polizei zu erwarten.
Ist Grund vorhanden, daß ein solcher Gegenstand beseitigt werde, so
kann sie ihn, eventuell mit Gewalt, dem Besitze der betreffenden Person
entziehen, ohne selbst irgend eine Aenderung damit vornehmen zu
dürfen. Je nach den Verhältnissen muß dieß durch Bewachung, Ver-
siegelung oder Depot geschehen. Grundsatz ist, daß sie selbst in
Papiere und Briefe niemals Einsicht nehme, sondern sie nur dem
Gericht überliefere, und eventuell von dem Gerichte das Recht zur Ein-
sichtnahme empfangen muß. Alle andern Bestimmungen gehören den
Strafproceßordnungen, also nicht der Sicherheitspolizei, sondern der
gerichtlichen Polizei; oder, um das ganze Rechtsgebiet in Eine Formel
zusammenzufassen: die Beschlagnahme kann auch polizeilich, die
Durchsicht kann nur gerichtlich stattfinden.


Es ist sehr schwer, etwas Genügendes über das positive Recht zu
sagen, da so viel wir sehen, ein besonderes Recht für alle jene Fälle
neben den Strafproceßordnungen und ihren Vorschriften nur in Preußen
besteht. Das englische Recht läßt die Beschlagnahme, auch von Pa-
pieren, durch den Constabler auch außergerichtlich zu, jedoch ohne be-
stimmtes Gesetz und nur als allgemeine Consequenz des rein polizeilichen
Rechts desselben. Grundsatz ist jedoch, daß die Einsicht in alle Papiere,
also auch in Briefe, nur durch das Gericht geschehen darf. Die gerichtliche
Beschlagnahme fordert einen formellen Search warrant. (Glaser a. a. O.
§. 140--146.) In Frankreich sind die visites a domicile und die
Beschlagnahme nach dem Gesetz vom 24. Februar 1834 auf Grundlage
des Code d'Instr. crim. 33 genau geordnet, und der Grundsatz fest-
gestellt, daß sie nur in Gemäßheit eines Mandat de recherche vorge-
nommen werden dürfen, wodurch die ganze Frage Sache der Straf-
proceßordnung geworden ist. Doch hat der Code d'Instr. crim. art. 36
und 37 dem Staatsanwalt das einseitige Recht der Beschlagnahme ge-
geben. Die Unverletzlichkeit des Briefgeheimnisses ist formell anerkannt:
schon Napoleon I. erklärte die Nothwendigkeit desselben vom rein poli-
zeilichen Standpunkt "la violation du secret des lettres est inutile et
dangereuse." (Thiers, Histoire de l'Empire T. XX. L. 62, p. 636.)

In Belgien hat die Constitution von 1830 das Briefgeheimniß für
unverletzlich und die Postbeamten für verantwortlich erklärt. (Batbie,
Dr. publ. et admin. II. Ch. VI.
) -- Das englische Briefrecht wird
durch spezielle warrants gelegentlich umgangen, obgleich die Regierung

gerichtlichen Schritte unberührt bleibe. Sie hat natürlich in einem
ſolchen Falle ſofort die Anzeige an das Gericht zu erſtatten und die
weiteren Aufträge von demſelben als gerichtliche Polizei zu erwarten.
Iſt Grund vorhanden, daß ein ſolcher Gegenſtand beſeitigt werde, ſo
kann ſie ihn, eventuell mit Gewalt, dem Beſitze der betreffenden Perſon
entziehen, ohne ſelbſt irgend eine Aenderung damit vornehmen zu
dürfen. Je nach den Verhältniſſen muß dieß durch Bewachung, Ver-
ſiegelung oder Depot geſchehen. Grundſatz iſt, daß ſie ſelbſt in
Papiere und Briefe niemals Einſicht nehme, ſondern ſie nur dem
Gericht überliefere, und eventuell von dem Gerichte das Recht zur Ein-
ſichtnahme empfangen muß. Alle andern Beſtimmungen gehören den
Strafproceßordnungen, alſo nicht der Sicherheitspolizei, ſondern der
gerichtlichen Polizei; oder, um das ganze Rechtsgebiet in Eine Formel
zuſammenzufaſſen: die Beſchlagnahme kann auch polizeilich, die
Durchſicht kann nur gerichtlich ſtattfinden.


Es iſt ſehr ſchwer, etwas Genügendes über das poſitive Recht zu
ſagen, da ſo viel wir ſehen, ein beſonderes Recht für alle jene Fälle
neben den Strafproceßordnungen und ihren Vorſchriften nur in Preußen
beſteht. Das engliſche Recht läßt die Beſchlagnahme, auch von Pa-
pieren, durch den Conſtabler auch außergerichtlich zu, jedoch ohne be-
ſtimmtes Geſetz und nur als allgemeine Conſequenz des rein polizeilichen
Rechts deſſelben. Grundſatz iſt jedoch, daß die Einſicht in alle Papiere,
alſo auch in Briefe, nur durch das Gericht geſchehen darf. Die gerichtliche
Beſchlagnahme fordert einen formellen Search warrant. (Glaſer a. a. O.
§. 140—146.) In Frankreich ſind die visites à domicile und die
Beſchlagnahme nach dem Geſetz vom 24. Februar 1834 auf Grundlage
des Code d’Instr. crim. 33 genau geordnet, und der Grundſatz feſt-
geſtellt, daß ſie nur in Gemäßheit eines Mandat de récherche vorge-
nommen werden dürfen, wodurch die ganze Frage Sache der Straf-
proceßordnung geworden iſt. Doch hat der Code d’Instr. crim. art. 36
und 37 dem Staatsanwalt das einſeitige Recht der Beſchlagnahme ge-
geben. Die Unverletzlichkeit des Briefgeheimniſſes iſt formell anerkannt:
ſchon Napoleon I. erklärte die Nothwendigkeit deſſelben vom rein poli-
zeilichen Standpunkt „la violation du secret des lettres est inutile et
dangereuse.“ (Thiers, Histoire de l’Empire T. XX. L. 62, p. 636.)

In Belgien hat die Conſtitution von 1830 das Briefgeheimniß für
unverletzlich und die Poſtbeamten für verantwortlich erklärt. (Batbie,
Dr. publ. et admin. II. Ch. VI.
) — Das engliſche Briefrecht wird
durch ſpezielle warrants gelegentlich umgangen, obgleich die Regierung

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[157/0179] gerichtlichen Schritte unberührt bleibe. Sie hat natürlich in einem ſolchen Falle ſofort die Anzeige an das Gericht zu erſtatten und die weiteren Aufträge von demſelben als gerichtliche Polizei zu erwarten. Iſt Grund vorhanden, daß ein ſolcher Gegenſtand beſeitigt werde, ſo kann ſie ihn, eventuell mit Gewalt, dem Beſitze der betreffenden Perſon entziehen, ohne ſelbſt irgend eine Aenderung damit vornehmen zu dürfen. Je nach den Verhältniſſen muß dieß durch Bewachung, Ver- ſiegelung oder Depot geſchehen. Grundſatz iſt, daß ſie ſelbſt in Papiere und Briefe niemals Einſicht nehme, ſondern ſie nur dem Gericht überliefere, und eventuell von dem Gerichte das Recht zur Ein- ſichtnahme empfangen muß. Alle andern Beſtimmungen gehören den Strafproceßordnungen, alſo nicht der Sicherheitspolizei, ſondern der gerichtlichen Polizei; oder, um das ganze Rechtsgebiet in Eine Formel zuſammenzufaſſen: die Beſchlagnahme kann auch polizeilich, die Durchſicht kann nur gerichtlich ſtattfinden. Es iſt ſehr ſchwer, etwas Genügendes über das poſitive Recht zu ſagen, da ſo viel wir ſehen, ein beſonderes Recht für alle jene Fälle neben den Strafproceßordnungen und ihren Vorſchriften nur in Preußen beſteht. Das engliſche Recht läßt die Beſchlagnahme, auch von Pa- pieren, durch den Conſtabler auch außergerichtlich zu, jedoch ohne be- ſtimmtes Geſetz und nur als allgemeine Conſequenz des rein polizeilichen Rechts deſſelben. Grundſatz iſt jedoch, daß die Einſicht in alle Papiere, alſo auch in Briefe, nur durch das Gericht geſchehen darf. Die gerichtliche Beſchlagnahme fordert einen formellen Search warrant. (Glaſer a. a. O. §. 140—146.) In Frankreich ſind die visites à domicile und die Beſchlagnahme nach dem Geſetz vom 24. Februar 1834 auf Grundlage des Code d’Instr. crim. 33 genau geordnet, und der Grundſatz feſt- geſtellt, daß ſie nur in Gemäßheit eines Mandat de récherche vorge- nommen werden dürfen, wodurch die ganze Frage Sache der Straf- proceßordnung geworden iſt. Doch hat der Code d’Instr. crim. art. 36 und 37 dem Staatsanwalt das einſeitige Recht der Beſchlagnahme ge- geben. Die Unverletzlichkeit des Briefgeheimniſſes iſt formell anerkannt: ſchon Napoleon I. erklärte die Nothwendigkeit deſſelben vom rein poli- zeilichen Standpunkt „la violation du secret des lettres est inutile et dangereuse.“ (Thiers, Histoire de l’Empire T. XX. L. 62, p. 636.) In Belgien hat die Conſtitution von 1830 das Briefgeheimniß für unverletzlich und die Poſtbeamten für verantwortlich erklärt. (Batbie, Dr. publ. et admin. II. Ch. VI.) — Das engliſche Briefrecht wird durch ſpezielle warrants gelegentlich umgangen, obgleich die Regierung

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 4. Stuttgart, 1867, S. 157. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre04_1867/179>, abgerufen am 24.04.2024.