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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 4. Stuttgart, 1867.

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aufsicht ist dann naturgemäß Sache der amtlichen Polizei, die Ver-
pflichtung den entlassenen Sträflingen durch Arbeit wieder zu helfen,
wird dagegen den Gemeinden zugewiesen, und anderseits ist es Sache
der Rechtspflege, zu bestimmen, ob und wie weit die Aufsicht einen
etwaigen Rückfall erschwert.

Die sociale Auffassung dagegen erkennt hier die Aufgabe, jene
Uebelstände in ihren Ursachen zu bekämpfen. Dieß geschieht theils
durch die Sorge für die allgemeine Heranbildung der Jugend, welche
dem Hülfswesen angehört, theils durch das Auftreten des Vereinswesens,
welches Vereine für entlassene Sträflinge, namentlich für jugend-
liche
Verbrecher gegründet hat, um dieselben in eigenen Anstalten zu
erziehen. Die Frage ist dabei nur die, ob es auch hier nicht besser
wäre, solche Individuen bei Familien durch Mitwirkung der Vereine
unterzubringen und auf diesem Wege das Ziel anzustreben. Uebrigens
ist das ganze Gebiet noch sehr unentwickelt und ohne gemeinsam an-
erkannte Grundlagen. Es fehlt noch sowohl die Statistik als die wissen-
schaftliche Bearbeitung, während die reine sicherheitspolizeiliche Seite
fast nur in den ausführlichen Instruktionen der niederen Polizeiorgane
ausgebildet ist.


Geltendes Recht. England. Hier bestimmte schon das Statut
4 Georg IV. 64 (The Goal Act. 1825), daß jedem entlassenen Sträfling
bei seiner Entlassung eine kleine Summe (bis 2 Pfd.) gegeben werden
solle, um zurückzukehren to any place of employment or honest oc-
cupation.
Darauf entstanden mehrfach Vereine für entlassene Sträf-
linge (decharged prisoners, aid societies). Diese Vereine, welche die
entlassenen Sträflinge theils direct, theils indirect unterstützen, standen
bisher unter dem allgemeinen Vereinsrecht. Das Statut 25--26 Vict. 44
bestimmt nun, daß, sowie ein solcher Verein in einer Quarterly session
formell anerkannt (certified) ist, jene Unterstützung des Goal Act nicht
mehr den Sträflingen selbst, sondern diesem Vereine zur Verwendung
übergeben werden soll. Damit beginnt die sociale Richtung der eng-
lischen Sträflingsgesetzgebung.

Frankreich. Selbständige Behandlung der repris de justice:
Grundsatz der polizeilichen Ueberwachung schon im Gesetz vom 28 Flor.
an XII.
Der Code Penal stellt sie a la disposition du Gouverne-
ment
(Art. 44); das Gesetz vom 28. April 1832 ordnet das polizeiliche
confinement. Die Colonies penitentiares, eingeführt durch ein Gesetz
vom 5. August 1830, haben keinen großen Erfolg gehabt. Colonie de
Mettraye, landwirthschaftliche Anstalt für entlassene junge Sträflinge,
besteht seit 20 Jahren.

aufſicht iſt dann naturgemäß Sache der amtlichen Polizei, die Ver-
pflichtung den entlaſſenen Sträflingen durch Arbeit wieder zu helfen,
wird dagegen den Gemeinden zugewieſen, und anderſeits iſt es Sache
der Rechtspflege, zu beſtimmen, ob und wie weit die Aufſicht einen
etwaigen Rückfall erſchwert.

Die ſociale Auffaſſung dagegen erkennt hier die Aufgabe, jene
Uebelſtände in ihren Urſachen zu bekämpfen. Dieß geſchieht theils
durch die Sorge für die allgemeine Heranbildung der Jugend, welche
dem Hülfsweſen angehört, theils durch das Auftreten des Vereinsweſens,
welches Vereine für entlaſſene Sträflinge, namentlich für jugend-
liche
Verbrecher gegründet hat, um dieſelben in eigenen Anſtalten zu
erziehen. Die Frage iſt dabei nur die, ob es auch hier nicht beſſer
wäre, ſolche Individuen bei Familien durch Mitwirkung der Vereine
unterzubringen und auf dieſem Wege das Ziel anzuſtreben. Uebrigens
iſt das ganze Gebiet noch ſehr unentwickelt und ohne gemeinſam an-
erkannte Grundlagen. Es fehlt noch ſowohl die Statiſtik als die wiſſen-
ſchaftliche Bearbeitung, während die reine ſicherheitspolizeiliche Seite
faſt nur in den ausführlichen Inſtruktionen der niederen Polizeiorgane
ausgebildet iſt.


Geltendes Recht. England. Hier beſtimmte ſchon das Statut
4 Georg IV. 64 (The Goal Act. 1825), daß jedem entlaſſenen Sträfling
bei ſeiner Entlaſſung eine kleine Summe (bis 2 Pfd.) gegeben werden
ſolle, um zurückzukehren to any place of employment or honest oc-
cupation.
Darauf entſtanden mehrfach Vereine für entlaſſene Sträf-
linge (decharged prisoners, aid societies). Dieſe Vereine, welche die
entlaſſenen Sträflinge theils direct, theils indirect unterſtützen, ſtanden
bisher unter dem allgemeinen Vereinsrecht. Das Statut 25—26 Vict. 44
beſtimmt nun, daß, ſowie ein ſolcher Verein in einer Quarterly session
formell anerkannt (certified) iſt, jene Unterſtützung des Goal Act nicht
mehr den Sträflingen ſelbſt, ſondern dieſem Vereine zur Verwendung
übergeben werden ſoll. Damit beginnt die ſociale Richtung der eng-
liſchen Sträflingsgeſetzgebung.

Frankreich. Selbſtändige Behandlung der répris de justice:
Grundſatz der polizeilichen Ueberwachung ſchon im Geſetz vom 28 Flor.
an XII.
Der Code Pénal ſtellt ſie à la disposition du Gouverne-
ment
(Art. 44); das Geſetz vom 28. April 1832 ordnet das polizeiliche
confinement. Die Colonies pénitentiares, eingeführt durch ein Geſetz
vom 5. Auguſt 1830, haben keinen großen Erfolg gehabt. Colonie de
Mettraye, landwirthſchaftliche Anſtalt für entlaſſene junge Sträflinge,
beſteht ſeit 20 Jahren.

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[167/0189] aufſicht iſt dann naturgemäß Sache der amtlichen Polizei, die Ver- pflichtung den entlaſſenen Sträflingen durch Arbeit wieder zu helfen, wird dagegen den Gemeinden zugewieſen, und anderſeits iſt es Sache der Rechtspflege, zu beſtimmen, ob und wie weit die Aufſicht einen etwaigen Rückfall erſchwert. Die ſociale Auffaſſung dagegen erkennt hier die Aufgabe, jene Uebelſtände in ihren Urſachen zu bekämpfen. Dieß geſchieht theils durch die Sorge für die allgemeine Heranbildung der Jugend, welche dem Hülfsweſen angehört, theils durch das Auftreten des Vereinsweſens, welches Vereine für entlaſſene Sträflinge, namentlich für jugend- liche Verbrecher gegründet hat, um dieſelben in eigenen Anſtalten zu erziehen. Die Frage iſt dabei nur die, ob es auch hier nicht beſſer wäre, ſolche Individuen bei Familien durch Mitwirkung der Vereine unterzubringen und auf dieſem Wege das Ziel anzuſtreben. Uebrigens iſt das ganze Gebiet noch ſehr unentwickelt und ohne gemeinſam an- erkannte Grundlagen. Es fehlt noch ſowohl die Statiſtik als die wiſſen- ſchaftliche Bearbeitung, während die reine ſicherheitspolizeiliche Seite faſt nur in den ausführlichen Inſtruktionen der niederen Polizeiorgane ausgebildet iſt. Geltendes Recht. England. Hier beſtimmte ſchon das Statut 4 Georg IV. 64 (The Goal Act. 1825), daß jedem entlaſſenen Sträfling bei ſeiner Entlaſſung eine kleine Summe (bis 2 Pfd.) gegeben werden ſolle, um zurückzukehren to any place of employment or honest oc- cupation. Darauf entſtanden mehrfach Vereine für entlaſſene Sträf- linge (decharged prisoners, aid societies). Dieſe Vereine, welche die entlaſſenen Sträflinge theils direct, theils indirect unterſtützen, ſtanden bisher unter dem allgemeinen Vereinsrecht. Das Statut 25—26 Vict. 44 beſtimmt nun, daß, ſowie ein ſolcher Verein in einer Quarterly session formell anerkannt (certified) iſt, jene Unterſtützung des Goal Act nicht mehr den Sträflingen ſelbſt, ſondern dieſem Vereine zur Verwendung übergeben werden ſoll. Damit beginnt die ſociale Richtung der eng- liſchen Sträflingsgeſetzgebung. Frankreich. Selbſtändige Behandlung der répris de justice: Grundſatz der polizeilichen Ueberwachung ſchon im Geſetz vom 28 Flor. an XII. Der Code Pénal ſtellt ſie à la disposition du Gouverne- ment (Art. 44); das Geſetz vom 28. April 1832 ordnet das polizeiliche confinement. Die Colonies pénitentiares, eingeführt durch ein Geſetz vom 5. Auguſt 1830, haben keinen großen Erfolg gehabt. Colonie de Mettraye, landwirthſchaftliche Anſtalt für entlaſſene junge Sträflinge, beſteht ſeit 20 Jahren.

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 4. Stuttgart, 1867, S. 167. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre04_1867/189>, abgerufen am 25.04.2024.