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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 4. Stuttgart, 1867.

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und wird es auch zweckmäßig bleiben. Man kann daher sich begnügen,
zu sagen, daß grundsätzlich die Gerichte die Pflegschaftsbehörden
bilden.

Allerdings aber ist Stellung und Thätigkeit derselben wesentlich
verschieden, je nach den einzelnen Zweigen des Pflegschaftswesens. Die
Grundverhältnisse dieses ganzen Gebietes der Verwaltung nun sind
folgende.


Die oben angedeutete Verbindung der Pflegschaft mit der Thätig-
keit der Gerichte hat es mit sich gebracht, daß alle drei Gebiete der-
selben ausschließlich von der Jurisprudenz behandelt worden sind,
theils in dem Civilrecht, theils aber auch in dem Staatsrecht, während
sie wieder bei vielen Darstellungen des Staatsrechts ganz weggelassen,
bei andern wieder nur einige Theile derselben von demselben aufge-
nommen werden. Diese Behandlungen sind stets mit der, der civilistischen
Literatur eigenthümlichen Schärfe und Umsicht im Einzelnen und Prak-
tischen, aber einerseits ohne den organischen Zusammenhang aller drei
Gebiete des Pflegschaftswesens, anderseits ohne das innere Verhältniß
zwischen dem römischen und germanischen Rechtsprincip, so wie großen-
theils ohne Vergleichung der neueren historischen Entwicklung dieses
Rechts gearbeitet. Unsere Darstellung kann nur Andeutungen über jene
Punkte und ihren Zusammenhang geben. Es hat die Wissenschaft in
der Anschauung und Verarbeitung des Ganzen noch ein weites Feld
zu gewinnen, das zuletzt der Verwaltungslehre angehören wird. Wir
glauben, daß der einzige Schriftsteller der staatswissenschaftlichen Literatur,
der sich vom Standpunkt der Staatswissenschaft mit der Obervormund-
schaft beschäftigt, Soden ist (Bd. 7), der auch seinerseits nur das po-
lizeiliche Element darin bekämpft (S. 98), ohne zum Verlassenschafts-
und Massenwesen zu kommen. -- Uebrigens habe ich versucht, die oben-
stehenden Grundgedanken zunächst für das Vormundschaftswesen genauer
auszuführen in meiner unten citirten Abhandlung über das Vormund-
schaftswesen.

I. Das Vormundschaftswesen.
1) Begriff.

Das Vormundschaftswesen enthält die Gesammtheit von
Thätigkeiten und Bestimmungen der Verwaltung und des öffentlichen
Rechts in allen denjenigen Verhältnissen, in welchen die Person für
die wirthschaftliche Persönlichkeit zwar vorhanden ist, die natürlichen
Zustände der Person aber die Selbstbestimmung derselben dauernd

und wird es auch zweckmäßig bleiben. Man kann daher ſich begnügen,
zu ſagen, daß grundſätzlich die Gerichte die Pflegſchaftsbehörden
bilden.

Allerdings aber iſt Stellung und Thätigkeit derſelben weſentlich
verſchieden, je nach den einzelnen Zweigen des Pflegſchaftsweſens. Die
Grundverhältniſſe dieſes ganzen Gebietes der Verwaltung nun ſind
folgende.


Die oben angedeutete Verbindung der Pflegſchaft mit der Thätig-
keit der Gerichte hat es mit ſich gebracht, daß alle drei Gebiete der-
ſelben ausſchließlich von der Jurisprudenz behandelt worden ſind,
theils in dem Civilrecht, theils aber auch in dem Staatsrecht, während
ſie wieder bei vielen Darſtellungen des Staatsrechts ganz weggelaſſen,
bei andern wieder nur einige Theile derſelben von demſelben aufge-
nommen werden. Dieſe Behandlungen ſind ſtets mit der, der civiliſtiſchen
Literatur eigenthümlichen Schärfe und Umſicht im Einzelnen und Prak-
tiſchen, aber einerſeits ohne den organiſchen Zuſammenhang aller drei
Gebiete des Pflegſchaftsweſens, anderſeits ohne das innere Verhältniß
zwiſchen dem römiſchen und germaniſchen Rechtsprincip, ſo wie großen-
theils ohne Vergleichung der neueren hiſtoriſchen Entwicklung dieſes
Rechts gearbeitet. Unſere Darſtellung kann nur Andeutungen über jene
Punkte und ihren Zuſammenhang geben. Es hat die Wiſſenſchaft in
der Anſchauung und Verarbeitung des Ganzen noch ein weites Feld
zu gewinnen, das zuletzt der Verwaltungslehre angehören wird. Wir
glauben, daß der einzige Schriftſteller der ſtaatswiſſenſchaftlichen Literatur,
der ſich vom Standpunkt der Staatswiſſenſchaft mit der Obervormund-
ſchaft beſchäftigt, Soden iſt (Bd. 7), der auch ſeinerſeits nur das po-
lizeiliche Element darin bekämpft (S. 98), ohne zum Verlaſſenſchafts-
und Maſſenweſen zu kommen. — Uebrigens habe ich verſucht, die oben-
ſtehenden Grundgedanken zunächſt für das Vormundſchaftsweſen genauer
auszuführen in meiner unten citirten Abhandlung über das Vormund-
ſchaftsweſen.

I. Das Vormundſchaftsweſen.
1) Begriff.

Das Vormundſchaftsweſen enthält die Geſammtheit von
Thätigkeiten und Beſtimmungen der Verwaltung und des öffentlichen
Rechts in allen denjenigen Verhältniſſen, in welchen die Perſon für
die wirthſchaftliche Perſönlichkeit zwar vorhanden iſt, die natürlichen
Zuſtände der Perſon aber die Selbſtbeſtimmung derſelben dauernd

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[181/0203] und wird es auch zweckmäßig bleiben. Man kann daher ſich begnügen, zu ſagen, daß grundſätzlich die Gerichte die Pflegſchaftsbehörden bilden. Allerdings aber iſt Stellung und Thätigkeit derſelben weſentlich verſchieden, je nach den einzelnen Zweigen des Pflegſchaftsweſens. Die Grundverhältniſſe dieſes ganzen Gebietes der Verwaltung nun ſind folgende. Die oben angedeutete Verbindung der Pflegſchaft mit der Thätig- keit der Gerichte hat es mit ſich gebracht, daß alle drei Gebiete der- ſelben ausſchließlich von der Jurisprudenz behandelt worden ſind, theils in dem Civilrecht, theils aber auch in dem Staatsrecht, während ſie wieder bei vielen Darſtellungen des Staatsrechts ganz weggelaſſen, bei andern wieder nur einige Theile derſelben von demſelben aufge- nommen werden. Dieſe Behandlungen ſind ſtets mit der, der civiliſtiſchen Literatur eigenthümlichen Schärfe und Umſicht im Einzelnen und Prak- tiſchen, aber einerſeits ohne den organiſchen Zuſammenhang aller drei Gebiete des Pflegſchaftsweſens, anderſeits ohne das innere Verhältniß zwiſchen dem römiſchen und germaniſchen Rechtsprincip, ſo wie großen- theils ohne Vergleichung der neueren hiſtoriſchen Entwicklung dieſes Rechts gearbeitet. Unſere Darſtellung kann nur Andeutungen über jene Punkte und ihren Zuſammenhang geben. Es hat die Wiſſenſchaft in der Anſchauung und Verarbeitung des Ganzen noch ein weites Feld zu gewinnen, das zuletzt der Verwaltungslehre angehören wird. Wir glauben, daß der einzige Schriftſteller der ſtaatswiſſenſchaftlichen Literatur, der ſich vom Standpunkt der Staatswiſſenſchaft mit der Obervormund- ſchaft beſchäftigt, Soden iſt (Bd. 7), der auch ſeinerſeits nur das po- lizeiliche Element darin bekämpft (S. 98), ohne zum Verlaſſenſchafts- und Maſſenweſen zu kommen. — Uebrigens habe ich verſucht, die oben- ſtehenden Grundgedanken zunächſt für das Vormundſchaftsweſen genauer auszuführen in meiner unten citirten Abhandlung über das Vormund- ſchaftsweſen. I. Das Vormundſchaftsweſen. 1) Begriff. Das Vormundſchaftsweſen enthält die Geſammtheit von Thätigkeiten und Beſtimmungen der Verwaltung und des öffentlichen Rechts in allen denjenigen Verhältniſſen, in welchen die Perſon für die wirthſchaftliche Perſönlichkeit zwar vorhanden iſt, die natürlichen Zuſtände der Perſon aber die Selbſtbeſtimmung derſelben dauernd

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 4. Stuttgart, 1867, S. 181. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre04_1867/203>, abgerufen am 29.03.2024.