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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 4. Stuttgart, 1867.

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feststellt -- die der Zurechnungsfähigkeit, welche der römischen pubertas,
und die der Volljährigkeit, welche der römischen Majorennität ent-
spricht; jene nur auf persönliche, diese auf wirthschaftliche Verhältnisse
bezogen, aber dennoch in der Jahresziffer verschieden, meist vom 18. bis
zum 24. Jahre. -- Aus dem zweiten Punkte entwickelt sich als ganz spezielles
Recht dieser Zeit das Recht des Lehnsherrn, der Tochter und Wittwe
einen Mann zu geben, als Organ der Leistungen für die Lehnsherrn. --
Beide Punkte zugleich, wesentlich auch in Verbindung mit dem Princip
der Geschlechterherrschaft, nach welchem der König das Haupt aller
Ascendenten und jetzt zugleich oberster Lehnsherr ist, erzeugen dann die
Vorstellung von einer noch ganz unbestimmten Vormundschaft des Kö-
nigs
, die erst in der folgenden Epoche zu einer amtlichen wird. Diese
lehnsrechtliche Vormundschaft ist dann wieder verschieden nach den ver-
schiedenen Ländern. Die grundherrliche Vormundschaft hat dagegen den
Charakter der alten römischen tutela legetima des patronus; nur nimmt
sie gleich anfangs, da der Grundherr seine Rechte durch sein Patrimonial-
gericht ausübt, die Elemente des römischen Vormundschaftswesens in
sich auf; und so stehen beide Systeme eine Zeit lang neben einander, bis
seit dem sechzehnten Jahrhundert mit den persönlichen Leistungen der Va-
sallen auch die alte lehnsrechtliche Vormundschaft verschwindet, die ge-
richtliche allenthalben an ihre Stelle tritt, und so die neueste Gestalt
des Vormundschaftswesens eingeleitet wird, in der die Sache selbst
allerdings viel klarer und einfacher ist, als die Theorie, welche aus
Mangel an historischem Bewußtsein das Verschiedene vermischt und große
Unklarheiten erzeugt, bis in unserem Jahrhundert das Vormundschafts-
wesen seine ziemlich definitive Gestalt annimmt.


Auch hier wäre die Voraussetzung aller richtigen Behandlung das
Verständniß der innern Entwicklung des ständischen Wesens und nament-
lich seines Besitzrechtes. Der Mangel desselben hat, da man aus den
verschiedensten Angaben ein Gleiches machen wollte und in Deutschland
weder das französische noch das englische verstand, große Unklarheit er-
zeugt, die leider auch auf unsere Zeit fortgewirkt hat. (Vgl. Stein
in der angeführten Abhandlung S. 266 ff.)

c) Das Vormundschaftswesen der gegenwärtigen staatsbürgerlichen
Gesellschaftsordnung.

Die staatsbürgerliche Gesellschaftsordnung hat nun, wie sie es immer
thut, aus den früheren Epochen diejenigen beiden Elemente hervor-

feſtſtellt — die der Zurechnungsfähigkeit, welche der römiſchen pubertas,
und die der Volljährigkeit, welche der römiſchen Majorennität ent-
ſpricht; jene nur auf perſönliche, dieſe auf wirthſchaftliche Verhältniſſe
bezogen, aber dennoch in der Jahresziffer verſchieden, meiſt vom 18. bis
zum 24. Jahre. — Aus dem zweiten Punkte entwickelt ſich als ganz ſpezielles
Recht dieſer Zeit das Recht des Lehnsherrn, der Tochter und Wittwe
einen Mann zu geben, als Organ der Leiſtungen für die Lehnsherrn. —
Beide Punkte zugleich, weſentlich auch in Verbindung mit dem Princip
der Geſchlechterherrſchaft, nach welchem der König das Haupt aller
Ascendenten und jetzt zugleich oberſter Lehnsherr iſt, erzeugen dann die
Vorſtellung von einer noch ganz unbeſtimmten Vormundſchaft des Kö-
nigs
, die erſt in der folgenden Epoche zu einer amtlichen wird. Dieſe
lehnsrechtliche Vormundſchaft iſt dann wieder verſchieden nach den ver-
ſchiedenen Ländern. Die grundherrliche Vormundſchaft hat dagegen den
Charakter der alten römiſchen tutela legetima des patronus; nur nimmt
ſie gleich anfangs, da der Grundherr ſeine Rechte durch ſein Patrimonial-
gericht ausübt, die Elemente des römiſchen Vormundſchaftsweſens in
ſich auf; und ſo ſtehen beide Syſteme eine Zeit lang neben einander, bis
ſeit dem ſechzehnten Jahrhundert mit den perſönlichen Leiſtungen der Va-
ſallen auch die alte lehnsrechtliche Vormundſchaft verſchwindet, die ge-
richtliche allenthalben an ihre Stelle tritt, und ſo die neueſte Geſtalt
des Vormundſchaftsweſens eingeleitet wird, in der die Sache ſelbſt
allerdings viel klarer und einfacher iſt, als die Theorie, welche aus
Mangel an hiſtoriſchem Bewußtſein das Verſchiedene vermiſcht und große
Unklarheiten erzeugt, bis in unſerem Jahrhundert das Vormundſchafts-
weſen ſeine ziemlich definitive Geſtalt annimmt.


Auch hier wäre die Vorausſetzung aller richtigen Behandlung das
Verſtändniß der innern Entwicklung des ſtändiſchen Weſens und nament-
lich ſeines Beſitzrechtes. Der Mangel deſſelben hat, da man aus den
verſchiedenſten Angaben ein Gleiches machen wollte und in Deutſchland
weder das franzöſiſche noch das engliſche verſtand, große Unklarheit er-
zeugt, die leider auch auf unſere Zeit fortgewirkt hat. (Vgl. Stein
in der angeführten Abhandlung S. 266 ff.)

c) Das Vormundſchaftsweſen der gegenwärtigen ſtaatsbürgerlichen
Geſellſchaftsordnung.

Die ſtaatsbürgerliche Geſellſchaftsordnung hat nun, wie ſie es immer
thut, aus den früheren Epochen diejenigen beiden Elemente hervor-

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[187/0209] feſtſtellt — die der Zurechnungsfähigkeit, welche der römiſchen pubertas, und die der Volljährigkeit, welche der römiſchen Majorennität ent- ſpricht; jene nur auf perſönliche, dieſe auf wirthſchaftliche Verhältniſſe bezogen, aber dennoch in der Jahresziffer verſchieden, meiſt vom 18. bis zum 24. Jahre. — Aus dem zweiten Punkte entwickelt ſich als ganz ſpezielles Recht dieſer Zeit das Recht des Lehnsherrn, der Tochter und Wittwe einen Mann zu geben, als Organ der Leiſtungen für die Lehnsherrn. — Beide Punkte zugleich, weſentlich auch in Verbindung mit dem Princip der Geſchlechterherrſchaft, nach welchem der König das Haupt aller Ascendenten und jetzt zugleich oberſter Lehnsherr iſt, erzeugen dann die Vorſtellung von einer noch ganz unbeſtimmten Vormundſchaft des Kö- nigs, die erſt in der folgenden Epoche zu einer amtlichen wird. Dieſe lehnsrechtliche Vormundſchaft iſt dann wieder verſchieden nach den ver- ſchiedenen Ländern. Die grundherrliche Vormundſchaft hat dagegen den Charakter der alten römiſchen tutela legetima des patronus; nur nimmt ſie gleich anfangs, da der Grundherr ſeine Rechte durch ſein Patrimonial- gericht ausübt, die Elemente des römiſchen Vormundſchaftsweſens in ſich auf; und ſo ſtehen beide Syſteme eine Zeit lang neben einander, bis ſeit dem ſechzehnten Jahrhundert mit den perſönlichen Leiſtungen der Va- ſallen auch die alte lehnsrechtliche Vormundſchaft verſchwindet, die ge- richtliche allenthalben an ihre Stelle tritt, und ſo die neueſte Geſtalt des Vormundſchaftsweſens eingeleitet wird, in der die Sache ſelbſt allerdings viel klarer und einfacher iſt, als die Theorie, welche aus Mangel an hiſtoriſchem Bewußtſein das Verſchiedene vermiſcht und große Unklarheiten erzeugt, bis in unſerem Jahrhundert das Vormundſchafts- weſen ſeine ziemlich definitive Geſtalt annimmt. Auch hier wäre die Vorausſetzung aller richtigen Behandlung das Verſtändniß der innern Entwicklung des ſtändiſchen Weſens und nament- lich ſeines Beſitzrechtes. Der Mangel deſſelben hat, da man aus den verſchiedenſten Angaben ein Gleiches machen wollte und in Deutſchland weder das franzöſiſche noch das engliſche verſtand, große Unklarheit er- zeugt, die leider auch auf unſere Zeit fortgewirkt hat. (Vgl. Stein in der angeführten Abhandlung S. 266 ff.) c) Das Vormundſchaftsweſen der gegenwärtigen ſtaatsbürgerlichen Geſellſchaftsordnung. Die ſtaatsbürgerliche Geſellſchaftsordnung hat nun, wie ſie es immer thut, aus den früheren Epochen diejenigen beiden Elemente hervor-

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 4. Stuttgart, 1867, S. 187. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre04_1867/209>, abgerufen am 29.03.2024.