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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 4. Stuttgart, 1867.

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das Recht der Ediktalcitation und Todeserklärungen mit aufzunehmen.
Solche Mängel sind immer die Folge davon, wenn man in der Kritik
die höchste Leistung der Wissenschaft zu sehen glaubt. Weit objektiver
und daher auch das ganze Recht der Verlassenschaft viel klarer dar-
stellend ist die gründliche Arbeit von Ph. v. Harrassowsky, Grund-
züge der Verlassenschaftsabhandlung nach österreichischem, im Vergleiche
mit gemeinem, preußischem und französischem Recht. 1862.

Eine selbständige Gesetzgebung über das Verlassenschaftswesen
als Ganzes besteht nur in Oesterreich in dem Gesetze über das gericht-
liche Verfahren außer Streitsachen vom 9. August 1854, Hauptstück II.
In den übrigen Staaten sind die betreffenden Bestimmungen sehr zer-
splittert, und daher eine Darstellung sehr schwer. Unger hat auch in
seinen sonst so reichen Citaten die gesetzlichen Bestimmungen über die
Todesfallserklärungen leider nicht aufgenommen. Warum hat der sonst
so umsichtige Harrassowsky nicht das positive Recht der Ediktalcita-
tionen spezieller nach den bestehenden Gesetzen behandelt?

1) Die Todesfallsaufnahme und Verschollenheitserklärung.

Der Tod ist in seinen rechtlichen Folgen ein Ereigniß, dessen ob-
jektive Gewißheit in jedem einzelnen Falle eine wichtige Bedingung des
ungestörten Verkehres der Lebenden ist. Das römische Recht nun hat
die Herstellung dieser Gewißheit als Sache jedes Einzelnen aufgefaßt;
im römischen Recht ist der Tod in keiner Beziehung eine öffentliche
Thatsache. Theils der Zusammenhang, in welchem in der germanischen
Welt jeder Einzelne mit seinem ständischen Körper steht, theils die Ent-
wicklung der Sanitätspolizei haben dagegen im germanischen Europa
die öffentlich rechtliche Constatirung des Todes erzeugt, und die Ver-
lassenschaftsbehandlung, für welche sie die erste Voraussetzung ist, haben
sie formell sehr genau bestimmt, so daß über den öffentlichen Werth
derselben kaum ein Zweifel obwaltet. Grundsatz ist dabei, daß diese
Todesfallserklärung in dem Grade umständlicher formulirt wird, in
welchem die Verwaltung sich mit der Verlassenschaft mehr beschäftigt.

Diese amtliche Anerkennung des Todes erscheint nun in zwei Formen.

Die erste ist die Todesfallsaufnahme, welche den Tod einer
gegenwärtigen Person gerichtlich constatirt. Sie ist, gegenüber dem
römischen Recht, als öffentliche Pflicht der dazu bestellten amtlichen
Organe anerkannt, ihre Formen sind vorgeschrieben, und ihr Recht ist
Anerkennung der durch sie bewiesenen Thatsache. Sie bezeichnet dem-
gemäß den Moment in dem Verlassenschaftswesen, wo die amtliche
Thätigkeit der Verlassenschaftsabhandlung zu beginnen hat.

Stein, die Verwaltungslehre. IV. 13

das Recht der Ediktalcitation und Todeserklärungen mit aufzunehmen.
Solche Mängel ſind immer die Folge davon, wenn man in der Kritik
die höchſte Leiſtung der Wiſſenſchaft zu ſehen glaubt. Weit objektiver
und daher auch das ganze Recht der Verlaſſenſchaft viel klarer dar-
ſtellend iſt die gründliche Arbeit von Ph. v. Harraſſowsky, Grund-
züge der Verlaſſenſchaftsabhandlung nach öſterreichiſchem, im Vergleiche
mit gemeinem, preußiſchem und franzöſiſchem Recht. 1862.

Eine ſelbſtändige Geſetzgebung über das Verlaſſenſchaftsweſen
als Ganzes beſteht nur in Oeſterreich in dem Geſetze über das gericht-
liche Verfahren außer Streitſachen vom 9. Auguſt 1854, Hauptſtück II.
In den übrigen Staaten ſind die betreffenden Beſtimmungen ſehr zer-
ſplittert, und daher eine Darſtellung ſehr ſchwer. Unger hat auch in
ſeinen ſonſt ſo reichen Citaten die geſetzlichen Beſtimmungen über die
Todesfallserklärungen leider nicht aufgenommen. Warum hat der ſonſt
ſo umſichtige Harraſſowsky nicht das poſitive Recht der Ediktalcita-
tionen ſpezieller nach den beſtehenden Geſetzen behandelt?

1) Die Todesfallsaufnahme und Verſchollenheitserklärung.

Der Tod iſt in ſeinen rechtlichen Folgen ein Ereigniß, deſſen ob-
jektive Gewißheit in jedem einzelnen Falle eine wichtige Bedingung des
ungeſtörten Verkehres der Lebenden iſt. Das römiſche Recht nun hat
die Herſtellung dieſer Gewißheit als Sache jedes Einzelnen aufgefaßt;
im römiſchen Recht iſt der Tod in keiner Beziehung eine öffentliche
Thatſache. Theils der Zuſammenhang, in welchem in der germaniſchen
Welt jeder Einzelne mit ſeinem ſtändiſchen Körper ſteht, theils die Ent-
wicklung der Sanitätspolizei haben dagegen im germaniſchen Europa
die öffentlich rechtliche Conſtatirung des Todes erzeugt, und die Ver-
laſſenſchaftsbehandlung, für welche ſie die erſte Vorausſetzung iſt, haben
ſie formell ſehr genau beſtimmt, ſo daß über den öffentlichen Werth
derſelben kaum ein Zweifel obwaltet. Grundſatz iſt dabei, daß dieſe
Todesfallserklärung in dem Grade umſtändlicher formulirt wird, in
welchem die Verwaltung ſich mit der Verlaſſenſchaft mehr beſchäftigt.

Dieſe amtliche Anerkennung des Todes erſcheint nun in zwei Formen.

Die erſte iſt die Todesfallsaufnahme, welche den Tod einer
gegenwärtigen Perſon gerichtlich conſtatirt. Sie iſt, gegenüber dem
römiſchen Recht, als öffentliche Pflicht der dazu beſtellten amtlichen
Organe anerkannt, ihre Formen ſind vorgeſchrieben, und ihr Recht iſt
Anerkennung der durch ſie bewieſenen Thatſache. Sie bezeichnet dem-
gemäß den Moment in dem Verlaſſenſchaftsweſen, wo die amtliche
Thätigkeit der Verlaſſenſchaftsabhandlung zu beginnen hat.

Stein, die Verwaltungslehre. IV. 13
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[193/0215] das Recht der Ediktalcitation und Todeserklärungen mit aufzunehmen. Solche Mängel ſind immer die Folge davon, wenn man in der Kritik die höchſte Leiſtung der Wiſſenſchaft zu ſehen glaubt. Weit objektiver und daher auch das ganze Recht der Verlaſſenſchaft viel klarer dar- ſtellend iſt die gründliche Arbeit von Ph. v. Harraſſowsky, Grund- züge der Verlaſſenſchaftsabhandlung nach öſterreichiſchem, im Vergleiche mit gemeinem, preußiſchem und franzöſiſchem Recht. 1862. Eine ſelbſtändige Geſetzgebung über das Verlaſſenſchaftsweſen als Ganzes beſteht nur in Oeſterreich in dem Geſetze über das gericht- liche Verfahren außer Streitſachen vom 9. Auguſt 1854, Hauptſtück II. In den übrigen Staaten ſind die betreffenden Beſtimmungen ſehr zer- ſplittert, und daher eine Darſtellung ſehr ſchwer. Unger hat auch in ſeinen ſonſt ſo reichen Citaten die geſetzlichen Beſtimmungen über die Todesfallserklärungen leider nicht aufgenommen. Warum hat der ſonſt ſo umſichtige Harraſſowsky nicht das poſitive Recht der Ediktalcita- tionen ſpezieller nach den beſtehenden Geſetzen behandelt? 1) Die Todesfallsaufnahme und Verſchollenheitserklärung. Der Tod iſt in ſeinen rechtlichen Folgen ein Ereigniß, deſſen ob- jektive Gewißheit in jedem einzelnen Falle eine wichtige Bedingung des ungeſtörten Verkehres der Lebenden iſt. Das römiſche Recht nun hat die Herſtellung dieſer Gewißheit als Sache jedes Einzelnen aufgefaßt; im römiſchen Recht iſt der Tod in keiner Beziehung eine öffentliche Thatſache. Theils der Zuſammenhang, in welchem in der germaniſchen Welt jeder Einzelne mit ſeinem ſtändiſchen Körper ſteht, theils die Ent- wicklung der Sanitätspolizei haben dagegen im germaniſchen Europa die öffentlich rechtliche Conſtatirung des Todes erzeugt, und die Ver- laſſenſchaftsbehandlung, für welche ſie die erſte Vorausſetzung iſt, haben ſie formell ſehr genau beſtimmt, ſo daß über den öffentlichen Werth derſelben kaum ein Zweifel obwaltet. Grundſatz iſt dabei, daß dieſe Todesfallserklärung in dem Grade umſtändlicher formulirt wird, in welchem die Verwaltung ſich mit der Verlaſſenſchaft mehr beſchäftigt. Dieſe amtliche Anerkennung des Todes erſcheint nun in zwei Formen. Die erſte iſt die Todesfallsaufnahme, welche den Tod einer gegenwärtigen Perſon gerichtlich conſtatirt. Sie iſt, gegenüber dem römiſchen Recht, als öffentliche Pflicht der dazu beſtellten amtlichen Organe anerkannt, ihre Formen ſind vorgeſchrieben, und ihr Recht iſt Anerkennung der durch ſie bewieſenen Thatſache. Sie bezeichnet dem- gemäß den Moment in dem Verlaſſenſchaftsweſen, wo die amtliche Thätigkeit der Verlaſſenſchaftsabhandlung zu beginnen hat. Stein, die Verwaltungslehre. IV. 13

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 4. Stuttgart, 1867, S. 193. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre04_1867/215>, abgerufen am 29.03.2024.