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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 4. Stuttgart, 1867.

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Die Literatur erscheint hier nur als Commentar zu den betreffen-
den Stellen des Gesetzes, und eben deßhalb meist ohne klare Unter-
scheidung der Verlassenschaftspflege und der Erbschaftstheilung und Ein-
weisung. Rönne (Staatsrecht II. §. 320) scheidet das viel besser wie
Unger -- "diese Verfügungen haben die Natur eines Arrestschlages" --
preußische allgemeine Gerichtsordnung I. 3. 29. 30. Das ganze öster-
reichische Verfahren ist freilich überhaupt auf der grundsätzlichen, mög-
lichst ausgedehnten Einengung des Gerichtes berechnet, die Unger mit
vernichtender Kritik bezeichnet hat; und wenn Harrassowsky gegen
ihn in Beziehung auf die materielle Seite der Sache gewiß Recht hat,
so glauben wir, daß im öffentlichen Interesse das bisherige Verfahren
kein haltbares sein kann.

3) Die Erbschaftseinweisung und Erbschaftstheilung.

Die Erbschaftseinweisung (Einantwortung) und Erbschaftstheilung
bezeichnen nun denjenigen Akt, durch welchen da, wo das Amt den
Besitz der Verlassenschaft hat übernehmen müssen, dieser Besitz den
als berechtigt Erklärten ausgeliefert wird
. Es ist grundsätz-
lich falsch, daß bei gesetzlichen Erben das Gericht überhaupt in diesen
Besitz gelange, oder daß auch für diese eine amtliche Erbeseinweisung
erfolgen müsse. Es ist aber unthunlich, dieß da zu vermeiden, wo das
Erbrecht -- nicht das Recht auf Vermächtnisse -- selbst streitig ist. Der
daraus folgende an sich einfache Grundsatz, daß im letzteren Falle das
Amt die Betheiligten selbst, ohne sein Zuthun, sich ein gerichtliches
Urtheil erwirken lasse, um auf Grundlage dieses Urtheils Einweisung
und Theilung vorzunehmen, soll im Interesse des wirthschaftlichen Lebens
dahin geändert werden, daß durch Intervention des Erbschaftsamts
diese rechtlichen Fragen durch ein kurzes Vergleichsverfahren er-
ledigt werden. Dieß Vergleichsverfahren hat nur auf die Erben Bezug;
alle andern Berechtigten sind auf diese anzuweisen; es ist gänzlich
falsch, Erledigung dritter Berechtigungen als Bedingung für die Erbschafts-
einweisung aufzustellen, und dem Erben "nur den reinen Nachlaß ein-
antworten zu wollen." Dagegen ist es richtig, daß, wenn bei Erb-
theilungen Abschätzungen, Verkäufe u. s. w. zum Zweck derselben vor-
genommen werden müssen, diese vom Gericht als Erbschaftsamt voll-
zogen werden.


In der Einweisung und Theilung der Erbschaften zeigen sich die
drei Systeme des geltenden Rechtes für das gesammte Verlassenschafts-
wesen am deutlichsten; das französische, das die Erbeseinweisung

Die Literatur erſcheint hier nur als Commentar zu den betreffen-
den Stellen des Geſetzes, und eben deßhalb meiſt ohne klare Unter-
ſcheidung der Verlaſſenſchaftspflege und der Erbſchaftstheilung und Ein-
weiſung. Rönne (Staatsrecht II. §. 320) ſcheidet das viel beſſer wie
Unger — „dieſe Verfügungen haben die Natur eines Arreſtſchlages“ —
preußiſche allgemeine Gerichtsordnung I. 3. 29. 30. Das ganze öſter-
reichiſche Verfahren iſt freilich überhaupt auf der grundſätzlichen, mög-
lichſt ausgedehnten Einengung des Gerichtes berechnet, die Unger mit
vernichtender Kritik bezeichnet hat; und wenn Harraſſowsky gegen
ihn in Beziehung auf die materielle Seite der Sache gewiß Recht hat,
ſo glauben wir, daß im öffentlichen Intereſſe das bisherige Verfahren
kein haltbares ſein kann.

3) Die Erbſchaftseinweiſung und Erbſchaftstheilung.

Die Erbſchaftseinweiſung (Einantwortung) und Erbſchaftstheilung
bezeichnen nun denjenigen Akt, durch welchen da, wo das Amt den
Beſitz der Verlaſſenſchaft hat übernehmen müſſen, dieſer Beſitz den
als berechtigt Erklärten ausgeliefert wird
. Es iſt grundſätz-
lich falſch, daß bei geſetzlichen Erben das Gericht überhaupt in dieſen
Beſitz gelange, oder daß auch für dieſe eine amtliche Erbeseinweiſung
erfolgen müſſe. Es iſt aber unthunlich, dieß da zu vermeiden, wo das
Erbrecht — nicht das Recht auf Vermächtniſſe — ſelbſt ſtreitig iſt. Der
daraus folgende an ſich einfache Grundſatz, daß im letzteren Falle das
Amt die Betheiligten ſelbſt, ohne ſein Zuthun, ſich ein gerichtliches
Urtheil erwirken laſſe, um auf Grundlage dieſes Urtheils Einweiſung
und Theilung vorzunehmen, ſoll im Intereſſe des wirthſchaftlichen Lebens
dahin geändert werden, daß durch Intervention des Erbſchaftsamts
dieſe rechtlichen Fragen durch ein kurzes Vergleichsverfahren er-
ledigt werden. Dieß Vergleichsverfahren hat nur auf die Erben Bezug;
alle andern Berechtigten ſind auf dieſe anzuweiſen; es iſt gänzlich
falſch, Erledigung dritter Berechtigungen als Bedingung für die Erbſchafts-
einweiſung aufzuſtellen, und dem Erben „nur den reinen Nachlaß ein-
antworten zu wollen.“ Dagegen iſt es richtig, daß, wenn bei Erb-
theilungen Abſchätzungen, Verkäufe u. ſ. w. zum Zweck derſelben vor-
genommen werden müſſen, dieſe vom Gericht als Erbſchaftsamt voll-
zogen werden.


In der Einweiſung und Theilung der Erbſchaften zeigen ſich die
drei Syſteme des geltenden Rechtes für das geſammte Verlaſſenſchafts-
weſen am deutlichſten; das franzöſiſche, das die Erbeseinweiſung

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[196/0218] Die Literatur erſcheint hier nur als Commentar zu den betreffen- den Stellen des Geſetzes, und eben deßhalb meiſt ohne klare Unter- ſcheidung der Verlaſſenſchaftspflege und der Erbſchaftstheilung und Ein- weiſung. Rönne (Staatsrecht II. §. 320) ſcheidet das viel beſſer wie Unger — „dieſe Verfügungen haben die Natur eines Arreſtſchlages“ — preußiſche allgemeine Gerichtsordnung I. 3. 29. 30. Das ganze öſter- reichiſche Verfahren iſt freilich überhaupt auf der grundſätzlichen, mög- lichſt ausgedehnten Einengung des Gerichtes berechnet, die Unger mit vernichtender Kritik bezeichnet hat; und wenn Harraſſowsky gegen ihn in Beziehung auf die materielle Seite der Sache gewiß Recht hat, ſo glauben wir, daß im öffentlichen Intereſſe das bisherige Verfahren kein haltbares ſein kann. 3) Die Erbſchaftseinweiſung und Erbſchaftstheilung. Die Erbſchaftseinweiſung (Einantwortung) und Erbſchaftstheilung bezeichnen nun denjenigen Akt, durch welchen da, wo das Amt den Beſitz der Verlaſſenſchaft hat übernehmen müſſen, dieſer Beſitz den als berechtigt Erklärten ausgeliefert wird. Es iſt grundſätz- lich falſch, daß bei geſetzlichen Erben das Gericht überhaupt in dieſen Beſitz gelange, oder daß auch für dieſe eine amtliche Erbeseinweiſung erfolgen müſſe. Es iſt aber unthunlich, dieß da zu vermeiden, wo das Erbrecht — nicht das Recht auf Vermächtniſſe — ſelbſt ſtreitig iſt. Der daraus folgende an ſich einfache Grundſatz, daß im letzteren Falle das Amt die Betheiligten ſelbſt, ohne ſein Zuthun, ſich ein gerichtliches Urtheil erwirken laſſe, um auf Grundlage dieſes Urtheils Einweiſung und Theilung vorzunehmen, ſoll im Intereſſe des wirthſchaftlichen Lebens dahin geändert werden, daß durch Intervention des Erbſchaftsamts dieſe rechtlichen Fragen durch ein kurzes Vergleichsverfahren er- ledigt werden. Dieß Vergleichsverfahren hat nur auf die Erben Bezug; alle andern Berechtigten ſind auf dieſe anzuweiſen; es iſt gänzlich falſch, Erledigung dritter Berechtigungen als Bedingung für die Erbſchafts- einweiſung aufzuſtellen, und dem Erben „nur den reinen Nachlaß ein- antworten zu wollen.“ Dagegen iſt es richtig, daß, wenn bei Erb- theilungen Abſchätzungen, Verkäufe u. ſ. w. zum Zweck derſelben vor- genommen werden müſſen, dieſe vom Gericht als Erbſchaftsamt voll- zogen werden. In der Einweiſung und Theilung der Erbſchaften zeigen ſich die drei Syſteme des geltenden Rechtes für das geſammte Verlaſſenſchafts- weſen am deutlichſten; das franzöſiſche, das die Erbeseinweiſung

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 4. Stuttgart, 1867, S. 196. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre04_1867/218>, abgerufen am 29.03.2024.