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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 4. Stuttgart, 1867.

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für die Aufrechthaltung der öffentlichen Sicherheit geben will. Und
auf diese Weise wird das Recht die Verwaltungspolizei, während es
die Sicherheit aller gewährt, andererseits als eine Gefährdung der
öffentlichen Frreiheit des Einzelnen erscheinen
.

Es ist dieß der Punkt, auf welchem sich die mit dem vorigen
Jahrhundert entstehende tiefe Abneigung gegen ein Institut und ein
Recht erklärt, dessen Nothwendigkeit und Nützlichkeit dennoch von nie-
mandem bezweifelt ward. So wie die staatsbürgerliche Gesellschaft auf-
tritt, wird das Gefühl allgemein, daß die Unverletzlichkeit der indivi-
duellen Rechtssphäre die erste Bedingung der staatsbürgerlichen Freiheit
und Entwicklung, und daß daher in jener Gestalt des Polizeirechts
der lebendige und demnach nie zu beseitigende Feind der freien Bewegung
des Volks gegeben sei. Dieser Gegensatz charakterisirt nun das Ende
des vorigen und den Anfang des gegenwärtigen Jahrhunderts, und
der Haupteindruck desselben besteht in der Thatsache, daß man über-
haupt gar nicht zu einem Begriff oder einer Anerkennung des Rechts
der Polizei kommt, sondern von vorn herein geneigt ist, alles, was
"Polizei" bedeutet, als gleichbedeutend mit Reaktion und Regierungs-
willkür anzusehen, was natürlich dadurch nur noch allgemeiner ward,
daß man ohnehin keine Selbstverwaltung zuließ, und das Vereinswesen
auf der niedersten Stufe stand. Das war im Allgemeinen der Stand-
punkt dieser Zeit; derselbe ist aber kein europäischer, sondern ein spe-
cifisch deutscher, indem Frankreich schon damals die Polizei mit ihrem
Recht sehr klar anerkannte und behandelte, während England sie durch
seine Gesetze mit vollem Bewußtsein auf ihr geringstes Maß zurück-
führte. Auch in Deutschland wird dieß mit dem Siege der freien Auf-
fassung allgemein, und damit beginnt die Epoche, in der wir gegen-
wärtig stehen.

So wie nämlich das freie Staatsbürgerthum in dem öffentlichen
Recht zum Siege gelangt, wird es klar, daß auch die freieste Verfas-
sung der Polizei und ihres Rechtes nicht entbehren kann, und daß daher
nicht in der Beseitigung der Polizei, sondern vielmehr in der Zurück-
führung derselben auf ihr richtiges Maß die wahre Aufgabe der
staatsbürgerlichen Epoche liege. Damit nun entstand das Streben, diese
Beschränkung derselben auf das Nothwendige für die öffentliche Sicher-
heit auch wirklich zu formuliren, und so mit der Sicherung des Ein-
zelnen vor öffentlichen Gefahren auch die Sicherung der freien Be-
wegung des Volkes vor der Polizei zu verbinden. Aus diesem Streben
entsteht nun das, was wir das verfassungsmäßige Polizeirecht
nennen, und das in Princip, Umfang und Form ein wesentlich charak-
teristisches Element des gesammten öffentlichen Rechts bildet.

für die Aufrechthaltung der öffentlichen Sicherheit geben will. Und
auf dieſe Weiſe wird das Recht die Verwaltungspolizei, während es
die Sicherheit aller gewährt, andererſeits als eine Gefährdung der
öffentlichen Frreiheit des Einzelnen erſcheinen
.

Es iſt dieß der Punkt, auf welchem ſich die mit dem vorigen
Jahrhundert entſtehende tiefe Abneigung gegen ein Inſtitut und ein
Recht erklärt, deſſen Nothwendigkeit und Nützlichkeit dennoch von nie-
mandem bezweifelt ward. So wie die ſtaatsbürgerliche Geſellſchaft auf-
tritt, wird das Gefühl allgemein, daß die Unverletzlichkeit der indivi-
duellen Rechtsſphäre die erſte Bedingung der ſtaatsbürgerlichen Freiheit
und Entwicklung, und daß daher in jener Geſtalt des Polizeirechts
der lebendige und demnach nie zu beſeitigende Feind der freien Bewegung
des Volks gegeben ſei. Dieſer Gegenſatz charakteriſirt nun das Ende
des vorigen und den Anfang des gegenwärtigen Jahrhunderts, und
der Haupteindruck deſſelben beſteht in der Thatſache, daß man über-
haupt gar nicht zu einem Begriff oder einer Anerkennung des Rechts
der Polizei kommt, ſondern von vorn herein geneigt iſt, alles, was
„Polizei“ bedeutet, als gleichbedeutend mit Reaktion und Regierungs-
willkür anzuſehen, was natürlich dadurch nur noch allgemeiner ward,
daß man ohnehin keine Selbſtverwaltung zuließ, und das Vereinsweſen
auf der niederſten Stufe ſtand. Das war im Allgemeinen der Stand-
punkt dieſer Zeit; derſelbe iſt aber kein europäiſcher, ſondern ein ſpe-
cifiſch deutſcher, indem Frankreich ſchon damals die Polizei mit ihrem
Recht ſehr klar anerkannte und behandelte, während England ſie durch
ſeine Geſetze mit vollem Bewußtſein auf ihr geringſtes Maß zurück-
führte. Auch in Deutſchland wird dieß mit dem Siege der freien Auf-
faſſung allgemein, und damit beginnt die Epoche, in der wir gegen-
wärtig ſtehen.

So wie nämlich das freie Staatsbürgerthum in dem öffentlichen
Recht zum Siege gelangt, wird es klar, daß auch die freieſte Verfaſ-
ſung der Polizei und ihres Rechtes nicht entbehren kann, und daß daher
nicht in der Beſeitigung der Polizei, ſondern vielmehr in der Zurück-
führung derſelben auf ihr richtiges Maß die wahre Aufgabe der
ſtaatsbürgerlichen Epoche liege. Damit nun entſtand das Streben, dieſe
Beſchränkung derſelben auf das Nothwendige für die öffentliche Sicher-
heit auch wirklich zu formuliren, und ſo mit der Sicherung des Ein-
zelnen vor öffentlichen Gefahren auch die Sicherung der freien Be-
wegung des Volkes vor der Polizei zu verbinden. Aus dieſem Streben
entſteht nun das, was wir das verfaſſungsmäßige Polizeirecht
nennen, und das in Princip, Umfang und Form ein weſentlich charak-
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[28/0050] für die Aufrechthaltung der öffentlichen Sicherheit geben will. Und auf dieſe Weiſe wird das Recht die Verwaltungspolizei, während es die Sicherheit aller gewährt, andererſeits als eine Gefährdung der öffentlichen Frreiheit des Einzelnen erſcheinen. Es iſt dieß der Punkt, auf welchem ſich die mit dem vorigen Jahrhundert entſtehende tiefe Abneigung gegen ein Inſtitut und ein Recht erklärt, deſſen Nothwendigkeit und Nützlichkeit dennoch von nie- mandem bezweifelt ward. So wie die ſtaatsbürgerliche Geſellſchaft auf- tritt, wird das Gefühl allgemein, daß die Unverletzlichkeit der indivi- duellen Rechtsſphäre die erſte Bedingung der ſtaatsbürgerlichen Freiheit und Entwicklung, und daß daher in jener Geſtalt des Polizeirechts der lebendige und demnach nie zu beſeitigende Feind der freien Bewegung des Volks gegeben ſei. Dieſer Gegenſatz charakteriſirt nun das Ende des vorigen und den Anfang des gegenwärtigen Jahrhunderts, und der Haupteindruck deſſelben beſteht in der Thatſache, daß man über- haupt gar nicht zu einem Begriff oder einer Anerkennung des Rechts der Polizei kommt, ſondern von vorn herein geneigt iſt, alles, was „Polizei“ bedeutet, als gleichbedeutend mit Reaktion und Regierungs- willkür anzuſehen, was natürlich dadurch nur noch allgemeiner ward, daß man ohnehin keine Selbſtverwaltung zuließ, und das Vereinsweſen auf der niederſten Stufe ſtand. Das war im Allgemeinen der Stand- punkt dieſer Zeit; derſelbe iſt aber kein europäiſcher, ſondern ein ſpe- cifiſch deutſcher, indem Frankreich ſchon damals die Polizei mit ihrem Recht ſehr klar anerkannte und behandelte, während England ſie durch ſeine Geſetze mit vollem Bewußtſein auf ihr geringſtes Maß zurück- führte. Auch in Deutſchland wird dieß mit dem Siege der freien Auf- faſſung allgemein, und damit beginnt die Epoche, in der wir gegen- wärtig ſtehen. So wie nämlich das freie Staatsbürgerthum in dem öffentlichen Recht zum Siege gelangt, wird es klar, daß auch die freieſte Verfaſ- ſung der Polizei und ihres Rechtes nicht entbehren kann, und daß daher nicht in der Beſeitigung der Polizei, ſondern vielmehr in der Zurück- führung derſelben auf ihr richtiges Maß die wahre Aufgabe der ſtaatsbürgerlichen Epoche liege. Damit nun entſtand das Streben, dieſe Beſchränkung derſelben auf das Nothwendige für die öffentliche Sicher- heit auch wirklich zu formuliren, und ſo mit der Sicherung des Ein- zelnen vor öffentlichen Gefahren auch die Sicherung der freien Be- wegung des Volkes vor der Polizei zu verbinden. Aus dieſem Streben entſteht nun das, was wir das verfaſſungsmäßige Polizeirecht nennen, und das in Princip, Umfang und Form ein weſentlich charak- teriſtiſches Element des geſammten öffentlichen Rechts bildet.

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 4. Stuttgart, 1867, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre04_1867/50>, abgerufen am 19.04.2024.