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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 4. Stuttgart, 1867.

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nicht genügte, eine Reihe einzelner Verordnungen über den Waffen-
gebrauch erließ, und zwar mit spezieller Beziehung auf diejenigen poli-
zeilichen Organe, deren Funktion gelegentliche Selbsthülfe erforderlich
macht. Die dadurch entstandenen speziellen Bestimmungen bilden daher
den dritten Theil des Rechts der polizeilichen Waffengewalt.

Wenn man die darauf bezüglichen Verfügungen übersieht, so ist
es deutlich erkennbar, daß sie eigentlich mehr aus dem einzelnen Be-
dürfniß, als aus einem bestimmten, klar anerkannten, gemeinsamen
Princip hervorgegangen sind. Sie sind daher auch so viel wir sehen
da, wo solche bestehen, stückweise und ohne Zusammenhang entstan-
den, haben nirgends gesetzliche Sanktion empfangen, sind auch nir-
gends Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchung geworden, und die
Theorie ist daher, da der Mangel an Berücksichtigung derselben auch
nicht einmal eine Sammlung hervorgerufen hat, auf ein sehr geringes
Material angewiesen. Dennoch liegt dem Ganzen ein gemeinsamer
Gedanke -- oder Gefühl -- zum Grunde, und es ist dadurch möglich,
auch allgemeine Grundsätze für diese einzelnen Bestimmungen aufzu-
stellen, und damit die wissenschaftliche Behandlung zu begründen.

I. Ohne Zweifel muß angenommen werden, daß die Anwendung
der Waffengewalt zum Zwecke der Vollziehung, nach Herstellung der
Gendarmerie allenthalben ausgeschlossen ist, wo nicht eine bestimmte
öffentliche Vorschrift sie zuläßt, so daß die Anwendung der Waffe außer-
halb dieser gesetzlich bestimmten Gränze ein Vergehen, eventuell ein
Verbrechen des vollziehenden Organs constituirt.

II. Niemals soll einem solchen Organ eine Waffe gegeben werden,
wenn es nicht mit solchen bestimmten Vorschriften über die Anwendung
der Waffe versehen ist, deren genauere Kenntniß Pflicht des Betreffen-
den ist.

III. Die Betheiligung mit der Waffe und dem öffentlichen Waffen-
recht soll nur da erfolgen, wo voraussichtlich der Zwang gegen den
Widerstand keine genügende und augenblickliche Hülfe des eigentlichen
polizeilichen Waffenkörpers finden wird.

IV. Diese Betheiligung, als eine grundsätzliche und unter Umstän-
den tief eingreifende Beschränkung der staatsbürgerlichen Freiheit, soll nie
auf dem Wege der Verordnung, sondern nur als Gesetz erlassen werden.

V. Die wirkliche Anwendung der Waffe geschieht stets unter straf-
rechtlicher Haftung des Polizeiorganes.


Wir können nicht verhehlen, daß sowohl die bisherige Literatur
als die Gesetzgebung den Anforderungen, welche man hier machen muß,

nicht genügte, eine Reihe einzelner Verordnungen über den Waffen-
gebrauch erließ, und zwar mit ſpezieller Beziehung auf diejenigen poli-
zeilichen Organe, deren Funktion gelegentliche Selbſthülfe erforderlich
macht. Die dadurch entſtandenen ſpeziellen Beſtimmungen bilden daher
den dritten Theil des Rechts der polizeilichen Waffengewalt.

Wenn man die darauf bezüglichen Verfügungen überſieht, ſo iſt
es deutlich erkennbar, daß ſie eigentlich mehr aus dem einzelnen Be-
dürfniß, als aus einem beſtimmten, klar anerkannten, gemeinſamen
Princip hervorgegangen ſind. Sie ſind daher auch ſo viel wir ſehen
da, wo ſolche beſtehen, ſtückweiſe und ohne Zuſammenhang entſtan-
den, haben nirgends geſetzliche Sanktion empfangen, ſind auch nir-
gends Gegenſtand wiſſenſchaftlicher Unterſuchung geworden, und die
Theorie iſt daher, da der Mangel an Berückſichtigung derſelben auch
nicht einmal eine Sammlung hervorgerufen hat, auf ein ſehr geringes
Material angewieſen. Dennoch liegt dem Ganzen ein gemeinſamer
Gedanke — oder Gefühl — zum Grunde, und es iſt dadurch möglich,
auch allgemeine Grundſätze für dieſe einzelnen Beſtimmungen aufzu-
ſtellen, und damit die wiſſenſchaftliche Behandlung zu begründen.

I. Ohne Zweifel muß angenommen werden, daß die Anwendung
der Waffengewalt zum Zwecke der Vollziehung, nach Herſtellung der
Gendarmerie allenthalben ausgeſchloſſen iſt, wo nicht eine beſtimmte
öffentliche Vorſchrift ſie zuläßt, ſo daß die Anwendung der Waffe außer-
halb dieſer geſetzlich beſtimmten Gränze ein Vergehen, eventuell ein
Verbrechen des vollziehenden Organs conſtituirt.

II. Niemals ſoll einem ſolchen Organ eine Waffe gegeben werden,
wenn es nicht mit ſolchen beſtimmten Vorſchriften über die Anwendung
der Waffe verſehen iſt, deren genauere Kenntniß Pflicht des Betreffen-
den iſt.

III. Die Betheiligung mit der Waffe und dem öffentlichen Waffen-
recht ſoll nur da erfolgen, wo vorausſichtlich der Zwang gegen den
Widerſtand keine genügende und augenblickliche Hülfe des eigentlichen
polizeilichen Waffenkörpers finden wird.

IV. Dieſe Betheiligung, als eine grundſätzliche und unter Umſtän-
den tief eingreifende Beſchränkung der ſtaatsbürgerlichen Freiheit, ſoll nie
auf dem Wege der Verordnung, ſondern nur als Geſetz erlaſſen werden.

V. Die wirkliche Anwendung der Waffe geſchieht ſtets unter ſtraf-
rechtlicher Haftung des Polizeiorganes.


Wir können nicht verhehlen, daß ſowohl die bisherige Literatur
als die Geſetzgebung den Anforderungen, welche man hier machen muß,

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[71/0093] nicht genügte, eine Reihe einzelner Verordnungen über den Waffen- gebrauch erließ, und zwar mit ſpezieller Beziehung auf diejenigen poli- zeilichen Organe, deren Funktion gelegentliche Selbſthülfe erforderlich macht. Die dadurch entſtandenen ſpeziellen Beſtimmungen bilden daher den dritten Theil des Rechts der polizeilichen Waffengewalt. Wenn man die darauf bezüglichen Verfügungen überſieht, ſo iſt es deutlich erkennbar, daß ſie eigentlich mehr aus dem einzelnen Be- dürfniß, als aus einem beſtimmten, klar anerkannten, gemeinſamen Princip hervorgegangen ſind. Sie ſind daher auch ſo viel wir ſehen da, wo ſolche beſtehen, ſtückweiſe und ohne Zuſammenhang entſtan- den, haben nirgends geſetzliche Sanktion empfangen, ſind auch nir- gends Gegenſtand wiſſenſchaftlicher Unterſuchung geworden, und die Theorie iſt daher, da der Mangel an Berückſichtigung derſelben auch nicht einmal eine Sammlung hervorgerufen hat, auf ein ſehr geringes Material angewieſen. Dennoch liegt dem Ganzen ein gemeinſamer Gedanke — oder Gefühl — zum Grunde, und es iſt dadurch möglich, auch allgemeine Grundſätze für dieſe einzelnen Beſtimmungen aufzu- ſtellen, und damit die wiſſenſchaftliche Behandlung zu begründen. I. Ohne Zweifel muß angenommen werden, daß die Anwendung der Waffengewalt zum Zwecke der Vollziehung, nach Herſtellung der Gendarmerie allenthalben ausgeſchloſſen iſt, wo nicht eine beſtimmte öffentliche Vorſchrift ſie zuläßt, ſo daß die Anwendung der Waffe außer- halb dieſer geſetzlich beſtimmten Gränze ein Vergehen, eventuell ein Verbrechen des vollziehenden Organs conſtituirt. II. Niemals ſoll einem ſolchen Organ eine Waffe gegeben werden, wenn es nicht mit ſolchen beſtimmten Vorſchriften über die Anwendung der Waffe verſehen iſt, deren genauere Kenntniß Pflicht des Betreffen- den iſt. III. Die Betheiligung mit der Waffe und dem öffentlichen Waffen- recht ſoll nur da erfolgen, wo vorausſichtlich der Zwang gegen den Widerſtand keine genügende und augenblickliche Hülfe des eigentlichen polizeilichen Waffenkörpers finden wird. IV. Dieſe Betheiligung, als eine grundſätzliche und unter Umſtän- den tief eingreifende Beſchränkung der ſtaatsbürgerlichen Freiheit, ſoll nie auf dem Wege der Verordnung, ſondern nur als Geſetz erlaſſen werden. V. Die wirkliche Anwendung der Waffe geſchieht ſtets unter ſtraf- rechtlicher Haftung des Polizeiorganes. Wir können nicht verhehlen, daß ſowohl die bisherige Literatur als die Geſetzgebung den Anforderungen, welche man hier machen muß,

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 4. Stuttgart, 1867, S. 71. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre04_1867/93>, abgerufen am 24.04.2024.