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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 5. Stuttgart, 1868.

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mit den Klassikern selbst die ewig junge Quelle solcher Auffassungen
und Anschauungen ist, das wird von Niemanden bestritten. Die klassische
Bildung ist daher unschätzbar, vielleicht nicht so sehr durch das was sie
enthält und bietet, sondern vielmehr durch das was sie anregt. Die
Kenntnisse, die man durch sie gewinnt, sind zum Theil unbedeutend;
aber die Fähigkeit sie zu behandeln, wird zur Fähigkeit des Einzelnen,
auch die am fernsten liegenden Dinge in seinen Gesichtskreis zu ziehen
und sich anzueignen; und die Entwicklung jedes Berufs zu einem Theile
des Weltlebens gibt eben dieser Fähigkeit einen unschätzbaren Werth.
Durch die Klassiker haben wir die geistige Berufsbildung von der stän-
dischen Beschränktheit frei gemacht; die klassische Bildung ist es, welche
uns vor der staatsbürgerlichen Beschränktheit zu bewahren berufen ist.


Dieß nun ist das Berufsbildungswesen an sich, seinem Begriff und
seinem organischen Inhalt nach. In der Wirklichkeit aber empfängt
dasselbe erst seine Gestalt und Geltung durch sein Verhältniß zum Staat
und seiner Verwaltung, durch welche es zu einem Theile des öffent-
lichen Rechts wird. Für dieß ist das Obige nur noch die Voraussetzung:
aber freilich ist das letztere ohne das erstere in seiner festen Ordnung
wie in seiner Entwicklung nicht zu verstehen.

II. Das öffentliche Berufsbildungswesen, sein Recht und sein System.
1) Begriff und Princip.

Dem organischen Begriffe des Berufsbildungswesens gegenüber ent-
steht nun der formelle Begriff und Inhalt des öffentlichen Rechts
desselben, indem die Gesammtheit der für diese Berufsbildungsanstalten
im weitesten Sinne bestimmten oder nothwendigen Thätigkeiten als
Aufgaben der Verwaltung erscheinen. Das öffentliche Berufsbildungs-
wesen ist demnach die Gesammtheit dessen, was die Organe der Ver-
waltung mit den ihnen zu Gebot stehenden Mitteln für wissenschaftliche,
volkswirthschaftliche und künstlerische Berufsbildung in Vorbildung und
Fachbildung wirklich leisten. Das ist der formale Begriff desselben.

Das Verständniß einerseits, und das formale System andererseits
für das öffentliche Berufsbildungswesen beruhen nun hier wie bei der
Volksbildung auf dem Gegensatz, der zwischen der individuellen Thätig-
keit und der des persönlichen Staats erscheint, und dessen Ausgang
hier wie immer in allem dem, was als Bedingung der Gesammtent-
wicklung dasteht, in der Unterordnung des Individuellen unter das
Gemeinsame erscheint.

mit den Klaſſikern ſelbſt die ewig junge Quelle ſolcher Auffaſſungen
und Anſchauungen iſt, das wird von Niemanden beſtritten. Die klaſſiſche
Bildung iſt daher unſchätzbar, vielleicht nicht ſo ſehr durch das was ſie
enthält und bietet, ſondern vielmehr durch das was ſie anregt. Die
Kenntniſſe, die man durch ſie gewinnt, ſind zum Theil unbedeutend;
aber die Fähigkeit ſie zu behandeln, wird zur Fähigkeit des Einzelnen,
auch die am fernſten liegenden Dinge in ſeinen Geſichtskreis zu ziehen
und ſich anzueignen; und die Entwicklung jedes Berufs zu einem Theile
des Weltlebens gibt eben dieſer Fähigkeit einen unſchätzbaren Werth.
Durch die Klaſſiker haben wir die geiſtige Berufsbildung von der ſtän-
diſchen Beſchränktheit frei gemacht; die klaſſiſche Bildung iſt es, welche
uns vor der ſtaatsbürgerlichen Beſchränktheit zu bewahren berufen iſt.


Dieß nun iſt das Berufsbildungsweſen an ſich, ſeinem Begriff und
ſeinem organiſchen Inhalt nach. In der Wirklichkeit aber empfängt
daſſelbe erſt ſeine Geſtalt und Geltung durch ſein Verhältniß zum Staat
und ſeiner Verwaltung, durch welche es zu einem Theile des öffent-
lichen Rechts wird. Für dieß iſt das Obige nur noch die Vorausſetzung:
aber freilich iſt das letztere ohne das erſtere in ſeiner feſten Ordnung
wie in ſeiner Entwicklung nicht zu verſtehen.

II. Das öffentliche Berufsbildungsweſen, ſein Recht und ſein Syſtem.
1) Begriff und Princip.

Dem organiſchen Begriffe des Berufsbildungsweſens gegenüber ent-
ſteht nun der formelle Begriff und Inhalt des öffentlichen Rechts
deſſelben, indem die Geſammtheit der für dieſe Berufsbildungsanſtalten
im weiteſten Sinne beſtimmten oder nothwendigen Thätigkeiten als
Aufgaben der Verwaltung erſcheinen. Das öffentliche Berufsbildungs-
weſen iſt demnach die Geſammtheit deſſen, was die Organe der Ver-
waltung mit den ihnen zu Gebot ſtehenden Mitteln für wiſſenſchaftliche,
volkswirthſchaftliche und künſtleriſche Berufsbildung in Vorbildung und
Fachbildung wirklich leiſten. Das iſt der formale Begriff deſſelben.

Das Verſtändniß einerſeits, und das formale Syſtem andererſeits
für das öffentliche Berufsbildungsweſen beruhen nun hier wie bei der
Volksbildung auf dem Gegenſatz, der zwiſchen der individuellen Thätig-
keit und der des perſönlichen Staats erſcheint, und deſſen Ausgang
hier wie immer in allem dem, was als Bedingung der Geſammtent-
wicklung daſteht, in der Unterordnung des Individuellen unter das
Gemeinſame erſcheint.

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[159/0187] mit den Klaſſikern ſelbſt die ewig junge Quelle ſolcher Auffaſſungen und Anſchauungen iſt, das wird von Niemanden beſtritten. Die klaſſiſche Bildung iſt daher unſchätzbar, vielleicht nicht ſo ſehr durch das was ſie enthält und bietet, ſondern vielmehr durch das was ſie anregt. Die Kenntniſſe, die man durch ſie gewinnt, ſind zum Theil unbedeutend; aber die Fähigkeit ſie zu behandeln, wird zur Fähigkeit des Einzelnen, auch die am fernſten liegenden Dinge in ſeinen Geſichtskreis zu ziehen und ſich anzueignen; und die Entwicklung jedes Berufs zu einem Theile des Weltlebens gibt eben dieſer Fähigkeit einen unſchätzbaren Werth. Durch die Klaſſiker haben wir die geiſtige Berufsbildung von der ſtän- diſchen Beſchränktheit frei gemacht; die klaſſiſche Bildung iſt es, welche uns vor der ſtaatsbürgerlichen Beſchränktheit zu bewahren berufen iſt. Dieß nun iſt das Berufsbildungsweſen an ſich, ſeinem Begriff und ſeinem organiſchen Inhalt nach. In der Wirklichkeit aber empfängt daſſelbe erſt ſeine Geſtalt und Geltung durch ſein Verhältniß zum Staat und ſeiner Verwaltung, durch welche es zu einem Theile des öffent- lichen Rechts wird. Für dieß iſt das Obige nur noch die Vorausſetzung: aber freilich iſt das letztere ohne das erſtere in ſeiner feſten Ordnung wie in ſeiner Entwicklung nicht zu verſtehen. II. Das öffentliche Berufsbildungsweſen, ſein Recht und ſein Syſtem. 1) Begriff und Princip. Dem organiſchen Begriffe des Berufsbildungsweſens gegenüber ent- ſteht nun der formelle Begriff und Inhalt des öffentlichen Rechts deſſelben, indem die Geſammtheit der für dieſe Berufsbildungsanſtalten im weiteſten Sinne beſtimmten oder nothwendigen Thätigkeiten als Aufgaben der Verwaltung erſcheinen. Das öffentliche Berufsbildungs- weſen iſt demnach die Geſammtheit deſſen, was die Organe der Ver- waltung mit den ihnen zu Gebot ſtehenden Mitteln für wiſſenſchaftliche, volkswirthſchaftliche und künſtleriſche Berufsbildung in Vorbildung und Fachbildung wirklich leiſten. Das iſt der formale Begriff deſſelben. Das Verſtändniß einerſeits, und das formale Syſtem andererſeits für das öffentliche Berufsbildungsweſen beruhen nun hier wie bei der Volksbildung auf dem Gegenſatz, der zwiſchen der individuellen Thätig- keit und der des perſönlichen Staats erſcheint, und deſſen Ausgang hier wie immer in allem dem, was als Bedingung der Geſammtent- wicklung daſteht, in der Unterordnung des Individuellen unter das Gemeinſame erſcheint.

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 5. Stuttgart, 1868, S. 159. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre05_1868/187>, abgerufen am 28.03.2024.