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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 5. Stuttgart, 1868.

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keiner allgemeinen Verwaltungslehre überhaupt Raum finden würde.
Dagegen glauben wir allerdings, daß das Universitätswesen als Gan-
zes
nicht als eine abgeschlossene Frage zu betrachten, und daß es die
Verwaltungslehre ist, welche berufen erscheint, diese Seite der Sache
theils anzuregen, theils zum Abschluß zu bringen.

In der That nämlich stehen die Universitäten in ihrer gegenwär-
tigen Stellung namentlich in Deutschland, eben so wie die hohen Schulen,
in einem doppelten Verhältniß, dessen beide Seiten auch hier wohl ge-
schieden werden müssen, um das Universitätswesen und die sich daran
knüpfenden Fragen zu beantworten. Die Universitäten sind nämlich
einerseits die Vertreter der höchsten Wissenschaft und mithin der höchsten
geistigen Bildung an sich, ganz abgesehen von der praktischen Brauch-
barkeit derselben; anderseits sind sie derjenige Organismus, vermöge
dessen die Verwaltung die höchste Ausbildung für die speciellen geistigen
Berufe darbietet. Die Forderungen, welche aus dem ersten dieser Mo-
mente hervorgehen, beziehen sich daher auf die reine Wissenschaft, und
erzeugen die freien geistigen Funktionen derselben. Die Forderungen
dagegen, welche durch das zweite gesetzt werden, sind durch die Ver-
waltung bedingt, und schließen sich an die Natur derjenigen Funk-
tionen, welche die letztere im weitesten Sinne zu vollziehen hat. Immer
aber und so auch hier, gehen nun die geltenden rechtlichen Bestimmun-
gen aus solchen Forderungen hervor, die das Leben mit seinem geisti-
gen oder staatlichen Inhalt an seine Organe stellt. Die Natur der
Universitäten bringt es daher mit sich, daß sich vermöge jener Doppel-
aufgabe beständig zwei große Rechtssysteme in demselben kreuzen, be-
gegnen und bestimmen; die Gestalt des öffentlichen Rechts derselben
drückt stets das Verhältniß dieser beiden Elemente zu einander in irgend
einem gegebenen Zeitpunkt aus; der positive Charakter des Universitäts-
wesens hängt seinerseits davon ab, und die Geschichte des letzteren ist
daher im Großen und Ganzen als das Ergebniß der Stellung anzu-
sehen, welche die Verwaltung zu der berufbildenden Funktion
der Universität
in den verschiedenen Zeiten eingenommen hat. In
diesem Sinne nun hat jede Epoche ihre "Universitätsfrage"; die Ver-
waltungslehre aber muß ihrerseits gerade das, was wir als Univer-
sitätsfrage bezeichnen, als ihre specifische Aufgabe betrachten.

Indem wir nun wie gesagt die allgemeine Bekanntschaft mit der
Organisation und der Thätigkeit der Universitäten voraussetzen, können
wir jene Aufgabe der Verwaltungslehre, und damit den Standpunkt
der Beurtheilung des positiven Universitätswesens am klarsten formu-
liren, indem wir dasjenige bezeichnen, was jenen beiden Elementen
ihren faßbarsten Ausdruck gibt, und daher in seiner Wechselwirkung

keiner allgemeinen Verwaltungslehre überhaupt Raum finden würde.
Dagegen glauben wir allerdings, daß das Univerſitätsweſen als Gan-
zes
nicht als eine abgeſchloſſene Frage zu betrachten, und daß es die
Verwaltungslehre iſt, welche berufen erſcheint, dieſe Seite der Sache
theils anzuregen, theils zum Abſchluß zu bringen.

In der That nämlich ſtehen die Univerſitäten in ihrer gegenwär-
tigen Stellung namentlich in Deutſchland, eben ſo wie die hohen Schulen,
in einem doppelten Verhältniß, deſſen beide Seiten auch hier wohl ge-
ſchieden werden müſſen, um das Univerſitätsweſen und die ſich daran
knüpfenden Fragen zu beantworten. Die Univerſitäten ſind nämlich
einerſeits die Vertreter der höchſten Wiſſenſchaft und mithin der höchſten
geiſtigen Bildung an ſich, ganz abgeſehen von der praktiſchen Brauch-
barkeit derſelben; anderſeits ſind ſie derjenige Organismus, vermöge
deſſen die Verwaltung die höchſte Ausbildung für die ſpeciellen geiſtigen
Berufe darbietet. Die Forderungen, welche aus dem erſten dieſer Mo-
mente hervorgehen, beziehen ſich daher auf die reine Wiſſenſchaft, und
erzeugen die freien geiſtigen Funktionen derſelben. Die Forderungen
dagegen, welche durch das zweite geſetzt werden, ſind durch die Ver-
waltung bedingt, und ſchließen ſich an die Natur derjenigen Funk-
tionen, welche die letztere im weiteſten Sinne zu vollziehen hat. Immer
aber und ſo auch hier, gehen nun die geltenden rechtlichen Beſtimmun-
gen aus ſolchen Forderungen hervor, die das Leben mit ſeinem geiſti-
gen oder ſtaatlichen Inhalt an ſeine Organe ſtellt. Die Natur der
Univerſitäten bringt es daher mit ſich, daß ſich vermöge jener Doppel-
aufgabe beſtändig zwei große Rechtsſyſteme in demſelben kreuzen, be-
gegnen und beſtimmen; die Geſtalt des öffentlichen Rechts derſelben
drückt ſtets das Verhältniß dieſer beiden Elemente zu einander in irgend
einem gegebenen Zeitpunkt aus; der poſitive Charakter des Univerſitäts-
weſens hängt ſeinerſeits davon ab, und die Geſchichte des letzteren iſt
daher im Großen und Ganzen als das Ergebniß der Stellung anzu-
ſehen, welche die Verwaltung zu der berufbildenden Funktion
der Univerſität
in den verſchiedenen Zeiten eingenommen hat. In
dieſem Sinne nun hat jede Epoche ihre „Univerſitätsfrage“; die Ver-
waltungslehre aber muß ihrerſeits gerade das, was wir als Univer-
ſitätsfrage bezeichnen, als ihre ſpecifiſche Aufgabe betrachten.

Indem wir nun wie geſagt die allgemeine Bekanntſchaft mit der
Organiſation und der Thätigkeit der Univerſitäten vorausſetzen, können
wir jene Aufgabe der Verwaltungslehre, und damit den Standpunkt
der Beurtheilung des poſitiven Univerſitätsweſens am klarſten formu-
liren, indem wir dasjenige bezeichnen, was jenen beiden Elementen
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[219/0247] keiner allgemeinen Verwaltungslehre überhaupt Raum finden würde. Dagegen glauben wir allerdings, daß das Univerſitätsweſen als Gan- zes nicht als eine abgeſchloſſene Frage zu betrachten, und daß es die Verwaltungslehre iſt, welche berufen erſcheint, dieſe Seite der Sache theils anzuregen, theils zum Abſchluß zu bringen. In der That nämlich ſtehen die Univerſitäten in ihrer gegenwär- tigen Stellung namentlich in Deutſchland, eben ſo wie die hohen Schulen, in einem doppelten Verhältniß, deſſen beide Seiten auch hier wohl ge- ſchieden werden müſſen, um das Univerſitätsweſen und die ſich daran knüpfenden Fragen zu beantworten. Die Univerſitäten ſind nämlich einerſeits die Vertreter der höchſten Wiſſenſchaft und mithin der höchſten geiſtigen Bildung an ſich, ganz abgeſehen von der praktiſchen Brauch- barkeit derſelben; anderſeits ſind ſie derjenige Organismus, vermöge deſſen die Verwaltung die höchſte Ausbildung für die ſpeciellen geiſtigen Berufe darbietet. Die Forderungen, welche aus dem erſten dieſer Mo- mente hervorgehen, beziehen ſich daher auf die reine Wiſſenſchaft, und erzeugen die freien geiſtigen Funktionen derſelben. Die Forderungen dagegen, welche durch das zweite geſetzt werden, ſind durch die Ver- waltung bedingt, und ſchließen ſich an die Natur derjenigen Funk- tionen, welche die letztere im weiteſten Sinne zu vollziehen hat. Immer aber und ſo auch hier, gehen nun die geltenden rechtlichen Beſtimmun- gen aus ſolchen Forderungen hervor, die das Leben mit ſeinem geiſti- gen oder ſtaatlichen Inhalt an ſeine Organe ſtellt. Die Natur der Univerſitäten bringt es daher mit ſich, daß ſich vermöge jener Doppel- aufgabe beſtändig zwei große Rechtsſyſteme in demſelben kreuzen, be- gegnen und beſtimmen; die Geſtalt des öffentlichen Rechts derſelben drückt ſtets das Verhältniß dieſer beiden Elemente zu einander in irgend einem gegebenen Zeitpunkt aus; der poſitive Charakter des Univerſitäts- weſens hängt ſeinerſeits davon ab, und die Geſchichte des letzteren iſt daher im Großen und Ganzen als das Ergebniß der Stellung anzu- ſehen, welche die Verwaltung zu der berufbildenden Funktion der Univerſität in den verſchiedenen Zeiten eingenommen hat. In dieſem Sinne nun hat jede Epoche ihre „Univerſitätsfrage“; die Ver- waltungslehre aber muß ihrerſeits gerade das, was wir als Univer- ſitätsfrage bezeichnen, als ihre ſpecifiſche Aufgabe betrachten. Indem wir nun wie geſagt die allgemeine Bekanntſchaft mit der Organiſation und der Thätigkeit der Univerſitäten vorausſetzen, können wir jene Aufgabe der Verwaltungslehre, und damit den Standpunkt der Beurtheilung des poſitiven Univerſitätsweſens am klarſten formu- liren, indem wir dasjenige bezeichnen, was jenen beiden Elementen ihren faßbarſten Ausdruck gibt, und daher in ſeiner Wechſelwirkung

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 5. Stuttgart, 1868, S. 219. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre05_1868/247>, abgerufen am 23.04.2024.