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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 5. Stuttgart, 1868.

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Volkes zu machen und sie daher auf jedem Punkte zu beginnen, ohne
viel zu fragen, ob man gerade diese oder jene theoretische Kategorie von
Vorbildungsanstalten errichten wolle. Andrerseits überließ die Ver-
waltung diese Errichtung den Selbstverwaltungskörpern und that Recht
daran, kein absolut gültiges, formales System derselben gesetzlich vor-
zuschreiben, sondern nur von Fall zu Fall mit bestimmten Vorschriften
einzuschreiten. Die natürliche Folge davon war, daß nunmehr diese
Vorbildungsanstalten, obwohl von demselben Gedanken ausgehend, in
Form, Inhalt und Funktion im Einzelnen verschieden sind. Ihre Ge-
stalt, ja ihr ganzer Bildungsproceß ist vorwiegend ein örtlicher. Der
Umfang ihrer Aufgaben richtet sich mehr nach dem Bedürfniß, als
nach einem systematischen Princip; oft haben sie verschiedene Funktionen
zugleich; oft bestehen sie wieder neben einander; oft sind sie bei äußer-
licher Verschiedenheit innerlich wesentlich gleich. Es ist das bei aller
Unklarheit im Einzelnen dennoch im Großen und Ganzen ein ganz
naturgemäßer Zustand, wie er in jedem noch nicht fertigen Entwicklungs-
stadium vorkommt. Er beweist nur, daß dieß ganze Gebiet noch im
Werden ist und seine Zeit gebrauchen wird, ehe man zu einer festen
Gestalt gelangt. Die wichtigste Folge aber von dieser Unbestimmtheit
im Einzelnen ist es nun unzweifelhaft, daß vermöge derselben das
öffentliche Recht dieser verschiedenen Anstalten noch kein fest abge-
schlossenes ist; denn auch hier ist das Recht die natürliche Folge, oder
genauer der natürliche, feste Ausdruck und die formale Anerkennung
des organischen Wesens und der Stellung dieser Anstalten. Es wird
uns daher nicht wundern, daß auch für die ganze äußere Gestalt und
Ordnung derselben keine Einheit und Gleichartigkeit erzielt ist, und
zwar ebenso wenig in der Theorie, als in der Praxis. Dieß nun zeigt
sich hier wie immer am deutlichsten in den Benennungen der ver-
schiedenen dahin gehörigen Anstalten. Diese Namen sind: Sonn-
tags-, Feiertags-, Handwerks-, Gewerbe-, Fortbildungs-, Real- und
andere Schulen. Daß sie alle etwas Gemeinsames haben, darüber
existirt kein Zweifel. Daß sie aber zugleich nicht bloß verschiedene
Namen derselben Sache, sondern in der That als selbständige Organe
im großen System des Bildungswesens, versehen mit selbständigen Auf-
gaben und daher eine eigene innere Organisation bedürfend, anerkannt
werden müssen, das ist noch nicht recht zur Entscheidung gelangt. Hier
ist daher bei voller Klarheit im Ganzen so viel Verwirrung im Ein-
zelnen, daß zu einem System des Rechts nicht zu gelangen ist, ohne
daß wir versuchen, feste und dem Ganzen entsprechende Kategorien auf-
zustellen. In der That wird es speciell der Verwaltungslehre unmöglich
bleiben, ohne eine solche formale Ordnung ihrer Aufgabe zu genügen.

Volkes zu machen und ſie daher auf jedem Punkte zu beginnen, ohne
viel zu fragen, ob man gerade dieſe oder jene theoretiſche Kategorie von
Vorbildungsanſtalten errichten wolle. Andrerſeits überließ die Ver-
waltung dieſe Errichtung den Selbſtverwaltungskörpern und that Recht
daran, kein abſolut gültiges, formales Syſtem derſelben geſetzlich vor-
zuſchreiben, ſondern nur von Fall zu Fall mit beſtimmten Vorſchriften
einzuſchreiten. Die natürliche Folge davon war, daß nunmehr dieſe
Vorbildungsanſtalten, obwohl von demſelben Gedanken ausgehend, in
Form, Inhalt und Funktion im Einzelnen verſchieden ſind. Ihre Ge-
ſtalt, ja ihr ganzer Bildungsproceß iſt vorwiegend ein örtlicher. Der
Umfang ihrer Aufgaben richtet ſich mehr nach dem Bedürfniß, als
nach einem ſyſtematiſchen Princip; oft haben ſie verſchiedene Funktionen
zugleich; oft beſtehen ſie wieder neben einander; oft ſind ſie bei äußer-
licher Verſchiedenheit innerlich weſentlich gleich. Es iſt das bei aller
Unklarheit im Einzelnen dennoch im Großen und Ganzen ein ganz
naturgemäßer Zuſtand, wie er in jedem noch nicht fertigen Entwicklungs-
ſtadium vorkommt. Er beweist nur, daß dieß ganze Gebiet noch im
Werden iſt und ſeine Zeit gebrauchen wird, ehe man zu einer feſten
Geſtalt gelangt. Die wichtigſte Folge aber von dieſer Unbeſtimmtheit
im Einzelnen iſt es nun unzweifelhaft, daß vermöge derſelben das
öffentliche Recht dieſer verſchiedenen Anſtalten noch kein feſt abge-
ſchloſſenes iſt; denn auch hier iſt das Recht die natürliche Folge, oder
genauer der natürliche, feſte Ausdruck und die formale Anerkennung
des organiſchen Weſens und der Stellung dieſer Anſtalten. Es wird
uns daher nicht wundern, daß auch für die ganze äußere Geſtalt und
Ordnung derſelben keine Einheit und Gleichartigkeit erzielt iſt, und
zwar ebenſo wenig in der Theorie, als in der Praxis. Dieß nun zeigt
ſich hier wie immer am deutlichſten in den Benennungen der ver-
ſchiedenen dahin gehörigen Anſtalten. Dieſe Namen ſind: Sonn-
tags-, Feiertags-, Handwerks-, Gewerbe-, Fortbildungs-, Real- und
andere Schulen. Daß ſie alle etwas Gemeinſames haben, darüber
exiſtirt kein Zweifel. Daß ſie aber zugleich nicht bloß verſchiedene
Namen derſelben Sache, ſondern in der That als ſelbſtändige Organe
im großen Syſtem des Bildungsweſens, verſehen mit ſelbſtändigen Auf-
gaben und daher eine eigene innere Organiſation bedürfend, anerkannt
werden müſſen, das iſt noch nicht recht zur Entſcheidung gelangt. Hier
iſt daher bei voller Klarheit im Ganzen ſo viel Verwirrung im Ein-
zelnen, daß zu einem Syſtem des Rechts nicht zu gelangen iſt, ohne
daß wir verſuchen, feſte und dem Ganzen entſprechende Kategorien auf-
zuſtellen. In der That wird es ſpeciell der Verwaltungslehre unmöglich
bleiben, ohne eine ſolche formale Ordnung ihrer Aufgabe zu genügen.

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[249/0277] Volkes zu machen und ſie daher auf jedem Punkte zu beginnen, ohne viel zu fragen, ob man gerade dieſe oder jene theoretiſche Kategorie von Vorbildungsanſtalten errichten wolle. Andrerſeits überließ die Ver- waltung dieſe Errichtung den Selbſtverwaltungskörpern und that Recht daran, kein abſolut gültiges, formales Syſtem derſelben geſetzlich vor- zuſchreiben, ſondern nur von Fall zu Fall mit beſtimmten Vorſchriften einzuſchreiten. Die natürliche Folge davon war, daß nunmehr dieſe Vorbildungsanſtalten, obwohl von demſelben Gedanken ausgehend, in Form, Inhalt und Funktion im Einzelnen verſchieden ſind. Ihre Ge- ſtalt, ja ihr ganzer Bildungsproceß iſt vorwiegend ein örtlicher. Der Umfang ihrer Aufgaben richtet ſich mehr nach dem Bedürfniß, als nach einem ſyſtematiſchen Princip; oft haben ſie verſchiedene Funktionen zugleich; oft beſtehen ſie wieder neben einander; oft ſind ſie bei äußer- licher Verſchiedenheit innerlich weſentlich gleich. Es iſt das bei aller Unklarheit im Einzelnen dennoch im Großen und Ganzen ein ganz naturgemäßer Zuſtand, wie er in jedem noch nicht fertigen Entwicklungs- ſtadium vorkommt. Er beweist nur, daß dieß ganze Gebiet noch im Werden iſt und ſeine Zeit gebrauchen wird, ehe man zu einer feſten Geſtalt gelangt. Die wichtigſte Folge aber von dieſer Unbeſtimmtheit im Einzelnen iſt es nun unzweifelhaft, daß vermöge derſelben das öffentliche Recht dieſer verſchiedenen Anſtalten noch kein feſt abge- ſchloſſenes iſt; denn auch hier iſt das Recht die natürliche Folge, oder genauer der natürliche, feſte Ausdruck und die formale Anerkennung des organiſchen Weſens und der Stellung dieſer Anſtalten. Es wird uns daher nicht wundern, daß auch für die ganze äußere Geſtalt und Ordnung derſelben keine Einheit und Gleichartigkeit erzielt iſt, und zwar ebenſo wenig in der Theorie, als in der Praxis. Dieß nun zeigt ſich hier wie immer am deutlichſten in den Benennungen der ver- ſchiedenen dahin gehörigen Anſtalten. Dieſe Namen ſind: Sonn- tags-, Feiertags-, Handwerks-, Gewerbe-, Fortbildungs-, Real- und andere Schulen. Daß ſie alle etwas Gemeinſames haben, darüber exiſtirt kein Zweifel. Daß ſie aber zugleich nicht bloß verſchiedene Namen derſelben Sache, ſondern in der That als ſelbſtändige Organe im großen Syſtem des Bildungsweſens, verſehen mit ſelbſtändigen Auf- gaben und daher eine eigene innere Organiſation bedürfend, anerkannt werden müſſen, das iſt noch nicht recht zur Entſcheidung gelangt. Hier iſt daher bei voller Klarheit im Ganzen ſo viel Verwirrung im Ein- zelnen, daß zu einem Syſtem des Rechts nicht zu gelangen iſt, ohne daß wir verſuchen, feſte und dem Ganzen entſprechende Kategorien auf- zuſtellen. In der That wird es ſpeciell der Verwaltungslehre unmöglich bleiben, ohne eine ſolche formale Ordnung ihrer Aufgabe zu genügen.

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 5. Stuttgart, 1868, S. 249. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre05_1868/277>, abgerufen am 28.03.2024.