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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 5. Stuttgart, 1868.

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Bürgerschule soll in jeder Gemeinde mit wenigstens 10,000 Einwohnern
errichtet werden. Die höheren Bürgerschulen haben entweder einen drei-
jährigen oder einen fünfjährigen Curs und entsprechen ganz unsern
Realschulen; die Gymnastik ist obligat! Das Lehrerwesen dafür ist genau
geordnet in §. 23 ff. Die Lehrer werden vorgeschlagen durch die Ge-
meinde; der König ernennt die Lehrer der höheren Schulen. Das
Pensionsrecht der Lehrer ist bereits durch Gesetz vom 9. Mai 1846 all-
gemein festgestellt und speciell durch Gesetz vom 3. Mai 1851 und
24. December 1863 geregelt; dazu die §§. 32 ff. des Gesetzes vom
2. Mai 1863. Schulgeld ist anerkannt; Lehrordnung gesetzlich für jede
Art der Schulen geregelt §. 16. 17. -- Ueber Gewerbeschulen fehlen
uns weitere Angaben; warum hat le Roy (Art. Holland) bei Schmid
auf jenes Gesetz und auf die letzteren keine Rücksicht genommen? --
Realgymnasien fehlen dagegen gänzlich.

B. Das wirthschaftliche Fachbildungssystem.
I. Allgemeiner Charakter.

Wenn wir gegenüber der klaren und in sich einfachen Gestalt und
Stellung, welche das Universitätswesen als gelehrte Fachbildungsanstalt
einnimmt, ein höchst verschiedenartiges, zum Theil sogar unklares Bild
der wirthschaftlichen Fachbildung finden, so wird es wohl nothwendig,
sich über die in dem Wesen der Sache selbst liegenden Grunde zu ver-
ständigen, die diesen Unterschied hervorgerufen haben; denn in der That
werden wir nur von ihnen aus einen klaren Ueberblick über ein Gebiet
gewinnen, das bis jetzt noch auf allen seinen Punkten nach einer festen
Gestaltung ringt, und erst mit dieser in Praxis und Theorie seine
definitive Stellung gewinnen wird.

Die wirthschaftliche Fachbildung unterscheidet sich nämlich wesentlich
von der gelehrten dadurch, daß bei jener der praktische Werth des einen
Gebietes derselben für das andere als ein sehr geringer erscheint und
daher die Verbindung der bildenden Thätigkeiten auf den ersten Blick
mehr ein Beweis als eine Forderung wird. Während daher bei dem
gelehrten Fachbildungswesen sich die Specialität der Fächer nur lang-
sam aus der wissenschaftlichen Einheit des Ganzen, der Universitas
literarum,
entwickelt hat, hat die wirthschaftliche Fachbildung vielmehr
auf dem umgekehrten Wege bei der strengen Specialität begonnen und
jene Einheit überhaupt noch nicht erreicht. Während für jene eben deß-
halb gleich von Anfang an die Gleichmäßigkeit und Gleichartigkeit des
gesammten Bildungsganges in Fakultäten, Vorlesungen, Prüfungen
und wissenschaftlichen Würden feststeht, erscheint für diese dagegen eine

Bürgerſchule ſoll in jeder Gemeinde mit wenigſtens 10,000 Einwohnern
errichtet werden. Die höheren Bürgerſchulen haben entweder einen drei-
jährigen oder einen fünfjährigen Curs und entſprechen ganz unſern
Realſchulen; die Gymnaſtik iſt obligat! Das Lehrerweſen dafür iſt genau
geordnet in §. 23 ff. Die Lehrer werden vorgeſchlagen durch die Ge-
meinde; der König ernennt die Lehrer der höheren Schulen. Das
Penſionsrecht der Lehrer iſt bereits durch Geſetz vom 9. Mai 1846 all-
gemein feſtgeſtellt und ſpeciell durch Geſetz vom 3. Mai 1851 und
24. December 1863 geregelt; dazu die §§. 32 ff. des Geſetzes vom
2. Mai 1863. Schulgeld iſt anerkannt; Lehrordnung geſetzlich für jede
Art der Schulen geregelt §. 16. 17. — Ueber Gewerbeſchulen fehlen
uns weitere Angaben; warum hat le Roy (Art. Holland) bei Schmid
auf jenes Geſetz und auf die letzteren keine Rückſicht genommen? —
Realgymnaſien fehlen dagegen gänzlich.

B. Das wirthſchaftliche Fachbildungsſyſtem.
I. Allgemeiner Charakter.

Wenn wir gegenüber der klaren und in ſich einfachen Geſtalt und
Stellung, welche das Univerſitätsweſen als gelehrte Fachbildungsanſtalt
einnimmt, ein höchſt verſchiedenartiges, zum Theil ſogar unklares Bild
der wirthſchaftlichen Fachbildung finden, ſo wird es wohl nothwendig,
ſich über die in dem Weſen der Sache ſelbſt liegenden Grunde zu ver-
ſtändigen, die dieſen Unterſchied hervorgerufen haben; denn in der That
werden wir nur von ihnen aus einen klaren Ueberblick über ein Gebiet
gewinnen, das bis jetzt noch auf allen ſeinen Punkten nach einer feſten
Geſtaltung ringt, und erſt mit dieſer in Praxis und Theorie ſeine
definitive Stellung gewinnen wird.

Die wirthſchaftliche Fachbildung unterſcheidet ſich nämlich weſentlich
von der gelehrten dadurch, daß bei jener der praktiſche Werth des einen
Gebietes derſelben für das andere als ein ſehr geringer erſcheint und
daher die Verbindung der bildenden Thätigkeiten auf den erſten Blick
mehr ein Beweis als eine Forderung wird. Während daher bei dem
gelehrten Fachbildungsweſen ſich die Specialität der Fächer nur lang-
ſam aus der wiſſenſchaftlichen Einheit des Ganzen, der Universitas
literarum,
entwickelt hat, hat die wirthſchaftliche Fachbildung vielmehr
auf dem umgekehrten Wege bei der ſtrengen Specialität begonnen und
jene Einheit überhaupt noch nicht erreicht. Während für jene eben deß-
halb gleich von Anfang an die Gleichmäßigkeit und Gleichartigkeit des
geſammten Bildungsganges in Fakultäten, Vorleſungen, Prüfungen
und wiſſenſchaftlichen Würden feſtſteht, erſcheint für dieſe dagegen eine

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[261/0289] Bürgerſchule ſoll in jeder Gemeinde mit wenigſtens 10,000 Einwohnern errichtet werden. Die höheren Bürgerſchulen haben entweder einen drei- jährigen oder einen fünfjährigen Curs und entſprechen ganz unſern Realſchulen; die Gymnaſtik iſt obligat! Das Lehrerweſen dafür iſt genau geordnet in §. 23 ff. Die Lehrer werden vorgeſchlagen durch die Ge- meinde; der König ernennt die Lehrer der höheren Schulen. Das Penſionsrecht der Lehrer iſt bereits durch Geſetz vom 9. Mai 1846 all- gemein feſtgeſtellt und ſpeciell durch Geſetz vom 3. Mai 1851 und 24. December 1863 geregelt; dazu die §§. 32 ff. des Geſetzes vom 2. Mai 1863. Schulgeld iſt anerkannt; Lehrordnung geſetzlich für jede Art der Schulen geregelt §. 16. 17. — Ueber Gewerbeſchulen fehlen uns weitere Angaben; warum hat le Roy (Art. Holland) bei Schmid auf jenes Geſetz und auf die letzteren keine Rückſicht genommen? — Realgymnaſien fehlen dagegen gänzlich. B. Das wirthſchaftliche Fachbildungsſyſtem. I. Allgemeiner Charakter. Wenn wir gegenüber der klaren und in ſich einfachen Geſtalt und Stellung, welche das Univerſitätsweſen als gelehrte Fachbildungsanſtalt einnimmt, ein höchſt verſchiedenartiges, zum Theil ſogar unklares Bild der wirthſchaftlichen Fachbildung finden, ſo wird es wohl nothwendig, ſich über die in dem Weſen der Sache ſelbſt liegenden Grunde zu ver- ſtändigen, die dieſen Unterſchied hervorgerufen haben; denn in der That werden wir nur von ihnen aus einen klaren Ueberblick über ein Gebiet gewinnen, das bis jetzt noch auf allen ſeinen Punkten nach einer feſten Geſtaltung ringt, und erſt mit dieſer in Praxis und Theorie ſeine definitive Stellung gewinnen wird. Die wirthſchaftliche Fachbildung unterſcheidet ſich nämlich weſentlich von der gelehrten dadurch, daß bei jener der praktiſche Werth des einen Gebietes derſelben für das andere als ein ſehr geringer erſcheint und daher die Verbindung der bildenden Thätigkeiten auf den erſten Blick mehr ein Beweis als eine Forderung wird. Während daher bei dem gelehrten Fachbildungsweſen ſich die Specialität der Fächer nur lang- ſam aus der wiſſenſchaftlichen Einheit des Ganzen, der Universitas literarum, entwickelt hat, hat die wirthſchaftliche Fachbildung vielmehr auf dem umgekehrten Wege bei der ſtrengen Specialität begonnen und jene Einheit überhaupt noch nicht erreicht. Während für jene eben deß- halb gleich von Anfang an die Gleichmäßigkeit und Gleichartigkeit des geſammten Bildungsganges in Fakultäten, Vorleſungen, Prüfungen und wiſſenſchaftlichen Würden feſtſteht, erſcheint für dieſe dagegen eine

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 5. Stuttgart, 1868, S. 261. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre05_1868/289>, abgerufen am 29.03.2024.