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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 5. Stuttgart, 1868.

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und Physik enthält. Von den das deutsche Universitätswesen gleichsam
erfüllenden Nebeninstituten, namentlich den Seminarien, ist keine Rede.
Das Prüfungssystem ist daher ein eben so verfahrenes; es hat den
Charakter der Fachbildung selbst angenommen und besteht aus lauter
Einzelprüfungen, die in der letztern Zeit noch mehr zersplittert worden
sind. Ueber das Verhältniß und den Werth der klassischen Bildung
herrscht daher eine durchgreifende Unklarheit; man hat weder vermocht,
sie ganz zu beseitigen, selbst nicht in den sciences, noch auch ihnen
eine philosophische Gründlichkeit zu geben, selbst nicht in den lettres.
Das Prüfungssystem an allen diesen Facultes hat zwei Stufen, das
Licentiat und das Doktorat; das letztere hat von der germanischen Univer-
sität etwas längere Vorbereitung und die Verpflichtung zur Vertheidi-
gung von Streitsätzen beibehalten. Die Prüfungen selbst stehen unter
den Prüfungskommissionen der Akademie; sie sind sehr leicht, und strenge
auf das einzelne Fach der Abtheilungen beschränkt, dem beschränkten
Bildungsgange derselben entsprechend. Das System der Facultes, welche
die Stelle der letzteren vertreten, beruht in seiner neuesten Organisation
auf dem Decret vom 10. April 1852 (Studienordnung), dem Gesetz
vom 14. Juni 1854 und dem Decret vom 27. August 1854 über die
neue Organisation der Academies.

1) Die Facultes des lettres und die des sciences vertreten un-
gefähr die Idee der deutschen philosophischen Fakultät. Aber beide
bilden weder eine Einheit, noch stehen sie in Beziehung zu den übrigen
Facultes. Die Faculte des lettres ist vielmehr das, was die Philo-
logie vertritt, während die Faculte des sciences, ohne staatswissen-
schaftliche Lehre, die mathematisch-naturwissenschaftliche Bildung noth-
dürftig enthält.

Die Facultes des lettres (16) sind die philologisch-philosophische
Bildungsanstalt. Ordnung der Vorlesungen (Decret vom 7. März 1853).
Die Aufnahmsprüfung wird durch das in dem Lyceum, troisieme
division, section des lettres,
erworbene baccalaureat es lettres ersetzt,
zu welchem für den Candidaten nach dem Gesetz von 1853 (Art. 63)
überhaupt nicht einmal ein Lyceum besucht zu haben nöthig ist. Die
Abgangsprüfung ist die Prüfung zum licencie es lettres; sie ist schrift-
lich und mündlich und sehr einfach. Der Candidat zum licencie braucht
nur Ein Jahr Baccalaureus gewesen und nur zwei Curse nach seiner
Wahl gehört zu haben. Die Promotion zum Docteur es lettres er-
folgt nach stattgehabter Vertheidigung von zwei Thesen; über diese Ver-
theidigung wird dann erst an den Minister berichtet, nach dem Arrete
vom 17. Juli 1850.

Die Facultes des sciences (auch 16) schließen die klassische

und Phyſik enthält. Von den das deutſche Univerſitätsweſen gleichſam
erfüllenden Nebeninſtituten, namentlich den Seminarien, iſt keine Rede.
Das Prüfungsſyſtem iſt daher ein eben ſo verfahrenes; es hat den
Charakter der Fachbildung ſelbſt angenommen und beſteht aus lauter
Einzelprüfungen, die in der letztern Zeit noch mehr zerſplittert worden
ſind. Ueber das Verhältniß und den Werth der klaſſiſchen Bildung
herrſcht daher eine durchgreifende Unklarheit; man hat weder vermocht,
ſie ganz zu beſeitigen, ſelbſt nicht in den sciences, noch auch ihnen
eine philoſophiſche Gründlichkeit zu geben, ſelbſt nicht in den lettres.
Das Prüfungsſyſtem an allen dieſen Facultés hat zwei Stufen, das
Licentiat und das Doktorat; das letztere hat von der germaniſchen Univer-
ſität etwas längere Vorbereitung und die Verpflichtung zur Vertheidi-
gung von Streitſätzen beibehalten. Die Prüfungen ſelbſt ſtehen unter
den Prüfungskommiſſionen der Akademie; ſie ſind ſehr leicht, und ſtrenge
auf das einzelne Fach der Abtheilungen beſchränkt, dem beſchränkten
Bildungsgange derſelben entſprechend. Das Syſtem der Facultés, welche
die Stelle der letzteren vertreten, beruht in ſeiner neueſten Organiſation
auf dem Decret vom 10. April 1852 (Studienordnung), dem Geſetz
vom 14. Juni 1854 und dem Decret vom 27. Auguſt 1854 über die
neue Organiſation der Académies.

1) Die Facultés des lettres und die des sciences vertreten un-
gefähr die Idee der deutſchen philoſophiſchen Fakultät. Aber beide
bilden weder eine Einheit, noch ſtehen ſie in Beziehung zu den übrigen
Facultés. Die Faculté des lettres iſt vielmehr das, was die Philo-
logie vertritt, während die Faculté des sciences, ohne ſtaatswiſſen-
ſchaftliche Lehre, die mathematiſch-naturwiſſenſchaftliche Bildung noth-
dürftig enthält.

Die Facultés des lettres (16) ſind die philologiſch-philoſophiſche
Bildungsanſtalt. Ordnung der Vorleſungen (Decret vom 7. März 1853).
Die Aufnahmsprüfung wird durch das in dem Lyceum, troisième
division, section des lettres,
erworbene baccalauréat ès lettres erſetzt,
zu welchem für den Candidaten nach dem Geſetz von 1853 (Art. 63)
überhaupt nicht einmal ein Lyceum beſucht zu haben nöthig iſt. Die
Abgangsprüfung iſt die Prüfung zum licencié ès lettres; ſie iſt ſchrift-
lich und mündlich und ſehr einfach. Der Candidat zum licencié braucht
nur Ein Jahr Baccalaureus geweſen und nur zwei Curſe nach ſeiner
Wahl gehört zu haben. Die Promotion zum Docteur ès lettres er-
folgt nach ſtattgehabter Vertheidigung von zwei Theſen; über dieſe Ver-
theidigung wird dann erſt an den Miniſter berichtet, nach dem Arrêté
vom 17. Juli 1850.

Die Facultés des sciences (auch 16) ſchließen die klaſſiſche

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[309/0337] und Phyſik enthält. Von den das deutſche Univerſitätsweſen gleichſam erfüllenden Nebeninſtituten, namentlich den Seminarien, iſt keine Rede. Das Prüfungsſyſtem iſt daher ein eben ſo verfahrenes; es hat den Charakter der Fachbildung ſelbſt angenommen und beſteht aus lauter Einzelprüfungen, die in der letztern Zeit noch mehr zerſplittert worden ſind. Ueber das Verhältniß und den Werth der klaſſiſchen Bildung herrſcht daher eine durchgreifende Unklarheit; man hat weder vermocht, ſie ganz zu beſeitigen, ſelbſt nicht in den sciences, noch auch ihnen eine philoſophiſche Gründlichkeit zu geben, ſelbſt nicht in den lettres. Das Prüfungsſyſtem an allen dieſen Facultés hat zwei Stufen, das Licentiat und das Doktorat; das letztere hat von der germaniſchen Univer- ſität etwas längere Vorbereitung und die Verpflichtung zur Vertheidi- gung von Streitſätzen beibehalten. Die Prüfungen ſelbſt ſtehen unter den Prüfungskommiſſionen der Akademie; ſie ſind ſehr leicht, und ſtrenge auf das einzelne Fach der Abtheilungen beſchränkt, dem beſchränkten Bildungsgange derſelben entſprechend. Das Syſtem der Facultés, welche die Stelle der letzteren vertreten, beruht in ſeiner neueſten Organiſation auf dem Decret vom 10. April 1852 (Studienordnung), dem Geſetz vom 14. Juni 1854 und dem Decret vom 27. Auguſt 1854 über die neue Organiſation der Académies. 1) Die Facultés des lettres und die des sciences vertreten un- gefähr die Idee der deutſchen philoſophiſchen Fakultät. Aber beide bilden weder eine Einheit, noch ſtehen ſie in Beziehung zu den übrigen Facultés. Die Faculté des lettres iſt vielmehr das, was die Philo- logie vertritt, während die Faculté des sciences, ohne ſtaatswiſſen- ſchaftliche Lehre, die mathematiſch-naturwiſſenſchaftliche Bildung noth- dürftig enthält. Die Facultés des lettres (16) ſind die philologiſch-philoſophiſche Bildungsanſtalt. Ordnung der Vorleſungen (Decret vom 7. März 1853). Die Aufnahmsprüfung wird durch das in dem Lyceum, troisième division, section des lettres, erworbene baccalauréat ès lettres erſetzt, zu welchem für den Candidaten nach dem Geſetz von 1853 (Art. 63) überhaupt nicht einmal ein Lyceum beſucht zu haben nöthig iſt. Die Abgangsprüfung iſt die Prüfung zum licencié ès lettres; ſie iſt ſchrift- lich und mündlich und ſehr einfach. Der Candidat zum licencié braucht nur Ein Jahr Baccalaureus geweſen und nur zwei Curſe nach ſeiner Wahl gehört zu haben. Die Promotion zum Docteur ès lettres er- folgt nach ſtattgehabter Vertheidigung von zwei Theſen; über dieſe Ver- theidigung wird dann erſt an den Miniſter berichtet, nach dem Arrêté vom 17. Juli 1850. Die Facultés des sciences (auch 16) ſchließen die klaſſiſche

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 5. Stuttgart, 1868, S. 309. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre05_1868/337>, abgerufen am 28.03.2024.