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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 5. Stuttgart, 1868.

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geleistet wird, so gut wie nichts ist gegen das, was bei uns auch nur
bei einem leidlichen Fakultätsexamen gefordert wird" (Huber II. 511).
Und daher ist es denn auch sehr erklärlich, weßhalb so viele junge Leute
der Gentry gar nicht auf die University gehen, sondern es einfach bei
einem Besuch eines College (Eton, Rugby u. s. w.) bewenden lassen, da sie
im Grunde mehr in diesen Colleges als auf der University selber lernen.

Das sind die Elemente der wissenschaftlichen Bildungsanstalten und
ihrer Leistungen in England. Es ist auf den ersten Blick klar, daß
diese Anstalten ganz unfähig sind, durch die in ihnen gewonnenen Kennt-
nisse den Mangel eigener Thätigkeit und den eines tüchtigen Cha-
rakters zu ersetzen
, wie das bei den deutschen Anstalten nur zu sehr
der Fall ist. Daher wird eben diese Unvollkommenheit gegenüber den
Anforderungen eines großen, auf öffentlicher Thätigkeit beruhenden Lebens
zur Nothwendigkeit eigenen Strebens und individueller Ausbildung.
Ohne die englische Verfassung wären die englischen ständischen
Colleges und die beiden Universities das geistige Verderben, die Treib-
häuser geistiger Beschränktheit oder geistiger Verwilderung. Aber diese
Verfassung ist es, die alles wieder gut macht. Sie zwingt den Mann,
der geachtet sein will, sich einen starken Charakter zu gewinnen und in
Lebensformen und öffentlichem Auftreten ein "Gentleman" zu sein.
Und aus dieser Quelle entspringt bei allem Mangel der wissenschaft-
lichen Anstalten die hohe wissenschaftliche Bildung Englands, die es
unbedingt neben jedes Volk der Erde stellt.

Aber freilich hat auch eben dieser Charakter das ständische Element
an sich. Jene Anstalten sind denn doch zuletzt ohne Beziehung auf das
große praktische Bedürfniß der staatsbürgerlichen Gesellschaft eingerichtet.
Da es keine Regierungsgewalt gab, welche sie ändern konnte, so mußte
neben ihnen eine zweite Gruppe von Anstalten entstehen, eine Gruppe,
in welcher das England der heutigen Tage sich dem Continent und
seinen Forderungen und Formen in bedeutendem Grade nähert.


Es ist von großem Interesse, den tiefen Eindruck zu betrachten,
den das Wesen der Universitäten und Collegien auf die bedeutenden
deutschen Männer gemacht hat, welche es genauer studirten. Hubers
Werk ist, namentlich im II. Band ganz von diesem Geiste durchdrungen.
"Die englischen Universitäten bescheiden sich dem nationalen Leben seine
höchste und eigenthümlichste Blüthe in dem gebildeten Gentleman zu
geben" (II. S. 457); und Wiese hat dasselbe, nur in freierer und
lebendigerer Form wiederholt in seinen "Briefen über englische Er-
ziehung 1852." Selbst der objektive Schöll (bei Schmid) wird davon

geleiſtet wird, ſo gut wie nichts iſt gegen das, was bei uns auch nur
bei einem leidlichen Fakultätsexamen gefordert wird“ (Huber II. 511).
Und daher iſt es denn auch ſehr erklärlich, weßhalb ſo viele junge Leute
der Gentry gar nicht auf die University gehen, ſondern es einfach bei
einem Beſuch eines College (Eton, Rugby u. ſ. w.) bewenden laſſen, da ſie
im Grunde mehr in dieſen Colleges als auf der University ſelber lernen.

Das ſind die Elemente der wiſſenſchaftlichen Bildungsanſtalten und
ihrer Leiſtungen in England. Es iſt auf den erſten Blick klar, daß
dieſe Anſtalten ganz unfähig ſind, durch die in ihnen gewonnenen Kennt-
niſſe den Mangel eigener Thätigkeit und den eines tüchtigen Cha-
rakters zu erſetzen
, wie das bei den deutſchen Anſtalten nur zu ſehr
der Fall iſt. Daher wird eben dieſe Unvollkommenheit gegenüber den
Anforderungen eines großen, auf öffentlicher Thätigkeit beruhenden Lebens
zur Nothwendigkeit eigenen Strebens und individueller Ausbildung.
Ohne die engliſche Verfaſſung wären die engliſchen ſtändiſchen
Colleges und die beiden Universities das geiſtige Verderben, die Treib-
häuſer geiſtiger Beſchränktheit oder geiſtiger Verwilderung. Aber dieſe
Verfaſſung iſt es, die alles wieder gut macht. Sie zwingt den Mann,
der geachtet ſein will, ſich einen ſtarken Charakter zu gewinnen und in
Lebensformen und öffentlichem Auftreten ein „Gentleman“ zu ſein.
Und aus dieſer Quelle entſpringt bei allem Mangel der wiſſenſchaft-
lichen Anſtalten die hohe wiſſenſchaftliche Bildung Englands, die es
unbedingt neben jedes Volk der Erde ſtellt.

Aber freilich hat auch eben dieſer Charakter das ſtändiſche Element
an ſich. Jene Anſtalten ſind denn doch zuletzt ohne Beziehung auf das
große praktiſche Bedürfniß der ſtaatsbürgerlichen Geſellſchaft eingerichtet.
Da es keine Regierungsgewalt gab, welche ſie ändern konnte, ſo mußte
neben ihnen eine zweite Gruppe von Anſtalten entſtehen, eine Gruppe,
in welcher das England der heutigen Tage ſich dem Continent und
ſeinen Forderungen und Formen in bedeutendem Grade nähert.


Es iſt von großem Intereſſe, den tiefen Eindruck zu betrachten,
den das Weſen der Univerſitäten und Collegien auf die bedeutenden
deutſchen Männer gemacht hat, welche es genauer ſtudirten. Hubers
Werk iſt, namentlich im II. Band ganz von dieſem Geiſte durchdrungen.
„Die engliſchen Univerſitäten beſcheiden ſich dem nationalen Leben ſeine
höchſte und eigenthümlichſte Blüthe in dem gebildeten Gentleman zu
geben“ (II. S. 457); und Wieſe hat daſſelbe, nur in freierer und
lebendigerer Form wiederholt in ſeinen „Briefen über engliſche Er-
ziehung 1852.“ Selbſt der objektive Schöll (bei Schmid) wird davon

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[330/0358] geleiſtet wird, ſo gut wie nichts iſt gegen das, was bei uns auch nur bei einem leidlichen Fakultätsexamen gefordert wird“ (Huber II. 511). Und daher iſt es denn auch ſehr erklärlich, weßhalb ſo viele junge Leute der Gentry gar nicht auf die University gehen, ſondern es einfach bei einem Beſuch eines College (Eton, Rugby u. ſ. w.) bewenden laſſen, da ſie im Grunde mehr in dieſen Colleges als auf der University ſelber lernen. Das ſind die Elemente der wiſſenſchaftlichen Bildungsanſtalten und ihrer Leiſtungen in England. Es iſt auf den erſten Blick klar, daß dieſe Anſtalten ganz unfähig ſind, durch die in ihnen gewonnenen Kennt- niſſe den Mangel eigener Thätigkeit und den eines tüchtigen Cha- rakters zu erſetzen, wie das bei den deutſchen Anſtalten nur zu ſehr der Fall iſt. Daher wird eben dieſe Unvollkommenheit gegenüber den Anforderungen eines großen, auf öffentlicher Thätigkeit beruhenden Lebens zur Nothwendigkeit eigenen Strebens und individueller Ausbildung. Ohne die engliſche Verfaſſung wären die engliſchen ſtändiſchen Colleges und die beiden Universities das geiſtige Verderben, die Treib- häuſer geiſtiger Beſchränktheit oder geiſtiger Verwilderung. Aber dieſe Verfaſſung iſt es, die alles wieder gut macht. Sie zwingt den Mann, der geachtet ſein will, ſich einen ſtarken Charakter zu gewinnen und in Lebensformen und öffentlichem Auftreten ein „Gentleman“ zu ſein. Und aus dieſer Quelle entſpringt bei allem Mangel der wiſſenſchaft- lichen Anſtalten die hohe wiſſenſchaftliche Bildung Englands, die es unbedingt neben jedes Volk der Erde ſtellt. Aber freilich hat auch eben dieſer Charakter das ſtändiſche Element an ſich. Jene Anſtalten ſind denn doch zuletzt ohne Beziehung auf das große praktiſche Bedürfniß der ſtaatsbürgerlichen Geſellſchaft eingerichtet. Da es keine Regierungsgewalt gab, welche ſie ändern konnte, ſo mußte neben ihnen eine zweite Gruppe von Anſtalten entſtehen, eine Gruppe, in welcher das England der heutigen Tage ſich dem Continent und ſeinen Forderungen und Formen in bedeutendem Grade nähert. Es iſt von großem Intereſſe, den tiefen Eindruck zu betrachten, den das Weſen der Univerſitäten und Collegien auf die bedeutenden deutſchen Männer gemacht hat, welche es genauer ſtudirten. Hubers Werk iſt, namentlich im II. Band ganz von dieſem Geiſte durchdrungen. „Die engliſchen Univerſitäten beſcheiden ſich dem nationalen Leben ſeine höchſte und eigenthümlichſte Blüthe in dem gebildeten Gentleman zu geben“ (II. S. 457); und Wieſe hat daſſelbe, nur in freierer und lebendigerer Form wiederholt in ſeinen „Briefen über engliſche Er- ziehung 1852.“ Selbſt der objektive Schöll (bei Schmid) wird davon

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 5. Stuttgart, 1868, S. 330. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre05_1868/358>, abgerufen am 28.03.2024.